Die Spaltung der Kirche ist ein Evangeliums-widriges Ärgernis
“Die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen ist eine der Hauptaufgaben des Heiligen Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Konzils. […] (Die Spaltung) ist ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen.” (Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret Unitatis redintegratio 1, Rom 1964)
“Wir sollten vermehrt fragen, warum wir etwas nicht gemeinsam mit unserer Schwesterkirche unternehmen. Wenn wir uns in bestimmten Dingen noch für ein getrenntes Vorgehen entscheiden, müsste das begründet werden. Kooperation ist die Norm, Alleingang die Abweichung.” (Ökumenischer Bettagsbrief von Weihbischof Dr. Peter Henrici und Kirchenratspräsident Pfarrer Ruedi Reich, Zürich 1997)
“Die wichtigste Aufgabe der Kirchen in Europa ist es, gemeinsam das Evangelium durch Wort und Tat für das Heil aller Menschen zu verkündigen. […] Wir verpflichten uns, über unsere Initiativen zur Evangelisierung mit den anderen Kirchen zu sprechen, darüber Vereinbarungen zu treffen und so schädliche Konkurrenz sowie die Gefahr neuer Spaltungen zu vermeiden.” (Charta oecumenica. Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen Europas, Strassburg 2001)
In einer Standortbestimmung sollen die theologischen bzw. kirchlichen Vorgaben mit der Wirklichkeit konfrontiert und daraus Handlungsoptionen abgeleitet werden.
Rolf Weibel, Dr. theol., ehem. Chefredaktor Schweiz. Kirchenzeitung
- Statt einer Rückkehr-Ökumene vertritt die römisch-katholische Kirche auf Grund des Konzils heute eine Dialog-Ökumene. Die ökumenische Frage lautet nun: Wann ist eine christliche Glaubensgemeinschaft eine echte Teilkirche?
Die Konzilstexte zeigen eine Gemengelage von Kontinuität und Diskontinuität. Die Kontinuität besteht im Kern des römisch-katholischen Kirchen- und Einheitsverständnisses: «Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche (subsistit in), die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird.»[1] Die Diskontinuität besteht in der Anerkennung der Kirchlichkeit der von ihr getrennten christlichen Glaubensgemeinschaften: «Das schliesst nicht aus, dass ausserhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.»[2] Diese Diskontinuität lässt den Beginn einer echten Lehrentwicklung erkennen.
Die Diskontinuität legte deshalb eine Neudefinition der ökumenischen Frage nahe. Statt einer Rückkehr-Ökumene vertritt die römisch-katholische Kirche heute eine Dialog-Ökumene. Zur Wirkungsgeschichte des Konzils gehört so auch die Aufnahme theologischer Gespräche mit fast allen Kirchen- und Konfessionsfamilien. Ausgehend von der Aussage: «Die eine und einzige katholische Kirche besteht in und aus den Teilkirchen»[3], lautet die ökumenische Frage nun: Wann ist eine christliche Glaubensgemeinschaft eine echte Teilkirche?
Im 3. Kapitel unterscheidet das Dekret über den Ökumenismus zwei besondere Kategorien von Spaltungen: Die Trennung der römisch-katholischen Kirche erstens von den Orientalischen Kirchen und zweitens von den Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften im Abendland. Dieser Unterscheidung entsprechen tatsächlich zwei Typen von Kirchen: Ecclesia de Eucharistia[4] und Ecclesia creatura verbi[5]. Die ökumenische Frage spitzt sich deshalb zu: Reicht zur Anerkennung einer Gemeinschaft als Teilkirche oder Schwesterkirche die Familienähnlichkeit oder sind noch typologische Kriterien zu erfüllen?
- Die katholische Kirche anerkennt die Ostkirchen als echte Teilkirchen, nicht aber die reformatorischen und die Pfingst-Kirchen.
Die Dialog-Ökumene hat zu wachsender Übereinstimmung geführt.[6] Unter anderem anerkennt die römisch-katholische Kirche die Assyrische Kirche des Orients «als eine wahre Teilkirche an, die auf dem orthodoxen Glauben und auf der apostolischen Nachfolge gründet»[7] – und das obgleich diese ostsyrische Kirche nur die ersten beiden ökumenischen Konzile angenommen hat. Der Dialog der römisch-katholischen Kirche mit dem Lutherischen Weltbund über die Rechtfertigung hat zur gemeinsamen offiziellen Erklärung geführt, «dass zwischen Lutheranern und Katholiken ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre besteht». Damit würden die Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts – und damit auch jene des Konzils von Trient – in einem neuen Licht erscheinen. In der Erklärung wird zudem betont: «Unser Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre muss sich im Leben und in den Lehren der Kirchen auswirken und bewähren.»[8]
Der Konsens mit der ostsyrischen Kirche hat dazu geführt, dass die Gläubigen der Chaldäischen – die mit Rom Gemeinschaft halten – und der von Rom getrennten Assyrischen Kirche des Ostens offiziell gegenseitig zur Eucharistie zugelassen sind. Der Konsens mit dem Lutherischen Weltbund hat sich bis heute nicht weiter ausgewirkt und konnte sich deshalb auch nicht bewähren.
Der Grund für diese unterschiedliche Wirkungsgeschichte dürfte in der Typologie liegen. Als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen spricht Kardinal Kurt Koch von vier Grundformen des Christseins: der orthodoxen und orientalisch-orthodoxen, der römisch-katholischen, der reformatorischen und der pentekostalen [Pfingstbewegung]. Die orthodoxen und orientalisch-orthodoxen Kirchen als echte Teilkirchen anzuerkennen hat die römisch-katholische trotz dogmatischen Grenzen keine Mühe. So ist für Papst Benedikt XVI. die Einheit mit dem Papst «nicht konstitutiv für die Teilkirche», sondern nur «ein innerer Mangel in der Teilkirche».[9] Der theologische Grund der Mühe mit den getrennten Kirchen des Westens und des Südens ist das andere Verständnis der apostolischen Sukzession als historische Weitergabe des Bischofsamtes. Weil damit eine ausschliessliche Bindung der apostolischen Autorität an bestimmte Menschen gegeben ist, vermute ich die unüberwindliche Grenze dort, wo Strukturen verändert oder Macht abgegeben werden müssten.
- Seit dem Konzil ist die ökumenische Zusammenarbeit selbstverständlicher geworden. Zugleich haben jedoch kulturelle und religiöse Entwicklungen neue Differenzen zur Folge: Authentizität zählt mehr als Orthodoxie und kirchliche Verfasstheit.
Seit dem Konzil ist die Ökumene bei uns wie weltweit zugleich einfacher und schwieriger geworden. Einfacher, weil die Zusammenarbeit nicht mehr grundsätzlich begründet werden muss und auch praktisch selbstverständlicher geworden ist. Schwieriger, weil die kulturelle und religiöse Entwicklung bei uns neue Differenzen erzeugt hat. Denn diese Entwicklung, die im ganzen nordatlantischen Raum zu beobachten war, hat im Verlauf der langen sechziger Jahre zu tiefgreifenden kulturellen Wandlungen geführt, die der kanadische Sozialphilosoph Charles Taylor auf den Begriff «expressivistische Revolution»[10] bringt. Dieser Wandel hin zu mehr Expressivität hatte in der römisch-katholischen Kirche zur Folge, dass für viele Gläubige Authentizität wichtiger wurde als rechte Lehre und verbindliche Kirchenverfassung. Auch wenn diese Kulturrevolution[11] nicht als Religionskrise[12] gelesen wird, hat sie Folgen für die Ökumene, die noch nicht abzusehen sind.
Weltweit gesehen dürfte eine zunehmende Pentekostalisierung der Christenheit zur grössten ökumenischen Herausforderung werden. Damit sind die zunehmende Bedeutung neopentekostaler Strömungen und Bewegungen sowie charismatischer und evangelikaler Gruppen und autochthoner Gemeinden gemeint.[13]
Charlie Wenk, Gemeindeleiter des ökumenischen Gemeindezentrums St. Gallen-Halden
- Für glaubhafte Ökumene braucht es Toleranz –
doch das ist viel zu wenig. - Für befriedigende Ökumene braucht es Respekt –
doch das reicht bei weitem nicht aus. - Für wachsende Ökumene braucht es Wertschätzung –
und das ist noch nicht alles. - Für zukunftsweisende Ökumene braucht es Freundschaft –
und was noch mehr? - Für christlich jesuanische Ökumene braucht es Liebe –
und das ist eine eschatologische Herausforderung.
Hinweise dazu
- Für die Ökumene der Zukunft brauchen wir
– verwurzelte Kirchen, Gemeinschaften und Mitglieder,
– achtsame Gläubige und Zweifelnde,
– mutige Frauen und Männer und einige leicht Übermütige,
– visionäre Menschen mit Rücksicht und Vorsicht.
- Das Kontrollinstrument für die Ökumene ist das christliche Liebesgebot:
– Liebe Gott aus ganzem Herzen
– und deinen Nächsten
– wie dich selbst.
- Die Ökumene der Zukunft hat den ganzen Weltkreis im Blick und ist deshalb interreligiös.
Ein wichtiges Leitbild für gelingende Ökumene ist die Geschichte von Jesus und Bartimäus:
das Geheimnis der Begegnung auf Augenhöhe (vgl. Mk 10,46–52).
[1] Zweites Vatikanisches Konzil: Dogmatische Konstitution über die Kirche, 21. November 1964, 8.
[2] A.a.O. 8.
[3] A.a.O 23.
[4] Johannes Paul II.: Rundschreiben „Ecclesia de Eucharistia“, 17. April 2003.
[5] «Ecclesia enim creatura est Euangelii»: Martin Luther, Thesen zur Leipziger Disputation, 1519, Conclusio XII (WA 2, 430, 6f., ähnlich WA 6, 650, 36; 7, 721, 12; 12, 191, 16ff; 42, 334, 12).
[6] «Dokumente wachsender Übereinstimmung» ist denn auch der Titel einer (bislang) vierbändigen Sammlung ökumenischer Dokumente.
[7] Richtlinien für die Zulassung zur Eucharistie zwischen der Chaldäischen Kirche und der Assyrischen Kirche des Orients vom 20. Juli 2001.
[8] Gemeinsame Erklärung, Nr. 43.
[9] Benedikt XVI.: Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Freiburg i. Br. 2010, 114.
[10] Charles Taylor: Ein säkulares Zeitalter, Frankfurt a. M. 2009, 821.
[11] Arthur Marwick: The sixties: cultural revolution in Britain, France, Italy and the United States, c.1958-c.1974, Oxford 1968.
[12] Hugh McLeod: The Religious Crisis of the 1960s, New York 2007.
[13] Der «Interdisziplinäre Arbeitskreis Pfingstbewegung» in Heidelberg vernetzt Forschungsarbeiten zu pfingstlich und charismatischen Bewegungen weltweit (http://www.glopent.net/iak-pfingstbewegung).