Was trägt den Glauben, wenn Institutionen in Krise geraten?
„Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land…“ Als wir noch aus voller Kehle dieses Lied sin-gen konnten, war die Sache klar: Jeder Katholik und jede Katholikin identifizierte sich ungebrochen mit der vorgegebenen Gestalt der Kirche und glaubte sie „aus ew‘gem Stein erbauet von Gottes Meisterhand“. Der Weg war weit, den unsere Generation zurückgelegt hat.
Inzwischen leben wir in einer anderen Welt. Die zunehmende Individualisierung aller Lebensvoll-züge ruft nach Institutionen, die auf diese Herausforderung einzugehen im Stande sind. Für die Kirche bietet sich die Chance, darin positive Ansätze zu erkennen und freizusetzen, etwa die Würde der Einzelperson oder die Gewissens- und Religionsfreiheit. Dies beinhaltet freilich auch eine Auseinandersetzung mit ihrem Daseinszweck und den Formen ihrer gesellschaftlichen Präsenz.
Da ist ein Glaube gefragt, der mit Abraham gegen alle Hoffnung hofft. Gemeint ist nicht ein Seufzer von Kirchengeschädigten, sondern in erster Linie die Hinwendung zu anderen Quellen religiöser Existenz. „Es ist das Merkmal einer erwachsenen Kirche, wenn sie sich von der narzisstischen Selbstbesorgung gelöst hat und aufmerksam ist für die Leidenden dieser Welt, auf den Frieden, auf die ökologische Bedrohung dieser Erde und die Lebensmöglichkeit unserer Kinder und Enkel. Wir sind als Kirche dem Geheimnis Gottes nahe, wo wir uns dem Geheimnis der Armen nähern“ (Fulbert Steffensky).
Fulbert Steffensky, Prof. emer. für Religionspädagogik an der Universität Hamburg
- Karge Zeiten sind Zeiten, in denen Menschen wenig Zeit und Gelegenheit haben, sich ihrer selbst bewusst zu sein. Je weniger die Subjekte sich ihrer selbst bewusst sind, umso stärker und strenger sind die Institutionen. Sie regeln alles, wissen alles, belohnen und strafen, vergeben, leiten und bergen, übersehen das Individuum und denken vom Grossen und Ganzen her.
- Es gibt auf Dauer keinen Geist (und keinen Ungeist), ohne dass dieser vergemeinschaftet, herkunftsbewusst, öffentlich und ‚eingerichtet‘, also Institution wird. Institutionen sind die Langfristigkeit des Geistes (und des Ungeistes).
- Je geistloser und leerer Institutionen werden, umso mehr wird Selbsterhalt und Selbstbesorgung ihr Ziel. Ihre innere Legitimation wird ersetzt durch äussere Theatralik. Der Glaube hat ein widersprüchliches Verhältnis zu den Institutionen: Er schafft sie und er zerstört sie (Bilderverbot, Autoritätskritik, Ritualkritik etc.).
- Die Gruppen in unseren Kirchen sollen die Grossinstitution entlasten und entmachten. Sie sind die Läuse im Pelz der Grosskirche. Der Pelz braucht die Läuse. Die Läuse brauchen den Pelz. Gruppen denken heute, was die Grosskirche erst morgen denken kann. (Georg Christoph Lichtenberg: „Die vernünftigen Freigeister sind leichte fliegende Korps, die immer voraus sind und die Gegenden rekognoszieren, wohin das gravitätisch geschlossene Korps der Orthodoxen am Ende doch auch kommt.“)
Rosmarie Dormann, Präsidentin der Bethlehem Mission Immensee, alt Nationalrätin CVP
- Im letzten Jahr überschlugen sich die Negativmeldungen aus Kirche und Politik (sexuelle Übergriffe in der Kirche, Abzockerei in der Bankenwelt). Dem müssen Christen positive Realitäten entgegenstellen. – „Das beste Mittel gegen grosse Sorgen sind kleine Freuden.“
- Wer sich einsetzt, setzt sich aus. Das erfahren alle Menschen, die sich in Kirche und Politik eine eigene Meinung leisten. Oft wird dann versucht, Menschen, die sich in der Öffentlichkeit für eine gute Sache stark machen, verbal oder in Zuschriften und Leserbriefen ‚in die Knie‘ zu zwingen. Christen setzen auf die Hoffnung, auch wenn sie von Dingen lebt, die leise daherkommen. – „Türen werden nicht nur zugeschlagen, es gehen auch Türen auf. Bloss macht das weniger Lärm“ (Hans Derendinger, ehem. Stadtpräsident von Olten).
- Das Jahr der Freiwilligen machte 2011 bewusst, was Frauen und Männer in unzähligen Stunden für die Gesellschaft tun: Besuchsdienst bei alten und kranken Mitmenschen, Pflege von behinderten und betagten Angehörigen, Freiwilligenarbeit in Jugendorganisationen und Pfarreien. Ich erinnere auch an die Frauensynode in Zürich zum Thema „Frauen und Wert-Schöpfung“ sowie an Integrationsprojekte in Städten und Agglomerationen. – „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“. (Jacques Gaillot)
Medienmitteilung: Glaube braucht Gemeinschaft
Paul Jeannerat / Luzern, 23. Januar 2012
„Was trägt den Glauben, wenn die Kirche in Krise steht?“ Dieser Frage stellten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 13. Katholischen Dialogs. Nur schon die Tatsache, dass über 30 engagierte Katholikinnen und Katholiken, Priester wie Laien, zusammenkamen, weil sie das Katholisch-Sein nicht nur Engdenkenden überlassen wollen, ist bereits eine Antwort auf dieses Frage: Im Glauben suchende und im Einsatz für das Reich Gottes engagierte Menschen stehen einander bei und stärken sich gegenseitig den Rücken gegen Resignation und Verbitterung. Das Forum für offene Katholizität (FOK) führt einen solchen Katholischen Dialog nun schon zum dreizehnten Male durch, in Gemeinschaft mit dem Verein tagsatzung.ch und mit dem RomeroHaus Luzern.
Die Katholischen Dialoge haben immer denselben Ablauf: Zwei Gäste leiten die Überlegungen mit kurzen Thesen ein, im ersten Teil theologisch-spirituell, im zweiten Teil praktisch-pastoral. Der erste Referent dieses Treffens, Fulbert Steffensky, emeritierter Professor für Religionspädagogik an der Universität Hamburg, betonte, dass der Glaube Gemeinschaft – Institution – braucht. „Es gibt auf Dauer keinen Geist, ohne dass dieser vergemeinschaftet wird. Institutionen sind die Langfristigkeit des Geistes“ (Steffensky). Auf die Institution Kirche können wir also nicht verzichten.
Was nun, wenn diese in Krise steht? Da betont Steffensky die hohe Bedeutung von Gruppen, die sich für bestimmte Anliegen des Reiches Gottes einsetzen: im Bereich von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, also ökologische, pazifistische, feministische, jugendliche … Stosstrupps. Solche Gruppen entlasten die Institution Kirche und stimulieren sie gleichzeitig. „Gruppen denken heute, was die Grosskirche erst morgen denken kann“ (Steffensky). Gruppen geben gläubigen Menschen, die an der Institution Kirche leiden, einen Ort, wo sie ihren Glauben leben und verwirklichen können.
Die zweite Referentin, Rosmarie Dormann, Präsidentin der Bethlehem Mission Immensee, forderte, dass dem Trend zu Negativmeldungen über Kirche und Politik positive Realitäten entgegen zu stellen sind: „Das Jahr der Freiwilligen machte 2011 bewusst, was (kirchliche) Frauen für die Gesellschaft tun.“ Als Nationalrätin (CVP) erfuhr Rosmarie Dormann immer wieder Unterstützung von kirchlichen Gruppen, vom Schweizerischen Katholischen Frauenbund, von den kirchlichen Jugendverbänden.
In der Diskussion unter Leitung von Dr. Erwin Koller und Dr. Toni Bernet-Strahm wurde erneut die hohe Bedeutung der Institution Kirche hervorgehoben. Ihre aktuelle äussere Gestalt muss sich verändern, lieb Gewordenes verabschiedet sich, aber Neues wird wachsen.