Die römisch-katholische Kirche wird bis heute von einem Männerbund geführt. Sie gilt als Hort traditioneller Frauen- und Männerbilder. Und in der Tat, selbst das jüngste Schreiben von Papst Franziskus zum Thema Familie bricht mit diesen traditionellen Rollen nicht. Gleichzeitig aber gibt es in der westlichen Welt eine kirchliche Mehrheit, die nicht traditionelle, sondern gerechte Geschlechterrollen zu leben versucht. Sie wird von der Kirchenleitung seit Jahren frustriert, weil ihr Bemühen zu wenig Echo findet. Gegenwärtig sind sogar Bemühungen im Gang, das Rad der Zeit wieder zurückzudrehen.
Aber: Im Falle der Genderdebatte gelten die Gleichungen säkular=fortschrittlich und religiös=konservativ keineswegs. Die hebräische Bibel versteht männlich und weiblich als ebenbürtige Varianten des Menschen, dem lebendigen Abbild Gottes (Gen 1,26). Und Paulus konnte sagen, dass in Jesus Christus männlich und weiblich keine Rolle mehr spielen (Gal 3,28). Diese revolutionäre religiöse Denken hat die Kirche gebrochen, indem sie sich bei Aussagen über die Geschlechter auf die säkulare Philosophie von Aristoteles bezieht, die Mann und Frau eine bestimmte Natur zuweist.
Augenöffnerin der Tagung ist die diesjährige Trägerin des Herbert-Haag-Preises für Freiheit in der Kirche , die kroatische Theologin Jadranka R. Anić, im Gespräch mit der Berner Theologin Angela Büchel Sládkovič.
Lektürehinweis zum Thema: Gender — Quo Vadis 2017? Es bleibt bunt. Von Theresa Pieper, Gleichstellungsbeauftragte der Bremischen Evangelischen Landeskirche in Feinschwarz
Thesen von Sr. Jadranka Rebeka Anić
Welche Bedeutung hat die Genderfrage in einem Kontext wachsender Säkularisierung?
- Dieser Darlegung liegt die These des Religionssoziologen Peter L. Berger (2004) zu Grunde. Sie besagt, dass die Säkularisierungstheorie, in der sich das Säkulare und das Religiöse antipodisch gegenüberstünden, durch ein neues Paradigma zu ersetzen sei. Berger schlägt vielmehr das Paradigma Pluralismus vor, in dem das Säkulare und das Religiöse wie auch verschiedene Religionen koexistieren, wobei dem Einzelnen die Kunst des Umgangs mit verschiedenen Diskursen abverlangt werde.
- Die Geschichtswissenschaftlerin Joan W. Scott behauptet, dass die Geschlechtergleichheit keine Absicht der Ideologen der Säkularisierung gewesen sei. Denn die Frauen seien nicht unter Berufung auf religiöse Argumente, sondern unter Berufung auf die Natur der Frau aus der Öffentlichkeit und von den Bürgerrechten ausgeschlossen worden.
- Die gegenwärtige offizielle katholisch-theologische Anthropologie fußt noch immer auf der Dichotomie der Geschlechter nach Aristoteles und ist somit philosophisch und nicht theologisch begründet. Die Identität „der Frau“ wird durch die Natur der Frau bestimmt und nicht auf Grund des biblischen Begriffs Abbild Gottes. Die Übernahme der aristotelischen Philosophie stelle, so der kroatische Religionssoziologe Željko Mardešić, die erste Säkularisierung dar, die die Kirche selbst in ihrer eigenen Lehre durchgeführt habe.
- Natur als Kriterium für die Gestaltung der Geschlechterbeziehungen wird sowohl von der Genderforschung als auch von feministischen Theologinnen unterschiedlicher Denominationen und Konfessionen in Frage gestellt. Feministische Theologinnen schaffen auch eine theologische Grundlage für die Menschenrechte von Frauen und setzen Bergers These von der Notwendigkeit des Pluralismus-Paradigmas um, innerhalb dessen sich das Säkulare und das Religiöse entsprechend dem «Sowohl-als-auch-Modell» verhalten. In dem Buch I vjernice i građanke (Gläubige und Bürgerlinnen) sprechen sich verschiedene Autorinnen für die Notwendigkeit des Dialogs zwischen dem säkularen und dem religiösen Diskurs in Kroatien und Bosnien und Herzegowina aus. Sie wollen den Abbau von Geschlechterstereotypen vorantreiben, die eine ernst zu nehmende und vom Gesetz garantierte Gleichstellung der Frauen ausbremsen.
- Die Auseinandersetzung mit von der Natur vorgegebenen Geschlechteridentitäten stellt jetzt radikaler denn je zuvor die Geschlechterrollen und die Machtasymmetrien in Frage und fördert deren Transformation. All das ruft einen Widerstand hervor, der sich in der Anti-Gender-Bewegung äußert. Diese Bewegung argumentiert mit dem Naturgesetz.
Jadranka Sr. Rebeka Anić, Franziskanische Schulschwester, arbeitet als höhere wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut der gesellschaftlichen Wissenschaften Ivo Pilar, Regionales Zentrum Split. Veröffentlichungen.
Thesen von Angela Büchel Sládkovič
Von der Frauen- zur Genderfrage: Vielstimmigkeit oder Stimmengewirr?
Das Selbstverständnis von Frauen und die Geschlechterverhältnisse haben sich weltweit, nicht nur in den säkularen Gesellschaften des Westens, geändert. Mit Gender ist die Frauenfrage im Mainstream angekommen: differenziert und pluralisiert. Gerechtigkeits–fragen werden als Differenzfragen diskutiert. Eine Theologie/ Kirche, die daran interessiert ist, „andere“ Stimmen hörbar zu machen, findet sich in dem Diskurs wieder. Eine Theologie/Kirche, die an dem „einen“ Bild interessiert ist und immer schon weiss, was drauf ist, sieht nur Verwirrung.
Ausserhalb der Familie, ausserhalb der Mütterlichkeit kein Heil
In lehramtlichen Texten der jüngeren Vergangenheit sind Frauen familiäre Wesen. Das bürgerlich-romantische Bild der treusorgenden Ehefrau (die vor „der“ Welt und dem Feminismus geschützt werden musste) wurde abgelöst durch verschiedene, lebensnähere Bilder, auch das der berufstätigen Frau. Bei Papst Franziskus sind Mütter die Heldinnen des Alltags, die die Welt humanisieren. Trotz der Verschiebungen in Richtung Gleich–berechtigung, der Rollenskript bleibt: Frauen sind fürsorglich, aufopfernd, empathisch. Die Verankerung weiblicher Fürsorge in der „Geschlechts-Natur“ der Frauen als potentielle Mütter führt u.a. zu einer problematischen Infantilisierung der Fürsorge-Empfänger–Innen.
Mit „traditionellen Werten“ gegen die individualistische Beliebigkeit?
Kirchliche Vorbehalte gegenüber Gender gründen in der vermuteten Reduzierung der Geschlechterverhältnisse auf das Soziale: die Geschlechtsidentität würde „einer individualistischen Wahlfreiheit ausgeliefert“, die natürliche Verschiedenheit und gegenseitige Verwiesenheit geleugnet. Doch statt die Geschlechterfrage mit bestimmten Inhalten festzuschreiben, ist zu fragen, wie wir die Geschlechterdifferenz leben (wollen). Wo erfahren wir Sinn dem Geschlechtlichen entlang? Wo sind Handlungsspielräume zu eröffnen, um Diskriminierungen abzubauen?
Angela Büchel Sládkovič , Dr. theol., Theologische Mitarbeiterin der Fachstelle Ehe-Partnerschaft-Familie der Kath. Kirche Region Bern; in der kirchlichen Frauenarbeit und im interreligiösen Dialog engagiert. Verheiratet, Mutter von 3 Kindern.
Medienbericht von Alois Odermatt
Luzern, 21. März 2017
Kirche und „Gender“: Aufklärung statt Aufregung
Die Forderung nach Gleichstellung der Frauen sorgt auch in Religionen für Aufregung. Ist dabei vom „biologischen Geschlecht“ auszugehen? Soll das „soziale Geschlecht“ (Gender) zum Tragen kommen? In kirchlichen Kreisen wird der „Gender-Ideologie“ vorgeworfen, die Schöpfungsordnung anzutasten, die Familie als Keimzelle der Gesellschaft zu zerstören und die hierarchische Kirchenordnung in Frage zu stellen. Im Dialog offener Katholizität vom 20. März 2017 im Romerohaus Luzern zeigte sich: Solche Vorwürfe sind überholt. Die Kirchen haben Erfahrungen zu vermitteln, die in andere Richtungen weisen.
Der Dialog fand im Nachgang zur Preisverleihung der „Herbert-Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche“ vom 19. März 2017 in Luzern statt. Dort wurden zwei Ordensfrauen und Theologinnen ausgezeichnet, die sich in ihrer Forschungsarbeit mit der Unterordnung der Frauen in Familie, Gesellschaft, Politik und Kirche befassen: die kroatische Pastoraltheologin Jadranka Rebeka Anić und die spanische Psychologin und Bibelwissenschaftlerin Mercedes Navarro Puerto.
Die erstere stellte nun im Rahmen des Dialogs ihre Thesen zur Diskussion. Die Berner Theologin Angela Büchel Sládković steuerte schweizerische Erfahrungen bei. Sie ist verheiratet und Mutter dreier Kinder, wirkt als theologische Mitarbeiterin der Fachstelle Ehe-Partnerschaft-Familie der katholischen Kirche Region Bern und engagiert sich in der kirchlichen Frauenarbeit und im interreligiösen Dialog. Moderator des Dialogs war der Theologe Thomas Staubli, Dozent für Altes Testament an der Universität Freiburg (Schweiz) und Mitbegründer des dortigen BIBEL+ORIENT Museums.
An die Kraft biblischer Urbilder erinnern
Jadranka Rebeka Anić zeigte auf: Eine irrige Berufung auf die Bibel hat im Lauf der Jahrhunderte und im Rahmen unterschiedlicher Gesellschaftssysteme verheerend gewirkt und zur Diskriminierung der Frauen beigetragen. Kirchenamtliche Kreise stützen sich immer noch auf eine Sicht des Menschseins nach altgriechischer Philosophie (Aristoteles). Diese hält sich an die Naturbestimmtheit und verbindet damit eine Minderwertigkeit der Frauen. Eine sorgfältige Theologie hingegen, so betonte Anić, erinnert an biblische Urbilder, mit deren Kraft wir „egalitäre Geschlechterbeziehungen“ zu entwickeln vermögen. Dies gelte gerade angesichts politischer Strömungen unserer Tage, die auf eine Radikalisierung der Gesellschaft zugunsten herrischer Oberschichten abzielen.
Sinn erfahren dem Geschlechtlichen entlang
Angela Büchel Sládković wies darauf hin, dass die Frauen in lehramtlichen Texten der jüngeren Vergangenheit „familiäre Wesen“ sind. Bei Papst Franziskus sind die Mütter „die Heldinnen des Alltags, die die Welt humanisieren“. Da scheint das Leitbild zu gelten: Ausserhalb der Familie, ausserhalb der Mütterlichkeit kein Heil. „Doch statt die Geschlechterfrage mit bestimmten Inhalten festzuschreiben, ist zu fragen, wie wir die Geschlechterdifferenz leben (wollen). Wo erfahren wir Sinn dem Geschlechtlichen entlang? Wo sind Handlungsspielräume zu eröffnen, um Diskriminierungen abzubauen?“
Auf Frauengemeinschaften vertrauen
Manche Kirchenmänner haben offenbar Angst, sich der Frauenfrage zu stellen. Das mussten die beiden mit dem Freiheitspreis ausgezeichneten Theologinnen am eigenen Leib erfahren: Sie dürfen nicht mehr an katholischen Hochschulen und Universitäten forschen und lehren. Aber beide betonten in Luzern, dass sie in ihren Ordensgemeinschaften den Raum und die Ermutigung finden, unentwegt den Auftrag der Kirche in der Welt von heute und morgen klären zu helfen.