Antichristianismus ist fast nur in Ländern ein Thema, wo es zu Gewalt gegen Christen oder christliche Einrichtungen gekommen ist, wie zum Beispiel in Nigeria, Ägypten, dem Nahen Osten, aber auch in skandinavischen Ländern und den USA. Bei uns sind antichristliche Gefühle oder Handlungen kein Thema, über das gesprochen oder berichtet wird. Dennoch ist das Thema nicht abwesend.
Ein kritischer Blick in die Schweizer Medienlandschaft zeigt, dass christliches Selbstverständnis und Engagement nicht sachgerecht abgebildet wird. Vorurteile und Unwissenheit bei Journalisten führen zu einer ungenügenden oder gar falschen Darstellung der christlichen Kultur unseres Landes. Eine tendenziell negative Darstellung des Christentums wird dazu benutzt, die vermeintlich aufgeklärte, säkulare Agenda zu bewirtschaften. Das unausgesprochene Malaise unter Christen und die gesellschaftliche religiöse Verdummung kann dazu führen, dass christliche Kreise leichter Allianzen mit populistische Politik eingehen. Ansätze dazu lassen sich in verschiedenen Ländern beobachten.
Das Thema wurde an der Tagung von Thomas Staubli und Erwin Koller beleuchtet, der für den erkrankten Uwe Justus Wenzel einsprang Die Moderation hatte Josef Estermann.
Thomas Staubli (*1962) hat in Fribourg, Jerusalem, Berlin und Bern Theologie und Altorientalistik studiert, in St. Gallen von 1989-1994 die Bibelpastorale Arbeitsstelle des Bistums St. Gallen aufgebaut und in Fribourg von 1999-2012 das BIBEL+ORIENT Museum mitbegründet und bewirtschaftet. Er unterrichtet und erforscht das Alte Testament und seinen altorientalischen Kontext an den Universitäten von Fribourg und Bern und ist Seelsorger in der Pfarrei Bösingen/Laupen. Seit 2015 moderiert er die Katholischen Dialoge.
Antichristianismus ist in den Schweizer Medien verbreitet und wird nicht als Problem erkannt
Unter Antichristianismus verstehe ich im Folgenden die tendenzielle Ausklammerung und Verzerrung des Christentums in den hiesigen Mainstream-Medien.
- Eine Mischung aus Unwissenheit, Vorurteilen, Projektionen, Kirchendistanz und eingebildeter Aufgeklärtheit bei vielen Journalistinnen und Journalisten führt heute in den meisten hiesigen Massenmedien dazu, dass christliches Selbstverständnis und Engagement gar nicht, ungenügend oder verzerrt abgebildet wird. Es ist ein Prozess, der subtil, weitgehend unbemerkt und daher auch unkommentiert vor sich geht, ein Prozess, der als Teil einer quasi «natürlichen» Säkularisierung hingenommen wird. Ich habe ihn illustriert am Beispiel einer Wissenschaftsreportage im Magazin «Horizonte» des Schweizer Nationalfonds über neue Erkenntnisse der biologischen Geschlechterforschung.[1] Darin wird eine verzerrte Form des Christentums als Negativfolie zur pointierten Darstellung der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse verwendet. Dem Christentum werden Etiketten angehängt, die gerade nicht christlich sind, sondern typisch für die konservative bürgerliche Gesellschaft.
- Die tendenzielle, falsche Identifikation von Christentum und bürgerlichem Konservativismus führt dazu, dass a) progressiv christliches Gedankengut und Engagement kaum wahrgenommen wird und medial unterrepräsentiert ist und dass es b) an einer angemessenen Empathie mit dem Christentum als weltweit verfolgter Religion mangelt und die mediale Information darüber hierzulande von fast beklemmender Dürftigkeit ist.
- In den USA schlagen konservative Kreise daraus politischen Profit, indem sie der Elite in Washington Antichristianismus unterstellen und ihre eigenen konservativen Werte als die christlichen schlechthin ausgeben. Einige dieser Kreise haben Donald Trump unterstützt. Ähnliche Phänomene gibt es in Europa bereits in Polen und Frankreich und sie werden wohl eher noch zunehmen. Die tendenzielle Verleugnung des christlichen Erbes, das tendenzielle Schweigen angesichts von Gewalt gegen Christen in der Welt und die mangelnde oder gar einseitig negative Information über christliches Gedankengut und Engagement in Kombination mit einer gleichzeitig starken Beschäftigung mit Migration und Minoritätenreligionen fördert das religiöse Nicht-, Halb- und Falschwissen und könnte auch hierzulande zu einem unausgesprochenen Malaise der christlichen Bevölkerung führen und schlimmstenfalls zu einer nicht wünschenswerten Verbindung mit christlicher Abendlandromantik und populistischer und rassistischer Politik.
[1] http://www.feinschwarz.net/die-fehlende-religioese-aufklaerung-der-aufgeklaerten/
Erwin Koller (*1940) hat in Innsbruck, Rom, Freiburg/CH und Zürich katholische und protestantische Theologie sowie Philosophie und Publizistikwissenschaft studiert. Nach sechs Jahren Seelsorgetätigkeit war er 1979-2002 als Redaktionsleiter beim Schweizer Fernsehen verantwortlich für religiöse, gesellschaftspolitische und medienkritische Gefäße. U.a. entwickelte er 1994 die Sendung «Sternstunden». An den Universitäten Fribourg und Zürich unterrichtete der mehrfach preisgekrönte Journalist Medienethik. Seit 2013 präsidiert er die Ernst-Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche.
Pressebericht von Paul Jeannerat
Luzern, 30. Januar 2017
Anti-Christianismus ist in den Schweizer Medien verbreitet, wird aber nicht als Problem wahrgenommen. Dies führt zu einem Malaise in der Bevölkerung und begünstigt konservativ-populistische Politik. Höchste Zeit, die vitalen und bis heute revolutionären Traditionen des Christentums hervorzuheben!
So lautet eine These, die am 44. Dialog des Forums für offene Katholizität, am 30. Januar 2017 im RomeroHaus Luzern, diskutiert wurde. Der Dialog stand unter dem Titel „Säkularer Anti-Christianismus“ und war der dritte der Reihe des Bildungsjahres 2016/2017, die dem Thema „Säkularimus als Herausforderung“ gewidmet ist.
Zuerst referierte der promovierte Theologe Thomas Staubli. Er lehrt an der Universität Freiburg/CH Theologie des Altes Testaments und wirkt als Seelsorger in der Pfarrei Bösingen FR/Laupen BE. Seine Thesen klangen provokant:
Das Christentum in seinem Selbstverständnis und Engagement wird in den Schweizer Medien häufig nicht sachgerecht dargestellt. Unwissenheit und Vorurteile führen zu unpräziser und falscher Berichterstattung. Dem Christentum werden Eigenschaften angehängt, die gerade nicht christlich, sondern typisch für die konservativ bürgerliche Gesellschaft sind. Auf diese Weise wird subtil Anti-Christianismus verbreitet. Dieser Vorgang geht weitgehend unbemerkt und auch unkommentiert vor sich und wird darum nicht als Problem erkannt, sondern als Teil einer quasi „natürlichen“ Säkularisierung hingenommen. Progressiv christliches Gedankengut und Engagement wird kaum wahrgenommen und es fehlt an einer angemessenen Empathie mit dem Christentum als weltweit verfolgter Religion.
Thomas Staubli belegte diese Beobachtungen mit einem Beispiel aus einem renommierten Forschungsmagazin, das eine verzerrte Form des Christentums als Negativfolie zur pointierten Darstellung von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen verwendet hat. Und mit einem Beispiel aus einer Boulevardzeitung: Mit der Foto einer Kirche und der Überschrift „Pädophiler (90) betastet Mädchen in der Kirche“, wird suggeriert, dass sich „schon wieder“ ein Kirchenmann eines sexuellen Übergriffs schuldig gemacht hat. Solche Beispiele gibt es viele. Staubli fügte an: „Dies ist nur die Spitze des Eisbergs!“
Josef Estermann, zuständig für Grundlagen und Forschung bei Commundo im RomeroHaus, leitete anschliessend das Podiumsgespräch mit Thomas Staubli und dem ehemaligen Fernsehjournalisten Erwin Koller (der für den erkrankten Uwe Justus Wenzel einsprang) und mit den etwa 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Die Feststellung, dass weltweit Christen verfolgt werden, weil sie Christen sind, beeindruckte die Anwesenden, ist doch diese Tatsache noch kaum in unser Bewusstsein eingeflossen, da die mediale Information darüber hierzulande nur dürftig ist.
Weil ein subtiler Anti-Christianismus in den Medien verbreitet, aber tendenziell nicht als Problem wahrgenommen wird, fördert dies das religiöse Nicht-, Halb- und Falschwissen. Dies führt zu einem Malaise in der christlichen Bevölkerung und schlimmstenfalls zu einer gefährlichen Verbindung von christlicher Abendlandromantik und populistisch-rassistischer Politik. Nicht nur in den USA, sondern auch in Polen, Frankreich – und in der Schweiz – droht diese beängstigende Entwicklung. Journalistinnen und Journalisten tragen Verantwortung, sich gegen die Marginalisierung der christlichen Botschaft zu wehren und aufzuzeigen, dass das Grossartige des Glaubens wert ist, verteidigt zu werden.
Ein wichtiges Thema, das hier dargestellt wird.
Ich vermisse bei meinen Recherchen zu diesem Thema aber eine Darstellung des Antichristianismus in allen seinen Formen und Orten – nicht nur in der Schweiz und nicht nur als säkularen Antichristianismus.
Beste Grüße
Dr. Torsten Oettinger