Der erste Dialog geht von der These aus, dass das Gottesbild bedeutsame Folgen für die erfahrbare Gestalt der Kirche hat. Ohne Wandel im Gottesbild gibt es keine Kirchenreform.
Leo Karrer, Prof. emer. für Pastoraltheologie der Universität Freiburg i.Ue.
- Gott ist stets mehr als die Kirche.
Die erfahrbare Gestalt der Kirche geht Hand in Hand mit ihren Gottesbildern. Dabei kann Gott zur menschlichen Projektionsfläche werden und wortwörtlich zu kurz kommen. Auch das kanonische System der Kirche verkündet oder betreibt Anti-Propaganda. Insofern ist Kirchenkritik auch christliches bzw. kirchliches Handeln, wenn Kirche auf Gott bezogen wird und nicht Gott auf Kirche reduziert wird.
- Gott übersteigt jeden menschlichen Begriff.
Das Grundproblem liegt darin, dass wir Gott zu klein denken. Das ist die Gefahr aller religiösen und atheistischen Fundamentalismen.
- Der Mensch hat keine Macht über Gott.
Immer wieder gab und gibt es die Tendenz eines theologisch voreiligen Redens vom Sinn des Leidens („Im Kreuz ist Heil“). Welches Gottesbild verrät sich hinter einer Opfer- und Leistungsreligiosität?
- Es gibt kein exklusives Heil der Kirche.
Das altkirchliche Prinzip „Extra ecclesiam nulla salus – ausserhalb der Kirche (gibt es) kein Heil“ bzw. von der „alleinseligmachenden Kirche“ will das Heil mit der soziologischen Zugehörigkeit zur einzig wahren Kirche gleichsam garantieren. Der universale Heilswille Gottes (Vaticanum II) sprengt eine solche kirchenzentrierte Sichtweise, als ob Mensch und Gott keine Chance mehr hätten, wenn die Kirche mit ihren Heilsmitteln und -Instrumenten nicht dazwischenkäme.
- Kennzeichen christlicher Existenz ist Entfaltung, nicht Abtötung.
Christlicher Existenzvollzug wandelt sich von einer Askese der Abtötung zu einer Askese der Entfaltung, letztlich als Hingabe im Vertrauen auf Gottes Ja der Liebe zum Menschen.
- Die Kirche dient einer Liebe, die sie selber übersteigt.
Gott sei Dank dient die Kirche einer Liebe, die sie nicht selber erfüllt. Es ist keine Zeit des pastoralen Erntens, sondern des Säens. Ich plädiere für den langen Atem und für die Treue zum Anliegen.
Franziska Loretan-Saladin, Dr. theol., Universität Luzern
Die Frage nach Gott aus der seelsorgerlichen Praxis und in der Literatur
- Gott ist ein öffentliches Thema.
Während die (Amts-) Kirche mit Strukturfragen beschäftigt ist, wird die Existenz Gottes öffentlich debattiert. Biologen reden von einem Gottes-Gen, Hirnforscher von einem für Religion zuständigen Hirnlappen. Die Kirche läuft Gefahr, dass ihre Themen ohne sie verhandelt werden.
- Die Frage nach Gott ist ein existenzielles Thema.
Auch religiös interessierte Menschen können mit dem traditionellen Gottesbild oft nicht mehr viel anfangen. Sie suchen nach Erfahrungen Gottes in ihrem Leben. Berührungspunkte mit Kirche, in denen auf ihre Sehnsucht eingegangen wird, sind selten. – Einige Gründe dafür beleuchten die folgenden Thesen.
- Kirchliche Praxis ist gut – Wellness-Religion ist besser?
Auf der Suche nach ihrem persönlichen Gott basteln sich viele ihre Religion selber. Dabei steht die Suche nach Selbstfindung oder berauschenden Events gelegentlich mehr im Mittelpunkt als zentrale Motive der christlichen Botschaft wie die Verheissung von Leben in Fülle für alle, insbesondere für die Armen und Schwachen.
- Über das eigene Gottesbild spricht man nicht.
In der Seelsorge fehlt mancherorts eine Kultur des Austauschs über Gottesbilder und persönliche Spiritualität. Zu gross sind oft die Angst vor den Unterschieden und die Angst, zu den eigenen Zweifeln, Brüchen und Erfahrungen der Gottferne zu stehen. Dabei setzt gerade die Begleitung von suchenden Menschen in ihren vielfältigen biografischen Situationen voraus, dass die Seelsorgenden ihre eigenen Erfahrungen mit Glauben und Zweifeln, mit Gottesnähe und Gottferne kennen und reflektieren.
- Die Kirche läuft Gefahr, einen „ekklesialen Atheismus“ zu pflegen (Paul M. Zulehner).
Im seelsorglichen Alltag drohen das Thema Gott und die aktive Pflege individueller und gemeinschaftlicher Spiritualität unterzugehen. In der Geschäftigkeit einer mit finanziellen und strukturellen Problemen beschäftigten Kirche kann Gott leicht in Vergessenheit geraten. Die Verkündigung und das persönliche Zeugnis werden darüber hohl und leer.
- In der Kirche wird eine Sprache gesprochen, die viele nicht mehr verstehen.
Die Rede von Gott ist vielen zur Fremdsprache geworden. Narrative, bildhaft-poetische, berührende und erschliessende Gottesrede in einer verständlichen Sprache ist notwendig. Dazu können Seelsorgerinnen und Theologen von Dichtern und Schriftstellerinnen lernen.
- Poetische Sprache eröffnet neue Zugänge zur Rede von Gott.
Poetische Sprache involviert die Leserin und den Hörer. Sie konfrontiert mit einem veränderten Blick auf die Wirklichkeit. Sie gibt keine Antworten, sondern setzt das Fragen und Suchen in Gang.
- Gott ist nicht Mann.
Solange von Gott ausschliesslich in männlichen Bildern gesprochen wird, bleibt das Gottesbild defizitär, denn Gott schuf Mann und Frau nach seinem/ihrem Bild. Eine Gender-sensible Sprache in Liturgie und Verkündigung ist notwendig.
Medienmitteilung: Dichterische Sprache eröffnet neue Zugänge zur Gottesrede
Von Alois Odermatt / Kipa Luzern, 20.10.09 (Kipa)
Erster Katholischer Dialog im RomeroHaus Luzern
Die Rede von Gott ist plötzlich ein heisses Thema in der öffentlichen Diskussion. In der Kirche ist sie jedoch zu einer Fremdsprache geworden, die viele nicht mehr verstehen. Gewisse kirchliche Strukturen verstellen den Blick auf den Gott der Bibel. So vertrocknet die Hauptquelle zur Kirchenreform. Poetische Sprache kann neue Zugänge eröffnen. Diesem Thema stellte sich am 19. Oktober das erste Montags-Treffen der Reihe Katholische Dialoge, die das Forum für offene Katholizität (FOK) in Verbindung mit dem Verein Tagsatzung im Bistum Basel sowie dem RomeroHaus Luzern durchführt.
Diese erste Veranstaltung stand unter dem Titel „Ohne Wandel im Gottesbild keine Kirchenreform“. Impulsgeber waren zwei Fachleute, die für ihren Praxisbezug bekannt sind: Leo Karrer, emeritierter Professor für Pastoraltheologie an der Universität Freiburg, und Franziska Loretan-Saladin, Lehrbeauftragte für Predigtlehre an der Universität Luzern sowie Radiopredigerin bei.
Gott kann leicht in Vergessenheit geraten
Leo Karrer und Franziska Loretan-Saladin zeigten in ihren Thesen auf, dass jede menschliche und kirchliche Gottesvorstellung gesprengt wird durch das umfassend Grössere. Niemand habe Macht darüber. Kennzeichen christlicher Existenz sei nicht Abtötung, sondern Entfaltung. Auf diesem Weg seien persönliche Erfahrungen entscheidend.
Aber in der Kirche fehle mancherorts eine Kultur des Austausches über Gottesbilder und persönliche Spiritualität: „In der Geschäftigkeit einer mit finanziellen und strukturellen Problemen beschäftigten Kirche kann Gott leicht in Vergessenheit geraten. Die Verkündigung und das persönliche Zeugnis werden darüber hohl und leer.“ Poetische Sprache konfrontiere mit einem veränderten Blick auf die Wirklichkeit. Sie gebe keine Antworten, aber setze das Fragen und Suchen in Gang.
Das Gespräch über diese Anstösse verlief sehr intensiv und konzentrierte sich auf Fragen der Gotteserfahrung und die Bedeutung der Gottesbilder.