Zwei sich widersprechende Gefühle haben sich in der Seele vieler Schweizerinnen und Schweizer eingenistet. Das eine Gefühl ist die Gleichgültigkeit, wenn nicht gar Antipathie gegenüber allem, was mit Kirche zu tun hat. Den einen ist sie zu traditionell, den anderen spricht sie angesichts ihres unnachhaltigen Lebensstils zu sehr ins Gewissen, die dritten wissen gar nicht mehr, was Kirche ist. Das andere Gefühl ist die Angst vor dem Untergang des christlichen Abendlandes, das freilich – falls es überhaupt existiert – am ehesten durch diese Kirchen repräsentiert wird.
Es sind Gefühlslagen in einer zunehmend säkularen Gesellschaft, die zugleich mit fundamentalistischen Protestbewegungen zu kämpfen hat. Wie sollen wir mit dieser Situation umgehen? Welche theologischen, soziologischen oder psychologischen Kategorien können uns helfen, sie besser zu verstehen? Wohin soll der Weg gehen?
Die Analysen von Arnd Bünker und die Erfahrungen von Roman Ambühl helfen bei der Auslegungsordnung. Sie hinterfragen die gängigen Stereotype, Rollenmuster und Label und sind sich darin einig, dass der Säkularismus nicht das Problem ist, sondern die Herausforderung, die nach neuen Positionen und Kategorien ruft.
Arnd Bünker
Arnd Bünker (*1969) studierte katholische Theologie und Sozialpädagogik. Er wurde mit einer Dissertation zur missionarischen Kirche promoviert und arbeitet seit 2009 als Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) in St. Gallen. In dieser Funktion ist er auch geschäftsführender Sekretär der Pastoralkommission der Schweizer Bischofskonferenz.
Den „Sitz im Leben“ des heutigen Säkularismus verstehen
Säkularisierung und Religionspluralisierung sind globale Megatrends die ebenso widersprüchlich sind, wie sie zusammengehören. Der „Säkularismus“ hat seinen Ort, seinen „Sitz im Leben“, in diesem unübersichtlichen Kontext. Der „Säkularismus“ entspricht häufig spiegelbildlich gerade solchen Formen von Religion, die fundamentalistisch (und damit für die Freiheit der Menschen bedrohlich) sind oder so erscheinen. Säkularismus und Fundamentalismus sind „Einfach-Konzepte“.
Den Rückgriff auf Stereotype des 19. Jahrhunderts entlarven
Gegenwärtig werden angesichts neuer und pluraler Formen von Religion (und damit auch neuer realer oder „gefühlter“ Bedrohlichkeiten, die mit Religion in Verbindung stehen oder gebracht werden) auch alte Stereotypen aus der Geschichte der Auseinandersetzung mit den traditionellen Religionsformen der Schweiz wiederbelebt. Dann feiern Themen, Bilder und Vorurteile aus der Zeit des Antimodernismus und des Ultramontanismus fröhliche Wiederkehr. Die gegenseitigen Feindbilder scheinen dann klar zu sein. Gerade durch den Rückgriff auf die alten Muster und Denkformen zeigen der Säkularismus und genauso auch fundamentalistische Religionsformen häufig eine holzschnittartige Darstellung der Dinge, sowohl im Blick auf Religion als auch im Blick auf die Aufklärung. Beides wird typologisch, antagonistisch und einseitig, aber nicht realistisch gesehen.
Nicht in alte Rollenmuster fallen
Zur Neubestimmung ihres Ortes in der heutigen Schweiz sollten die Kirchen nicht der kurzsichtigen Logik säkularistischer oder religiös-fundamentalistischer Diskurse folgen (und sich damit wieder in die antiaufklärerische Ecke stellen (lassen), sondern überlegen, wie eine Positionierung von Religion in der heutigen Gesellschaft vorgenommen werden kann, die der doppelten Pluralität in Gesellschaft und Religionen entspricht.
Diskurse neu „labeln“ – weg von falschen Alternativen und offen für neue Perspektiven
Unreflektierte und vor allem funktionalisierende Religionsfeindlichkeit muss als solche enttarnt werden. Hier sind die Diskurse in der Gesellschaft genau zu prüfen und zu hinterfragen. Warum werden beispielsweise Kleidungsfragen exklusiv als Fragen im Religionszusammenhang (z.B. „Burkini“) thematisiert, wo es auch andere, säkulare Diskussionsebenen und -ausdrucksformen gäbe (z.B. „Badekleid“; ein Begriff, der unter modischen, gesundheitlichen oder anderen „säkularen“ Perspektiven Anschluss finden könnte).
Literaturhinweise:
- Spätherbst 2016: Judith Albisser, Arnd Bünker (Hg): Kirchen in Bewegung. Christliche Migratiosgemeinden in der Schweiz, St. Gallen 2016.
- Arnd Bünker, Hanspeter Schmitt (Hg.): Familienvielfalt in der katholischen Kirche. Geschichten und Reflexionen, Zürich 2015.
- Arnd Bünker, Christoph Gellner (Hg.): Kirche als Mission. Anstiftungen zu christlich entschiedener Zeitgenossenschaft, Zürich 2011.
Roman Ambühl
Roman Ambühl (*1971) Roman Ambühl ist Sinnsorger, Familienmensch, Theologe, Careteam-Leiter, Supervisor, Organisationsberater, kreativer Praktiker, politisch engagierter Mann und vieles mehr…
Säkularismus, wo ist das Problem?
Unsere Brille bestimmt unsere Sicht – Welt- und Gottesbilder neu denken!
Hinter den Begriffen Säkularismus und Säkularisierung stecken ein dualistisches Weltbild und ein damit verbundenes monarchisches Gottesbild, die wir zu überwinden haben. Dass diese leider weitgehend noch in den Köpfen der Menschen wirken und auch entsprechende Menschenbilder implizieren, hat die kirchliche Verkündigung mit zu verantworten! Eine offizielle kirchliche Theologie, die die Realität hierarchisierend aufteilt in einen irdisch-zeitlichen und einen ewig-göttlichen Bereich, verrät in sich bereits zentrale Aussagen des christlichen Glaubens.
Die Inhalte zählen – Nicht überall wo Gott drauf steht, ist Gott drin und umgekehrt!
Kirchenferne und -unerfahrene Menschen sind in der Gestaltung von Lebensfeiern sehr wohl offen für die Erfahrungen und die Bedeutung, die ein lebensförderliches und verbindendes Gottesverständnis impliziert. Leider assoziieren sie oft alte, überholte Vorstellungen mit dem Begriff „Gott“ und sind dankbar, wenn das „G-Wort“ nicht explizit oder nicht zu offensiv erwähnt wird. Im Vertrauen auf „Gottes Geistkraft, wirksam in allen Dingen“ gehe ich da als Seelsorger gerne kreativ mit.
Religion im Ur-Wortsinn verstehen – Den Blick für das Verbundene und Verbindende schärfen!
Religion hat zwei mögliche Bedeutungen: Rück-Bindung (re-ligio) an das Bleibende, Tragende (theologisch: Gott) und Neu-Lesung (re-legio – Relecture) eine gewählte Sicht auf die Welt, die tiefer blicken will und mit göttlicher Wirkung in dieser Welt rechnet und auf ihre tragende Grundlage vertraut. Das Ziel ist die Überwindung der trennenden Sonderung (Sünde) vom göttlich überquellenden Fluss der Liebe und des Lebens (s. a. Brunnenvision von Bruder Klaus).
Linktipps:
- Zur Entwicklung von Gottesbildern – Gott 9.0: gott90.de
- Richard Rohrs neues Buch zur Trinität (leider erst angekündigt und erst auf Englisch): http://thedivinedance.org/
- Center of Action and Contemplation (Richard Rohr): cac.org
Medienmitteilung: In einer säkularisierten Welt den Glauben weitergeben
Paul Jeannerat/24. Oktober 2016
Die Schweiz ist ein säkularisiertes Land, und gerade deshalb ist sie anfällig für fundamentalistische Erklärungen von Welt und Gesellschaft. Zur stets notwendigen Neubestimmung ihres Ortes im Heute müssen die Kirchen säkularistische und fundamentalistische Denkformen als „Einfach-Konzepte“ entlarven und unreflektierte, funktionalisierende Religionsformen enttarnen. Den Glauben an die kommenden Generationen weiterzugeben gelingt nur, wenn dabei von der säkularen Welt ausgegangen wird und pseudo-religiöse Werte hinterfragt werden.
So lassen sich die Thesen und Diskussionen des 42. Dialogs zusammenfassen, den das Forum für offene Katholizität (FOK) am 24. Oktober 2016 im RomeroHaus Luzern durchführte. Das FOK widmet die fünf Dialoge im Bildungsjahr 2016/17 dem Thema „Säkularismus als Herausforderung“. Ausgehend von der Beobachtung, dass weltweit die Tendenz wächst, religiöse, politische und wirtschaftliche Positionen fundamentalistisch zu begründen, wollen die Dialoge analysieren, welche theologischen, soziologischen und psychologischen Kategorien den Kirchen helfen können, sich in der zunehmend säkularisierten Welt zurecht zu finden und den Glauben an die kommende Generation weiter zu geben.
Impulse zur Diskussion über die Ausgangsfrage „Säkularismus als Herausforderung“ legten zwei Persönlichkeiten vor, die in unterschiedlicher Weise in der Kirche tätig sind: Arndt Bünker, Leiter des Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) in St. Gallen, als Wissenschaftler und Roman Ambühl, freischaffender Theologe und Berater, wohnhaft in Cham, als Praktiker.
Arndt Bünker bezeichnete Säkularisierung und Religionspluralisierung als globale Megatrends, „die ebenso widersprüchlich sind, wie sie zusammengehören“. In empirischen Untersuchungen hat er beobachtet, wie mit neuen Formen von Religion auch traditionelle Religionsformen wiederbelebt werden: „Themen, Bilder und Vorurteile aus der Zeit des Antimodernismus und des Ultramontanismus feiern fröhliche Wiederkehr“. Säkularismus und genau so fundamentalistische Religionsformen zeigen eine holzschnittartige Darstellung der Dinge und sind somit „Einfach-Konzepte“, die kurzfristig vernünftig scheinen, langfristig aber gefährlich sind.
Roman Ambühl stellte fest: „Hinter den Begriffen Säkularismus und Säkularisierung stecken ein dualistisches Weltbild und ein damit verbundenes monarchisches Gottesbild, die wir zu überwinden haben“. Mitverantwortlich dafür ist auch jene offizielle kirchliche Theologie, die die Realität hierarchisierend aufteilt in einen irdisch-zeitlichen und einen ewig-göttlichen Bereich und damit zentrale Aussagen des christlichen Glaubens verrät. Darum fordert Ambühl, Religion müsse in ihrem Ur-Wortsinn verstanden werden: als Rück-Bindung (re-ligio) an das Bleibende, Tragende (Gott) und als Neu-Lesung (re-legio) der Welt, die mit göttlicher Wirkung rechnet und auf ihre tragende Grundlage vertraut.
„Markenzeichen“ der Katholischen Dialoge ist die dialogische Struktur des Anlasses: Für das Gespräch unter allen Anwesenden ist viel Zeit reserviert. Dieses Mal waren etwa 30 Frauen und Männer anwesend, die mit ihren Fragen und zusätzlichen Bemerkungen ein brennendes Interesse für „Säkularismus als Herausforderung“ bewiesen. Ein Teilnehmer erzählte von den drei Generationen: von der Grossmutter, welche ihr traditionelles religiöses Leben pflegt, von der Tochter, die sich gegen ritualisierte Religion wehrt und darum Glaube und Kirche ablehnt, und vom Kind, das keine religiösen Wurzeln mehr hat. Die Mutter aber lehrt ihrem Kind die Gerechtigkeit hoch zu schätzen und die Natur zu bestaunen. Lernt das Kind in dieser ent-sakralisierten Welt nicht doch etwas Wesentliches des Glaubens kennen?
Das Gespräch wurde geleitet von Thomas Staubli, Dozent für Altes Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg. Mit einem Hinweis auf die ergrauten Haare der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bat der Moderator alle Anwesenden, zum nächsten Dialog eine Person „der nächsten Generation“ mitzunehmen.
Herzlichen Dank für den spannenden und bereichernden Dialog! 🙂
Hier gern noch der Link zum erwähnten Buch von Catherine LaCugna
https://www.amazon.com/God-Us-Trinity-Christian-Life/dp/0060649135
und eine Würdigung desselben.
http://www.academia.edu/4128373/GOD_FOR_US_AND_WITH_US_THE_CONTRIBUTIONS_OF_CATHERINE_LACUGNAS_TRINITARIAN_THEOLOGY
Hier geht’s zum neuen Buch von Richard Rohr
http://thedivinedance.org/