Erfahrungen aus Geschichte und Gegenwart
Die viel diskutierte Volksabstimmung, die zu einem Verbot des Baus von Minaretten in der Schweiz geführt hat, brachte es an den Tag: Religion ist nicht Privatsache, sondern spielt in Politik und Gesellschaft eine wichtige Rolle. Das Gespräch zwischen den religiösen Gemeinschaften ist unabdingbar. Aber: Wie sollen wir den Dialog führen, ohne christliche Selbstüberschätzung und ohne, dass wir wesentliche Wahrheiten und Werte unseres christlichen Glaubens preisgeben? Gibt es aus der Kirchengeschichte Beispiele eines gelungenen islamisch-christlichen Zusammenlebens? Welche Erfahrungen machen Christinnen und Christen, die heute das Gespräch mit Musliminnen und Muslimen suchen?
Mariano Delgado, Prof. für Kirchengeschichte in Freiburg / Schweiz
Erfahrungen aus dem mittelalterlichen Spanien und Folgerungen für die Gegenwart
- Das Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen erlebte in Spanien zeitweise eine kulturelle und theologische Blüte. Sie verdankt sich jedoch asymmetrischen Verhältnissen (Christen und Juden waren unterworfen) und wurde stets durch Verfolgung, Zwangsbekehrung und Intoleranz beendet. Erst ein übergeordneter Staat konnte die beiden Religionen, die zwar den Zwang zum Glauben ablehnen, aber doch einen exklusiven Wahrheitsanspruch erheben, zur Toleranz verpflichten.
- Der ‚Meilenschritt’ von der Toleranz als gnadenhafter Gabe religiös-politischer Obrigkeit zum einklagbaren Menschenrecht auf individuelle und kollektive Religionsfreiheit ist historisch ein Ergebnis der westlichen Staats- und Gesellschaftsentwicklung. Dass ein solches Bekenntnis zur Religionsfreiheit und zu den Bedingungen der Moderne in den meisten Ländern der islamischen Welt bisher nicht möglich war, ist der Hauptgrund für die heutige Divergenz mit Europa.
- Ein echter interreligiöser Dialog ist nur unter der Bedingung der Religionsfreiheit möglich. Wesentliche Anstösse dazu vermittelten jedoch die Mystikerinnen, die von der grundlegenden Einheit in Vielfalt der abrahamischen Religionen überzeugt waren und so die eigene und die fremde Wahrheit unpolemisch darstellen konnten.
Piera Fleiner-Gerster, Gründerin des Christlich-Muslimischen Frauentreffs in Freiburg / CH
Erfahrungen und Herausforderungen aus der Praxis der Gegenwart
- Es fehlt in der Schweiz eine aktive Religionspolitik. Grundsätzliche und komplexe Probleme könnten im Wesentlichen gelöst werden, wenn weitere Religionsgemeinschaften öffentlich-rechtlich anerkannt würden.
- Es braucht die Schaffung von Lehrstühlen und Zentren für islamische Wissenschaften, damit Imame und Religionslehrer in der Schweiz ausgebildet werden können, und zwar in einer unserer Landessprachen.
- Islamischer Religionsunterricht muss an unseren Schulen im gleichen Rahmen wie der katholische oder reformierte in einer unserer Landessprachen stattfinden.
- Es braucht eine intensivere personelle und finanzielle Unterstützung kleinerer und grösserer Projekte, die das Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen und Religionen fördern.
- Kirchliche Würdenträger und engagierte Christen müssen vermehrt öffentlich zu tagespolitischen Fragen Stellung nehmen.
Medienmitteilung: Rechtsstaatliche Verhältnisse garantieren Religionsfrieden
Paul Jeannerat / 24. Januar 2011 KIPA
Das friedliche Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen ist – aus historischer Sicht – nur möglich, wenn eine rechtsstaatliche Ordnung die Religionsfreiheit garantiert. Das Gespräch zwischen Islam und Christentum ist deshalb so schwierig, weil individuelle und kollektive Religionsfreiheit in den meisten Ländern der islamischen Welt in Staat und Gesellschaft nicht verankert ist. Doch auch in der Schweiz fehlt eine aktive Religionspolitik; weitere Religionsgemeinschaften sollten vereins- oder öffentlich-rechtlich anerkannt werden.
So lassen sich die Ergebnisse des Katholischen Dialogs zusammenfassen, der vom Forum für offene Katholizität (FOK), vom Verein Tagsatzung im Bistum Basel und vom RomeroHaus Luzern am 24. Januar 2011 durchgeführt wurde. 30 Personen, Laien, Theologen und Priester, diskutierten über „Kreative Dialoge zwischen Christen und Muslimen“ anhand von Thesen, die vom Direktor des Instituts für das Studium der Religionen der Universität Freiburg und von einer im christlich-muslimischen Dialog engagierten Frau vorgelegt wurden.
Erfahrungen aus dem mittelalterlichen Spanien und Folgerungen für die Gegenwart
Der Historiker und Religionswissenschaftler Prof. Mariano Delgado zeigte auf, wie das Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen im mittelalterlichen Spanien zeitweise eine kulturelle und theologische Blüte erlebte, wenn auch unter asymmetrischen Verhältnissen einer dominierenden und einer geduldeten Religion und stets begleitet von Verfolgung, Zwangsbekehrung und Intoleranz. Erst die Entwicklung der Menschenrechte, besonders der individuellen und kollektiven Religionsfreiheit in der westlichen Staats- und Gesellschaftsordnung konnte die Religionen, die einen absoluten Wahrheitsanspruch kennen, zu echter Toleranz verpflichten.
In westlichen Staaten und Gesellschaften ist Religionsfreiheit ein einklagbares Menschenrecht. Die meisten Länder der islamischen Welt kennen dies (noch) nicht. Deshalb ist der christlich-islamische Dialog heute so schwierig.
Herausforderungen aus der Praxis
Über Erfahrungen einer Gruppe Frauen vom Schweizerischen Katholischen Frauenbund (SKF) berichtete Piera Fleiner-Gerster. Der „Christlich-muslimische Frauentreff Freiburg“ vereinte während sechs Jahren islamische und christliche Frauen zu fruchtbaren Gesprächen über Fragen der religiösen Erziehung der Kinder, Kleiderbräuche, Gestaltung von Feiertagen … bis sich die muslimischen Frauen zurückzogen, weil die Annahme des Minarettverbotes sie sehr verletzte. Doch die Freiburger Frauen gaben nicht auf: Zurzeit arbeiten sie an der Gründung einer Religiösen Plattform von Katholiken, Protestanten, Juden, Muslimen und versuchen, auch Männer einzubeziehen.
Aus dem Gespräch mit den muslimischen Frauen formulierte Piera Fleiner-Gerstser konkrete Forderungen: Vereinsrechtliche oder sogar öffentlich-rechtliche Anerkennung islamischer Gemeinschaften, Errichtung von Zentren für islamische Wissenschaft, Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an Schulen, personelle und finanzielle Unterstützung von Projekten, die das Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen und Religionen fördern.
In der Diskussion unter Leitung von Dr. Erwin Koller und Dr. Alois Odermatt wies der Imam Muhammad M. Hanel auf eine ähnliche Initiative des interreligiösen Dialogs hin: Das Zelt Abrahams vereinigt in Basel Christinnen und Christen mit Musliminnen und Muslimen zu Gesprächen unter dem Motto „Ohne Angst verschieden sein“.