Nachdem beim ersten Katholischen Dialog mehrere Voten das überkommene Bild des allmächtigen Gottes in der Spannung zum Leid in der Welt sowie in Relation mit der Hierarchie der Kirche aufgegriffen, haben, setzt sich der zweite Katholische Dialog erneut mit der biblischen Vorstellung von Gott auseinander: Wie glauben wir Gott, ohne dass wir das Böse und das Leid der Welt ausblenden? Welche Folgen hat das für die Kirche als Sakrament der Welt? Wie kann sie ihre Organisation ordnen, ohne dass (all-) mächtige Strukturen das Leben einengen?
Dietrich Wiederkehr, Prof. emer. für Dogmatik der Universität Luzern
Dietrich Wiederkehr legte seine Ausführungen anhand von Zeichnungen dar.
Brigitte Amrein, Seelsorgerin im Kantonsspital Luzern
- Mein Ringen mit dem eigenen Gottesbild
Meine Antwort auf die These Nr. 4 von Franziska Loretan-Saladin: In der Seelsorge fehlt mancherorts eine Kultur des Austauschs über Gottesbilder und persönliche Spiritualität. Zu gross sind oft die Angst vor den Unterschieden und die Angst, zu den eigenen Zweifeln, Brüchen und Erfahrungen der Gottferne zu stehen. Dabei setzt gerade die Begleitung von suchenden Menschen in ihren vielfältigen biografischen Situationen voraus, dass die Seelsorgenden ihre eigenen Erfahrungen mit Glauben und Zweifeln, mit Gottesnähe und Gottferne kennen und reflektieren. In der massiven Konfrontation mit dem Leiden stellt sich die Gottesfrage. Es gibt kein Ausweichen. Der Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen hilft mir, zu bestehen – es ist Seelsorge für mich selbst.
- Die Warum-Frage: Erlaubnis zum Protest
Wenn ein leidender Mensch die Warum-Frage stellt, will er in der Regel nicht über das Gottesbild philosophieren, sondern seine Auflehnung gegen das ungerechte Schicksal zum Ausdruck bringen.
- „Je mehr hightech – umso mehr hightouch“ (Daniel Hell)
„Die Technik sieht nur den Menschen von aussen, als Objekt. Doch der Mensch braucht Ansprache, eine innere Perspektive“ (Daniel Hell). Da, wo es keine Worte mehr gibt, verweist Berührung, ein Segen, die Krankensalbung auf die göttliche Dimension. Da-Sein auf der Intensivstation, im Schockraum, im Operationssaal.
- Der Glaube der Leidenden
Frau Kübler-Ross spricht von den „Sterbenden als Lehrmeister“. Ich stimme ihr zu und verneige mich vor dem Glauben der Menschen, angesichts ihres Leidens.
- Trost durch die Gotteserfahrung von anderen Menschen
Franziskus von Assisi: „Sei mir willkommen, Bruder Tod“. Albert Brändle: „Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt“.
- Trost durch den Gott der Bibel
Der Gott der Bibel ist für mich ein Gott, der mit mir geht, ein Gott, der tröstet. Die Verbindung zwischen Gott und Mensch bleibt bestehen. „Die Himmelsleiter“: Das Dach der Kirche von Mogno von Mario Botta.
Medienmitteilung: Des Menschen Leid – Abschied von Gottes Allmacht?
Alois Odermatt / Luzern, 24.11.09 (Kipa)
Die Rede von Gott wandelt sich. Herkömmliche Vorstellungen eines „allmächtigen Gottes“ laufen ins Leere. Sie reiben sich an den masslosen Erfahrungen des Leidens, für die der Name „Ausschwitz“ steht, heute verschärft durch die Wahrnehmung natur-bedingter Leiden in der Schöpfung. Was mag dies für das kirchliche Leben bedeuten? Diesem Thema stellte sich am 23. November das zweite Montags-Treffen der Reihe Katholische Dialoge, die das Forum für offene Katholizität (FOK) in Verbindung mit dem Verein Tagsatzung im Bistum Basel sowie dem RomeroHaus Luzern durchführt.
Der erste Dialog vom 19. Oktober war von der These ausgegangen, dass das Gottesbild bedeutsame Folgen für die erfahrbare Gestalt der Kirche hat. „Ohne Wandel im Gottesbild keine Kirchenreform!“
Die zweite Veranstaltung verstand sich nun als Austausch über die doppelte Theodizeefrage: Wie können wir theoretisch von Gott reden angesichts der abgründigen Leidensgeschichte einer Welt, die seine Welt sein soll? Und wie können wir praktisch mit dem Leid umgehen, das uns spätestens in Krankheit und Sterben umfängt? Impulsgeber waren wiederum zwei Fachleute: Dietrich Wiederkehr OFMCap, emeritierter Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Luzern, und Brigitte Amrein, Seelsorgerin im Kantonsspital Luzern.
Die Warum-Frage als Auflehnung gegen das ungerechte Schicksal
Dietrich Wiederkehr skizzierte die verschlungenen Auseinandersetzungen der Jahrhunderte. Frühere Vorstellungen waren oft von einer Kreuzestheologie geprägt, die das Leid (auch in der Leidens-geschichte des Jesus von Nazareth) als Verfügung eines allmächtigen Gottes verkündete und zum Erleiden aufrief.
Neuere Versuche greifen auf biblische Erfahrungen zurück, die sich in Klage, Anklage und Protest ausdrücken und im Schrei münden: Warum? Sie stellen das Reden von der Allmacht Gottes in Frage und ermutigen zur Erfahrung eines ohnmächtigen und mitleidenden Gottes – oder entwinden sich dieser Frage in der neuen Gottlosigkeit.
Brigitte Amrein zeigte auf, wie die Konfrontation mit dem Leiden unweigerlich die Gottesfrage stellt. Es gibt kein Ausweichen – auch für die Seelsorgenden selbst. Aber „wenn ein leidender Mensch die Warum-Frage stellt, will er in der Regel nicht über das Gottesbild philosophieren, sondern seine Auflehnung gegen das ungerechte Schicksal zum Ausdruck bringen“. Die Seelsorge wird zum Da-Sein, zur Solidarität im Leiden. „Ich verneige mich vor dem Glauben der Menschen angesichts des Leidens.“ Sie erfahren einen „Gott, der mit mir geht, ein Gott, der tröstet“. Dabei leuchtet etwas von der Erfahrung des Franz von Assisi auf, der das Leid als Teil der Versöhnung mit der Schöpfung er-lebte und den Bruder Tod willkommen hiess.
Das Gespräch über diese Anstösse war geprägt von existenzieller Ergriffenheit und denkerischem Freigeist. Dabei überraschte ein Teilnehmer mit dem Hinweis, dass es in der Sprache der hebräischen Bibel gar kein Wort für den Begriff Allmacht Gottes gebe.