In der Öffentlichkeit ist der Streit um feministisches Denkens und Handels neu entflammt. Anti-Feministen geben vor, Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern besser zu garantieren als die Feministinnen. Und in der Kirche hat die Bibel in gerechter Sprache Begeisterung wie Distanzierung ausgelöst. So stellt sich die Frage nach dem Ertrag: Welche bleibenden exegetischen Einsichten hat die feministische Bibelauslegung erarbeitet, welche die wissenschaftliche Theologie, die kirchliche Lehre und die pastorale Praxis befruchtet haben?
Silvia Schroer, Professorin für Altes Testament und biblische Umwelt, Uni Bern
Die feministische Exegese hat im deutschsprachigen Raum seit den 1980er Jahren die Bibelwissenschaft, Theologie und die kirchliche Basis nachhaltig beeinflusst.
- Sie hat die Frage nach dem grundsätzlichen Umgang mit biblischen Schriften neu gestellt und neu beantwortet und damit auch Anstösse für Queer theology u.a. gegeben.
- Sie hat die Erforschung des israelitischen Monotheismus, der biblischen Gottesbilder und der Frauengeschichte (in allen Facetten und mit allen Querverbindungen) massgeblich vorangebracht.
- Sie hat neue Standards gesetzt, was die Auseinandersetzung mit Antijudaismus und die christliche Verpflichtung zum Einbezug jüdischer Auslegungen alttestamentlicher Texte betrifft.
- Sie war von Anfang an sehr ökumenisch und hat in den letzten 10 Jahren eine Fülle von Ansätzen, Methoden und Themen hervorgebracht. Kennzeichen feministischer Exegese ist heute die hermeneutische Deklaration (wissenschaftliche Selbstreflexion und Darlegung von Interessen) und die Interdisziplinarität. Interkonfessionalität und Interreligiösität sind weitgehend selbstverständlich.
Regula Grünenfelder, Dr. theol., Bildungsbeauftragte des Schweiz. Katholischen Frauenbundes
- „Wir Frauen sind Kirche, worauf warten wir noch“ (M. Bührig). Es kann im Grunde nicht mehr vom ‚Ertrag für die katholische Kirche und ihre Pastoral‘ gesprochen werden, denn – wir sind Kirche. Feministische Bibelauslegung ist das dynamische Element einer Bewegung (gewesen?), die das Kirchenverständnis verändert und entsprechend gestaltet.
- Feministische Bibelauslegung entlarvt kyriarchale [männlich und herrschaftsbestimmt] liturgische Sprache und Gepflogenheiten und motiviert Alternativen. Die Kontroversen (Lektionar, Kirchengesangbücher, Übersetzung von Gottesnamen) sind längst nicht ausgestanden, neue liturgische Formen und Sprache gewinnen innerhalb der gewohnten Kirchenräume und ausserhalb an Bedeutung und Kontur.
- Trotz religionspädagogischer Neuorientierung (Lehrmittel und Kinderbibeln erzählen biblische Frauengeschichten) bleiben Lücken, denn viele Frauennamen und -geschichten fehlen uns. Die feministische Bibelwissenschaft hat diese Lücken offen zu halten und geht mit diesen Leerstellen wissenschaftlich-kreativ um: „Es hat eine Zeit gegeben, da du nicht Sklavin warst, erinnere dich… Du sagst, du hast die Erinnerung verloren… Mach eine Anstrengung, um dich zu erinnern. Oder notfalls erfinde.” (Ratschlag von Monique Wittig in: Judith Plaskow, Und wieder stehen wir am Sinai. Eine jüdisch-feministische Theologie, Luzern 1992, 84)
Medienmitteilung: Feministischen Exegese beeinflusst Theologie und Pastoral
Paul Jeannerat / 22. November 2010 KIPA
Die feministische Exegese hat im deutschsprachigen Raum seit den 1980er Jahren Bibelwissenschaft, Theologie und kirchliche Basis nachhaltig beeinflusst. Nun gilt es, auch in der Pastoral patriarchalische Sprache und Gepflogenheiten zu überwinden. Neue liturgische Formen in gerechter Sprache gewinnen innerhalb und ausserhalb der gewohnten Kirchenräume an Bedeutung.
Dies ist das Fazit der zweiten Veranstaltung in der Reihe Katholische Dialoge im Bildungsjahr 2010/2011, die vom Forum für offene Katholizität (FOK), vom Verein Tagsatzung im Bistum Basel und vom RomeroHaus Luzern verantwortet wird. 25 Personen, Laien, Theologen und Priester, diskutierten darüber am 22. November 2010 im RomeroHaus Luzern anhand von Thesen, die von einer Professorin und einer pastoralen Praktikerin vorgelegt wurden.
Feministische Exegese ist ökumenisch
Die katholische Theologin Silvia Schroer, Professorin für Altes Testament und biblische Umwelt an der evangelisch-christkatholischen Fakultät der Universität Bern, zeigte auf, wie feministische Exegese von Anfang an sehr ökumenisch geprägt war und heute fast immer interkonfessionell und meist auch interreligiös betrieben wird. Kennzeichen feministischer Exegese ist ferner die hermeneutische Deklaration, d.h. das Offenlegen der eigenen (feministischen) Interessen. Die feministische Exegese hat die Erforschung des israelitischen Monotheismus, der biblischen Gottesbilder und der Frauengeschichte massgeblich vorangebracht und so die christliche Theologie nachhaltig beeinflusst.
Feministische Exegese ist dynamisch
Die Bildungsbeauftragte des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes, Regula Grünenfelder, beschrieb die feministische Bibelauslegung als dynamisches Element einer Bewegung, die das Kirchenverständnis verändert und entsprechend gestaltet hat: Patriarchale liturgische Sprache und Gepflogenheiten wurden entlarvt und Geschlechter-gerechte Alternativen erprobt. Allerdings sind die Kontroversen um die Auswahl der offiziellen liturgischen Lesungen und die Sprache von Gebeten und Liedern noch längst nicht ausgestanden, doch neue liturgische Formen und Sprache werden experimentiert und gewinnen an Kontur.
Herrlichkeit und Herrschaft Gottes
Die Diskussion unter Leitung von Dr. Erwin Koller und Dr. Toni Bernet machte deutlich, wie sehr Theologinnen und Theologen, die liturgische Feiern gestalten, ringen um Geschlechter-gerechte Worte und Begriffe. Gott darf durchaus als Vater und Mutter angesprochen werden, aber von Gottes Herrlichkeit darf nicht mehr unreflektiert geredet werden. Hilfe und Anregung dazu liefert die „Bibel in gerechter Sprache“.