Zur ökumenischen Debatte um die Marktlogik
Die Machenschaften der Superreichen, um ihre exorbitanten Gewinne vor dem Fiskus zu verstecken, die endlose Griechenlandtragödie, die notorische Überbewertung des Frankens, das Dauerthema der Korruption in den meisten Ländern oder der absurd tiefe Ölpreis, der das ökologische Bewusstsein austrickst sind nur einige der Marktthemen, die die tägliche Berichterstattung beherrschen. Eine Lösung all dieser Probleme scheint unmöglich — und dennoch ist die Wirtschaft von Menschen gemacht und nicht vom Himmel gefallen.
Haben wir uns in Ausweglosigkeiten manövriert, denen wir selbst nicht mehr Herr werden? Haben die Kirchen Alternativen anzubieten? Gibt es diesbezüglich konfessionelle Unterschiede oder gemeinsame Strategien? Am 5. Juni kann der Schweizer Souverän über ein Grundeinkommen befinden, wie es ähnlich auch in Kanada und Finnland diskutiert wird. Ist es ein Ausweg aus der Marktlogik?
Je ein reformierter und ein katholischer Fachmann initiieren diesen Dialog und stellen sich dem Gespräch.
Beat Dietschy
Dr. theol., reformierter Theologe und Philosoph. Er hat einige Jahre in Lateinamerika verbracht und sich intensiv mit der Befreiungstheologie auseinandergesetzt. Er war von 2007-2015 Geschäftsleiter von Brot für alle. Publiziert hat er u.a. zu wirtschaftsethischen Fragen (Kein Raum für Gnade. Weltwirtschaft und christlicher Glaube 2001) und zur «Ökonomie des Lebens».
- These: Unsere moderne Zivilisation muss sich grundlegend wandeln, wenn sie ein Leben in Würde für künftige Generationen auf dem Planeten Erde erhalten will. Im Zentrum dieser Transformation steht die Überwindung der selbstzerstörerischen Wachstumsmanie der kapitalistischen Wirtschaftsform.
In vielen Bereichen sind die Grenzen der Belastbarkeit der Ökosysteme erreicht, teilweise bereits überschritten. «Weiter so wie bisher ist keine Option» (Ban Ki-moon). Gesucht wird ein sozial gerechter Entwicklungsweg für alle, der innerhalb der Grenzen der Lebenserhaltungssysteme der Erde verläuft. Dafür sollten wir uns mit der Frage auseinandersetzen: Wie sind wir an diesen Punkt gelangt, an dem wir in planetarem Ausmass erleben, dass die Effekte unseres eigenen Handelns lebensbedrohlich auf uns zurückschlagen? Die Ökonomie ist nur eines der Felder, auf denen wir die Antworten zu suchen haben.
- These: Eine Transformation der Gesellschaft braucht neben einer radikalen Kritik auch Visionen für ein anderes Zivilisationsmodell und ein anderes Wirtschaften. Die Kirchen haben dazu Wesentliches beizutragen. Als ein Wegweiser kann das ökumenische Narrativ einer „Ökonomie des Lebens“ dienen.
Namentlich die jüngsten Verlautbarungen des Papstes und des Ökumenischen Rates der Kirchen haben in auffallender Übereinstimmung «die zerstörerischen Auswirkungen des Imperiums des Geldes» und die «sakralisierten Mechanismen des herrschenden Wirtschaftssystems» (EG: Ziff. 54) angeprangert, sowie das «in den ungerechten Gesellschaftsstrukturen kristallisierte Böse» (EG: Ziff. 59) namhaft gemacht und zur Entwicklung einer lebensdienlichen Ökonomie aufgerufen.[1]
- Frage: Dämonisieren der Papst und der Ökumenische Rat der Kirchen mit ihren Aussagen die Wirtschaft oder tragen sie zu befreiendem Erkennen von Strukturen bei, die versklaven und töten? Braucht Ökonomiekritik auch eine Kritik an Götzendienst? Worauf bezieht sich diese?
[1] Das Apostolische Schreiben Evangelii Gaudium (EG) von Papst Franziskus und die von der 10. Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Busan 2012 angenommenen Dokumente, insbesondere „Gemeinsam für das Leben“, „Ökonomie des Lebens, Gerechtigkeit und Frieden für alle. Ein Aufruf zum Handeln“ und das Diakonie-Dokument (2013) sowie die in Busan zitierte São Paulo-Erklärung (2012).
Thomas Wallimann-Sasaki
Dr. theol., katholischer Theologe. Er leitet das Sozialinstitut der Kath. ArbeitnehmerInnen-Bewegung (KAB), ist Präsident der bischöflichen Kommission Justitia et Pax und an verschiedenen Fachhochschulen als Dozent für Wirtschaftsethik tätig. Als Sozialethiker wie auch Nidwaldner Landrat beschäftigt er sich u.a. mit der Katholischen Soziallehre und ihrem Einfluss auf den konkreten wirtschaftlichen und politischen Alltag
- These: Ökonomie ist eine Glaubenssache – keine Naturwissenschaft.
Die Wirtschaftswelt ist geprägt von Zahlen, Formeln und graphischen Darstellungen. Diese erwecken den Eindruck von Genauigkeit und Exaktheit. Sie bilden aber auch die Grundlage für Sachzwänge und mechanisches Denken, das an die Naturgesetze der Naturwissenschaften erinnert. Werte werden häufig auf Zahlen reduziert. Ökonomie ist aber keine Naturwissenschaft, sondern die Kunst, den Haushalt zu ordnen – im Kleinen wie im ganz Grossen.
- These: Das Menschenbild eines «reinen» Marktes erinnert an das Spiel «Monopoly» – nur einer gewinnt.
Hinter dem Rückgriff auf Marktmechanismen und –zwänge steckt ein Menschenbild, das Konkurrenz und Wettbewerb und damit die Ungleichheit der Menschen für entscheidend hält. Der «homo oeconomicus» – auch wenn inzwischen stark relativiert – entfaltet in wirtschaftspolitischen Diskussionen weiterhin seine grosse Wirkung.
- These: Markt und Wirtschaft brauchen ethische Ziel- und Sinnvorgaben.
Der Sinn des Wirtschaftens erschliesst sich nicht aus dem Wirtschaften selber. Entsprechend braucht auch der Markt Zielvorgaben, die nicht aus der Ökonomie stammen. Diese Sinnorientierung speist sich aus philosophischen und religiösen Quellen. Personalitäts-, Solidaritäts-, Subsidiaritäts-, Gemeinwohl- und Nachhaltigkeitsprinzip sind solche Orientierungshilfen, die die Werthaltigkeit von Markt und ökonomischem Denken und Handeln ausmachen.
Medienmitteilung: Auf dem Weg zu einer „Wirtschaft des Lebens“
Alois Odermatt / 23. Mai 2016
Das Imperium der Geldwirtschaft schlägt zurück. Die Wachstumsmanie wirkt zerstörerisch. Wir erfahren es täglich, zunehmend in erschreckendem Ausmass. Es zeigt sich: Unsere Zivilisation muss sich grundlegend wandeln. Wir brauchen Visionen für eine lebensdienliche Ökonomie. In auffallender Übereinstimmung rufen dazu der Ökumenisch Rat der Kirchen und der Bischof von Rom auf. Solche Visionen sind konkret: Wirtschaft kommt erst dann zum Blühen, wenn sie sich im Dienst des Lebens entfaltet. – Dies ist die Hauptaussage des 41. Dialogs vom 23. Mai 2016 im RomeroHaus Luzern.
Die Dialoge offener Katholizität stellten im Bildungsjahr 2015-2016 „prophetische Einwürfe zu gesellschaftlichen Brennpunkten“ vor. Der 41. Dialog schloss die Reihe unter dem Stichwort „Mammon oder Mensch“ ab. Zwei Fachleute stellten eindringliche Thesen zur Diskussion.
Die Wirtschaft braucht Ziele und Sinnorientierung
Der Theologe und Sozialethiker Thomas Wallimann-Sasaki leitet das Sozialinstitut der Katholischen ArbeitnehmerInnen-Bewegung (KAB), ist Präsident der Kommission JUSTITIA ET PAX der Schweizer Bischofskonferenz und ist Dozent für Wirtschaftsethik. Er wies auf eine erstaunliche Tatsache hin: Die Ökonomie verkündet ihre eigenen „Glaubenssätze“, die mit Zahlen und grafischen Darstellungen auftreten, den Eindruck von Genauigkeit erwecken und die Wirtschaftswelt mit Sachzwängen verbinden. Hiermit offenbart sie ein Menschenbild, das Konkurrenz, Wettbewerb und die Ungleichheit der Menschen für entscheidend hält und jene Sinnorientierung missachtet, die ihr religiöse und philosophische Quellen anbieten: im Blick auf Personalität, Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit.
Die Kirchen haben Wesentliches beizutragen
Der reformierte Theologe und Philosoph Beat Dietschy hat sich in Lateinamerika mit der Befreiungstheologie auseinandergesetzt, war von 2007-2015 Geschäftsleiter von „Brot für alle“ und hat Schriften zur „Ökonomie des Lebens“ veröffentlicht. Er unterstrich nun: Das unbegrenzte Wirtschaftswachstum ist mit den planetaren Grenzen nicht zu vereinbaren. Zu einer Umorientierung haben die Kirchen Wesentliches beizutragen. Namentlich die jüngsten Verlautbarungen des Papstes und des Ökumenischen Rates der Kirchen haben „die zerstörerischen Auswirkungen des Imperiums des Geldes“ und die „sakralisierten Mechanismen des herrschenden Wirtschaftssystems“ angeprangert, das „in den ungerechten Gesellschaftsstrukturen kristallisierte Böse“ namhaft gemacht und zur Entwicklung einer lebensdienlichen Ökonomie aufgerufen.
Irrige Glaubenssätze sind zu durchschauen
In der Diskussion wurde betont, dass kirchliche Kreise wenig Erfahrung damit haben, irrige „Glaubenssätze“ zu erkennen, versklavende Strukturen zu entlarven und Experimente einer Gemeinwohl-Ökonomie anzustossen, die auf Personalität, Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit baut. Aber nicht nur den kirchlichen, auch den wirtschaftlichen Kreisen selbst mangle es offenbar an ganzheitlichem ökonomischem Wissen.
Moderator des Dialogs war der Theologe Thomas Staubli, Dozent für Altes Testament an der Universität Freiburg (Schweiz) und Mitbegründer des dortigen BIBEL+ORIENT Museums.