Seit je tun wir uns schwer, für Lebenskatastrophen die richtigen Worte zu finden. Das war nach der Kreuzigung Jesu nicht anders. Es lag nahe, dass die junge Gemeinde auch das religiöse Ritual des Opfers aufgriff. Und so ist dieser belastete Begriff noch heute ein oft verwendetes Deutungsmuster christlicher Passionsverkündigung. Doch die Frage, was das für ein Gott ist, der das Opfer seines Sohnes verlangt, kann moderne Christinnen und Christen nicht in Ruhe lassen.
Gibt es Deutungen, die einem zeitgemässen Verständnis des Neuen Testamentes näher stehen? Finden wir Worte und Rituale für den Karfreitag, die uns ohne Verrenkungen einen Zugang zum Ereignis verschaffen? Aber auch: Wie soll man das Halleluja von Ostern in Worte fassen, die erlösend und befreiend sind? Und nicht zuletzt: Wie kann man heute in einem Fest der Trauer und Katastrophe gedenken, wie ein Fest der Erlösung feiern?
Fulbert Steffensky, Prof. emer. für Religionspädagogik an der Uni Hamburg von 1975–98
Er war Benediktinermönch in Maria Laach, dann Lutheraner. Er ist Autor zahlreicher Bücher (zuletzt Gewagter Glaube, 2012) und lebt in Luzern.
- Gegen die Traditionalisten gesagt: Die Botschaft des Evangeliums haben wir nirgends pur, sondern immer schon als interpretierte. „Wir müssen die Distanz akzeptieren, die uns von toten Schriftstellern oder Sprechern und erst recht von einem vergangenen Wort trennt“ (Michel de Certeau). „Die Bewahrung der Tradition ist ein schöpferischer Akt … Die Tradition ist immer eine Re-Interpretation vom Vorherigen – während Traditionalisten an diesem Punkt untreu werden“ (Thomas Halik). Wer nicht interpretieren will, hört auf zu bewahren, oder wie der Aphoristiker Elazar Benyoetz sagt: „Eine getreue Widergabe ist eine echte Fälschung.“
- Gegen die Modernisten gesagt: Mit der obigen These ist die notwendige Häresie (De Certeau) genannt, die die wagen müssen, die ihre Tradition lieben. Sie ist zu unterscheiden von der sträflichen Häresie. Sträfliche Häretiker spielen sich auf als die Staatsanwälte der Tradition. Sie vermeiden es, sie ernsthaft zu bedenken, an sie anzuknüpfen und sich von ihr richten zu lassen. Sie schaffen ab, statt zu interpretieren. Ihre Methode ist nicht selten die Enthistorisierung. Dies geschieht etwa, wenn an Weihnachten über nicht mehr gepredigt wird als über die allgemeine Geburtlichkeit des Lebens, wenn Auferstehung nicht mehr ist als ein inneres Traumbild der Menschheit; wenn die grossen Bildfiguren des Glaubens völlig aussagbar werden und höchstens noch zur moralischen Ermunterung benutzt werden. Die Fluchten in die kleinen Sagbarkeiten genügen nicht. Wir müssen die Unsäglichkeiten retten.
- Kreuz und Opfer: Jeder theologische Satz ist danach zu befragen, was er anrichtet, auch die Sühnetheologie. Darum werden wir ihr ein Bussschweigen verordnen. Aber es ist zu bedenken: Es gibt keine Liebe, die ungeschoren davonkäme, also keine Liebe ohne Opfer. Kreuz: Der Gott der Güte hat sich in Christus seiner eigenen Unverwundbarkeit beraubt; er ist unsere Wege gegangen und unsere Tode gestorben. Kein Blut ist gut, das vergossen wird, auch nicht das Blut jenes Gekreuzigten. Aber gut ist die Güte, die nicht weicht aus unserem eigenen Schicksal. Dies ist das Unmöglichste, was man sagen kann – und das Unentbehrlichste.
- Auferstehung: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Was das heisst, weiss ich nicht. Aber das ist kein Grund, es nicht zu behaupten. Vielleicht kann man es eher singen und tanzen als theologisch behaupten. Die Ostergeschichten in ihren heiteren Widersprüchen sind eher Akte einer dramatischen Darstellung als ein geordneter Bericht: Maria und der Gärtner, der beinahe burleske Wettlauf zum Grab, die Hand des Thomas in der verwundeten Seite, der Gang nach Emmaus. Kein Wunder, dass sie immer wieder zu Osterspielen wurden. Das Spiel der Hoffnung ist angemessener als die theologische Aussage. Spielen kann man schon, was dem Glauben noch zu schwer ist.
Monika Schmid, Gemeindeleiterin Pfarrei St. Martin in Illnau-Effretikon (ZH)
Liturgie soll für das Unsagbare einen Ausdruck finden in Zeichen und Worten und Kreuz und Auferstehung feiern mit Menschen von heute.
- Vom Palmsonntag über den Hohen Donnerstag zum Karfreitag gehen wir jedes Jahr symbolisch feiernd den Weg mit Jesus, dem Christus. Nicht um ihn nachzuahmen, sondern um ihm als heutige Menschen zu folgen. In Ritualen und Symbolen verdichtet sich unser ganzes Leben – auch in seinen Grenzerfahrungen von Leid, Schmerz und Tod. Die Karwoche lässt uns zu Grunde gehen – im wahrsten Sinn des Wortes: Sie lässt uns den Grund unseres Glaubens und Hoffens erahnen. Und tief in allem steckt die Erfahrung, dass Gott uns nie zugrunde gehen lässt. Im feiernden Mitgehen dieser Woche spiegelt und entfaltet sich göttliche Kraft im erlösenden Christus. Er ist die lebende Antwort auf die Fragen des suchenden Menschen. Im Leben von Jesus, dem Christus, in seinem Leiden und Sterben und in seinem Sieg über den Tod und alles Tödliche dieser Welt scheint Gott auf – einmalig und ganz!
„I don’t know to love him … Eine junge Frau interpretiert den Song aus Jesus Christ Superstar. – Stille. – Ein grosses Holzkreuz wird hereingetragen begleitet vom alten Ruf zur Kreuzverehrung: „Ecce lignum crucis … Venite adoremus.“ – Das Kreuz ist aufgerichtet. Eine Ministrantin hängt einen alten Christuskorpus ans Kreuz – fast zärtlich diese Geste. Manche Träne wird abgewischt. – Zwei Celli erklingen, ein Konzert von Johann Sebastian Bach – beide Musikerinnen anfangs zwanzig. – Dreissig Ministranten und Ministranten tragen Kerzen zum Kreuz, eine rituelle Kreuzverehrung in Andacht und Würde. – Stille. – Die heilende Kraft entfaltet diese Woche in ihrer Ganzheit und Schönheit Schritt für Schritt. Die alte Liturgie mit dem Mut zur Reduktion ist Grundlage.
- Glaube kann, darf nicht erklärt werden, sondern muss gedeutet werden. Es braucht neue Worte – keine langen Erklärungen –, damit die Glaubensbilder, die tief in uns schlummern, zum Leben erweckt werden, aber es braucht keine neuen Bilder. Glaube lebt von inneren Bildern. Opfer wird von vielen Menschen besser verstanden als von uns Theologinnen und Theologen, als Hingabe und Bild vollkommener Liebe. Treue bekommt durch Opfer eine ganz neue Tiefe. Auch wenn die Erzählungen vom leeren Grab keine historische Relevanz haben, sie bleiben Bilder der Sehnsucht, einer Hoffnung, eines Glaubens, dass Gräber tatsächlich nicht das Letzte sind. Trauergespräche mit Angehörigen von Verstorbenen zeigen mir immer wieder: Die Frage nach Gott, nach dem Ewigen bleibt ein Leben lang bestehen, man wird nie fertig damit. Suchende Menschen gibt es heute genauso viele wie vor fünfzig oder hundert oder tausend Jahren.
- „In der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember, fast auf den Tag genau vor 50 Jahren, irrte ein Student namens Franz durch die Strassen Münsters. Er konnte nicht schlafen. Zu aufgewühlt war er von der Predigt, die er am frühen Abend im Dom gehört hatte von einem jungen Priester und Professor, nur ein paar Jahre älter als er selbst, der Advent und Weihnachten auf ganz neue, ja revolutionäre Art deutete: Die alte Lehre, nach der die menschliche Geschichte sich in die Zeit des Dunkels und die des Heils teilt, die Zeit vor und nach Christi Geburt nämlich, könne doch heute niemand mehr ernst nehmen, sagte der junge Theologe. Wer wolle nach den Weltkriegen, nach Auschwitz und nach Hiroshima noch von der Zeit des Heils sprechen, die vor 2000 Jahren in Bethlehem begonnen habe? Nein, die Grenze zwischen dem Dunkel und dem Licht, zwischen Gefangenschaft und Erlösung, gehe nicht mitten durch die Geschichte, sondern mitten durch unsere Seele. Der Advent [– Ostern –] finde nicht im Kalender statt, sondern in unseren Herzen – oder er breche genau dort ergebnislos ab.“
Medienmitteilung: Katholischer Dialog in der Reihe „Den Glauben neu denken und zur Sprache bringen“ – Karfreitag und Ostern – nicht zerreden, doch feiern
Paul Jeannerat / 19. Januar 2015 (kath.ch)
In liturgischen Feiern findet das Unsagbare einen Ausdruck. Karfreitag und Ostern sollen darum nicht zerredet, sondern gefeiert werden, damit die Glaubensbilder, die in uns schlummern, zum Leben erweckt werden.
Ein Vater, der von seinem Sohn das Opfer seines Lebens verlangt, ist schwer zu vereinen mit dem Bild des gütigen Gottes. Und die Auferstehung des Gekreuzigten von den Toten ist gleichfalls schwer verständlich für aufgeklärte Menschen. Am 32. Katholischen Dialog, der am 19. Januar im RomeroHaus Luzern stattfand, ging es darum, Worte und Rituale für Karfreitag und für Ostern zu finden, die ohne Verrenkungen einen Zugang zum historischen Ereignis ermöglichen und dessen Bedeutung für unsere heutige Zeit ausdrücken. Dass dies schwierig ist, zeigte sich bereits an der Zahl der anwesenden Leute: Etwa 100, zu einem beachtlichen Teil in der kirchlichen Verkündigung tätige Personen zeigten durch ihre Teilnahme ihr Interesse an der Fragestellung. Thesen zu dieser Fragestellung trugen der in Luzern lebende deutsche Theologe Fulbert Steffensky und die in Illnau-Effretikon (ZH) als Gemeindeleiterin tätige Theologin Monika Schmid vor. Moderiert wurde der Dialog von Erwin Koller.
Fulbert Steffenky ging von der These aus, dass wir die Botschaft des Evangeliums immer schon als interpretierte haben und somit auch heute „interpretieren und so retten“ müssen.
So ist die Sühnetheologie, die den Karfreitag prägt, eine Interpretation, die nur schwer zu verstehen ist. „Wir werden ihr ein Bussschweigen verordnen“, sagte Steffensky, denn „kein Blut ist gut, das vergossen wird, auch nicht das Blut jenes Gekreuzigten. Aber gut ist die Güte, die nicht weicht aus unserem eigenen Schicksal. Der Gott der Güte ist in Christus unsere Wege gegangen und unsere Tode gestorben.“
An Ostern die Auferstehung feiern bedeutet: Der Tod hat nicht das letzte Wort. „Was das genau heisst, weiss ich nicht“, bekennt Fulbert Steffensky. „Aber das ist kein Grund, es nicht zu behaupten. Vielleicht kann man es eher singen und tanzen als theologisch behaupten. Kein Wunder, dass es immer wieder Osterspiele gab. Das Spiel der Hoffnung ist angemessener als die theologische Aussage“.
Hier konnte Monika Schmid anknüpfen. Sie erzählte, wie ihre Gemeinde jedes Jahr vom Palmsonntag über den Hohen Donnerstag zum Karfreitag und zu Ostern und Ostermontag „symbolisch feiernd den Weg mit Jesus, dem Christus, geht“. Erstaunlich viele Pfarreiangehörige gehen den Weg mit, besonders junge: „Dreissig Ministrantinnen und Ministranten tragen Kerzen zum Kreuz, eine rituelle Kreuzverehrung in Andacht und Würde“, erzählt Monika Schmid. In die traditionelle Liturgie werden zeitgenössische Gesänge und Riten eingefügt (zum Beispiel ein Song aus Jesus Christ Superstar und Cello-Musik von Johann Sebastian Bach), aber „die alte Liturgie – mit dem Mut zur Reduktion – ist Grundlage“. Und die Feier ist geprägt „von grosser gesammelter Stille“, die Raum lässt für persönliches Nachdenken und Gebet.
Monika Schmid ist überzeugt, dass sich in den Ritualen und Symbolen unser ganzes Leben verdichtet – auch in seinen Grenzerfahrungen von Leid, Schmerz und Tod. „Opfer wird von vielen Menschen besser verstanden als von uns Theologinnen und Theologen, als Hingabe und Bild vollkommener Liebe“, vermutet sie. Und die Gläubigen liessen sich von den Widersprüchlichkeiten in den Erzählungen vom auferstandenen Jesus nicht verunsichern, denn „sie bleiben Bilder der Sehnsucht, Bilder einer Hoffnung, dass Gräber tatsächlich nicht das Letzte sind. Die Frage nach Gott, nach dem Ewigen bleibt ein Leben lang bestehen“.