Keines der christlichen Feste ist in der grossen Öffentlichkeit so erfolgreich wie Weihnachten. Wenn es um Tannenbaum, Hirten, Engel, Weihnachtsmann, Christkind und Könige aus dem Morgenland geht, schlagen Kitsch und Kommerz erbarmungslos zu. Wie kann in dieser Situation das Geheimnis der Menschwerdung Gottes verkündet werden? Predigerinnen und Prediger haben verständlicherweise ihre Mühe, und kirchliche Weihnachtslieder sind wenig hilfreich.
So sind Exegetinnen gefordert, die mit historisch-kritischem Fachwissen die Geschichten über die Geburt Jesu von Nazareth erst mal verfremden und so neu zugänglich machen. Welches Geheim-nis steckt in dem, was wir die Menschwerdung Gottes nennen? Welche Engel bringen geistliche Nahrung in die Trostlosigkeit der Welt? Wo gibt es neue liturgische Wege, welche die verkrusteten Weihnachtsrituale aufbrechen und Menschen in Bewegung versetzen? Ein erfahrener Professor und eine junge Theologin legen ihre Erfahrungen und Reflexionen zum Weihnachtsfest vor.
Hermann Josef Venetz, Prof. emer. für neutestamentliche Exegese, Universität FR/CH
Die Aktualisierung biblischer Texte im Hinblick auf Predigt und Katechese war seit je zentrales Ziel seiner Lehrtätigkeit, und über seine Forschungen zur Kindheitsgeschichte Jesu nach Lukas hat er auch publiziert (Der Evangelist des Alltags).
I. Grundsätzliches
Alle, welche Dich suchen, versuchen Dich.
Und die, so Dich finden,
Binden Dich an Bild und Gebärde.
Ich aber will Dich begreifen,
wie die Erde begreift.
Mit meinem Reifen reift Dein Reich.
Ich will von Dir keine Eitelkeit, die Dich beweist.
Ich weiss, dass Deine Zeit anders heisst als Du.
Tu mir kein Wunder zulieb
Gib Deinen Gesetzen Recht,
die von Geschlecht zu Geschlecht
sichtbarer sind.
Rainer Maria Rilke 1875–1926 (aus dem Buch von der Pilgerschaft, 1901)
II. Hermeneutisches
- Zu allen gehören auch die biblischen Schriftsteller. Mit ihren Geschichten und Erzählungen, mit ihren Gebeten und Hymnen, mit ihren Bildern und Gleichnissen sind sie suchend unterwegs. In der Meinung, es zu finden oder gefunden zu haben, legen sie es fest, vereinnahmen es.
- Zu allen gehören auch Lukas und seine Quellen. Besonders bedeutsam ist hier das Genus literarium der Haggada. Sie erzählt durchaus geschichtliche Ereignisse; aber der Erzähler ist an ihrer Geschichtlichkeit nur insofern interessiert, als es ihm gelingt, erbauend, schildernd, fabulierend das zum Ausdruck zu bringen, was den Glauben trägt und für ihn bedeutsam ist (kreative Geschichtsschreibung).
- Zu allen gehören auch die jeweiligen Leserinnen (beachte die Unterscheidung erzählte Welt – besprochene Welt); auch sie suchen und versuchen, binden und machen fest. Vergleiche dazu die den Texten oft wenig gerecht werdenden Krippendarstellungen, Krippenspiele, Weihnachtslieder, Predigten usw.
III. Exegetisches
…wird in einem Kurzreferat erläutert.
Andrea Meier, Leiterin der Fachstelle Kinder und Jugend der kath. Kirche Region Bern
Sie hat sich an der Entwicklung von urbanen Weihnachtsprojekten beteiligt (u.a. Züri-Krippe im jenseits IM VIADUKT, Lichtermeer auf dem Berner Bahnhofplatz) und berichtet von den Erfahrungen mit dem Advents-SMS-Dienst smas.ch.
- Inkarnation kann heute so klingen: Gott interessiert sich für die Welt mit allem, was dazu gehört. Er/Sie interessiert sich für meine Realität, für mich.
- Weihnachten hat einen Zauber, der die Schwelle zur Kirche senkt und zum Mitmachen einlädt.
- Weihnachten ist ein Patchwork-Fest aus Geschichten, Traditionen, Gepflogenheiten, Erinnerungen … und deshalb potentiell offen für ‚neue‘ Traditionen.
Medienmitteilung: Katholischer Dialog in der Reihe ‚Neue Glaubenssprache‘
Weihnachten – Wie reden von «Gott in Welt»?
Paul Jeannerat / Luzern, 18.11.2014 (Kipa)
Statt den weihnachtlichen Kitsch und Kommerz zu beklagen, darf die kirchliche Pastoral kreativ mit dem säkularisierten Weihnachtsbrauchtum umgehen. Denn schon die Evangelisten haben «erbauend, schildernd, fabulierend» die Botschaft von der Menschwerdung Gottes erzählt. In gleicher Weise dürfen Christen auch heute den Glauben mit neuen Traditionen ausdrücken. Diese ermutigende Einsicht ergab sich aus dem 31. Katholischen Dialog vom Montag, 17. November, der sich der Frage stellte, wie der christliche Inkarnationsmythos heute zu feiern sei.
Einen ersten Impuls bot Hermann-Josef Venetz, der als emeritierter Professor für Neues Testament in Freiburg (Schweiz) seine Forschung der Aktualisierung biblischer Texte im Hinblick auf Predigt und Katechese gewidmet hat. Er legte dar, wie der Evangelist Lukas die Botschaft von der Menschwerdung Gottes in Form kreativer Geschichtsschreibung verkündet, indem er erbauend, schildernd, fabulierend das zum Ausdruck bringt, was den Glauben trägt.
Botschaft von der Menschwerdung auch in Gleichnissen
So sollten auch Christen die Weihnachtsgeschichten immer wieder lesen und sich auf ihre Weise dem Glaubensgeheimnis nähern. Dabei sei die Botschaft von der Menschwerdung nicht nur in den Weihnachtsgeschichten enthalten, sondern auch zum Beispiel in den Gleichnissen vom Reiche Gottes.
Einen zweiten Impuls bot Andrea Meier, Leiterin der Jugendseelsorge des Dekanates Bern. Sie hat sich an der Entwicklung von urbanen Weihnachts-Projekten beteiligt, etwa an der Stadt-Krippe in Zürich, dem Lichtermeer auf dem Berner Bahnhofplatz oder dem Advents-SMS-Dienst smas.ch.
‚Patchwork-Fest‘ für Jugendliche
Für die Jugend von heute sei Weihnachten ein «Patchwork-Fest aus Geschichten, Gepflogenheiten, Erinnerungen und deshalb potentiell offen für neue Traditionen», sagte Meier. Und da Weihnachten «ein Zauber innewohnt, der die Schwelle zur Kirche senkt und zum Mitmachen einlädt», dürfe die Jugendpastoral neue Riten ausprobieren und kreieren. Dabei mag die Botschaft von der Inkarnation aus Sicht der Theologin so klingen: «Gott interessiert sich für die Welt mit allem, was dazu gehört. Er interessiert sich für meine Realität, für mich.»
Die begeisternde Art der jungen Theologin belebte die vom Journalisten Erwin Koller geleitete Diskussion. Die rund 50 Zuhörer stellten sich die Frage, ob nicht auch in der «Pastoral der Erwachsenen» mehr Freiheit bestehen würde, «ein grösserer Spielraum» auszunützen wäre – so wie schon der Evangelist Lukas die Frohe Botschaft mit grosser Phantasie verkündet hat.