Dialog Nr. 48: Aus Überzeugung oder Opportunität? Die Werte der C-Parteien

Am 30. Oktober 2017 von 14.00 bis 17.30 im Romerohaus Luzern

Wie wollen wir dem Fremden begegnen und Zugewanderte integrieren, wenn wir selbst kaum mehr wissen, woher wir kommen, wer wir sind, was uns wichtig und wertvoll ist? So fragt der Präsident der EVP Schweiz. Eine Antwort findet sich in einem Referat von Pfr. Alfred Aeppli. Für ihn gibt es acht Grundwerte, die sich aus dem christlichen Dreiklang Glaube, Liebe, Hoffnung ableiten lassen: Glaubwürdigkeit, die sich in Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Transparenz und Verlässlichkeit manifestiert; Verantwortung für die ganze Schöpfung; Selbstbeschränkung, die sich in der Bereitschaft zeigt, Macht zu teilen, Rücksicht zu nehmen und in Bescheidenheit; gegenseitige Wertschätzung; Gerechtigkeit, und zwar global; Solidarität und damit verbundene Toleranz; Nachhaltigkeit, nämlich Stabilität für kommende Generationen; dynamische Bewegung auf das Reich Gottes hin; die Bereitschaft zum Frieden. Aeppli ordnet seine Überlegungen ein in einen globalen Kontext. Er erinnert an den vom damaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan angeregten Wertekatalog in «Brücken in die Zukunft» und ans Weltethos von Hans Küng.
Wie aber steht es um die christliche Verankerung von Werten für die größte C-Partei der Schweiz, die CVP? Wie reagiert sie auf die globalen Herausforderungen und die gesellschaftlichen Umbrüche? Wieviel Salz ist in der C-Politik?

Thesen von Markus Arnold

  1. Was sind Werte in der Ethik? Werte geben grundsätzliche Handlungsziele an, die aber einen geringen Grad der Konkretisierung aufweisen. Sie bilden sozusagen den Horizont unseres Handelns, auf den wir uns zu bewegen. Sie prägen unser Ideal-Bild vom Menschen. Den Werten geht es um das Gute, in diesem Falle spricht man von sittlichen Werten: Wer diese Werte zu verwirklichen sucht, qualifiziert sich dadurch als ein guter Mensch: Werte erlauben uns zu bewerten, in der Ethik eben das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Davon abzugrenzen sind Normen als präzise Handlungsanweisungen in konkreten Situationen.
  2. Brauchen wir Werte? Vielen Ethikern ist die Rede von Werten suspekt, weil sie oft schwammig sind. Werte eignen sich hervorragend für Wahlkämpfe und plakative Selbstdarstellungen. Auf der anderen Seite finden wir z.B. im Bildungswesen (z.B. in Lehrplänen) oder auch in Leitbildern Werte, welche grundlegende Ziele vorgeben.
  3. Wann werden Werte in der Politik missbraucht? Wenn sie moralisierend verwendet werden, um eigene Interessen durchzusetzen. Beispiele: «Unsere christlichen Werte»: Ich kenne keinen ethischen Wert, der exklusiv christlich ist. «Unsere abendländischen Werte»: Was ist das Abendland? In solchen Reden werden Werte zu Nebelpetarden. Der Nebel gebiert dann alle möglichen Ideologien. Ein weiteres Beispiel ist die im Ausschreibungstext der Tagung zitierte Argumentation von Pfr. Aeppli. Hier wird mit unscharfen Begriffen positive Stimmung bewirkt. Das überzeugt bereits Überzeugte, taugt aber nicht im Dialog mit Andersdenkenden.
  4. Wie müssen wir dann mit Werten umgehen? Wir müssen sie erstens begrifflich klären und zweitens in einer Wertehierarchie einordnen. Unterschiedliche Begriffsklärungen und Wertehierarchien führen zu unterschiedlichen Menschenbildern und zu anderen normativen Umsetzungen. Das «Abendland» hat hellenistische und christliche Wurzeln, die sich teilweise widersprechen. Beispiel: Freiheit und Autonomie in der Frage nach der Beihilfe zum Suizid.
  5. Wie funktioniert das Wertvorzugsurteil? In unserem Kontext – christlich verantwortete Politik – hat sich eine grundsätzliche Gemeinwohlorientierung mit Hilfe von Prinzipien (Subsidiarität, Solidarität, Menschenwürde resp. Personprinzip) bewährt.

Weiterführendes zum Thema

Markus Arnold, *1953, verheiratet, 3 erwachsene Töchter, ist Ethikdozent und Studienleiter am religionspädagogischen Institut in Luzern; davor war er Gemeindeleiter in Oberrieden ZH; 2000 – 2005 Präsident der CVP-Fraktion im Zürcher Verfassungsrat; 2004 – 2011 Präsent der CVP im Kt. Zürich; Publikation zum Thema: Politik und Ethik in christlicher Verantwortung, Luzern 2010.

Thesen von Barbara Schmid-Federer

Die christdemokratische Bewegung muss Salz in der Politik sein.
Dies ist ihr Grundauftrag

C-Parteien müssen Menschenbilder hinterfragen, die attraktiv sind, weil sie einfache Lösungen für komplexe Probleme bieten und für die Menschen scheinbar unerträgliche Spannungen vorschnell auflösen. Beispiel Kommunismus: der Mensch muss der richtigen Klasse angehören, Beispiel Nationalsozialismus: der Mensch muss der richtigen Rasse angehören, Beispiel Fundamentalismus: der Mensch muss der richtigen Religion angehören.

Solche Entwicklungen entstehen, wenn Menschen Angst haben. Das Salz der C-Bewegungen schöpft Hoffnung aus dem christlichen Menschenbild. Es erinnert daran, dass der Mensch geachtet wird wie er lebt und steht, dass wir Sorge tragen zu Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

Der Umgang mit der Religionsfreiheit ist der Prüfstein für eine echte Wertedebatte

Ein zentraler Wert des demokratischen Rechtstaats ist heute besonders gefährdet, jener der Religionsfreiheit. Religionsfreiheit ist ein Gut, das für die Schweiz unersetzlich ist und im Wettstreit der Werte auf dem Spiel steht. Eine aus christlicher Sicht gewonnene Kritik des Wertebegriffs: Wahrheit und Liebe sind «wertlos» und stehen im Widerspruch zur Instrumentalisierung von Werten. Wahrheit und Liebe verbinden sich mit dem Ernstnehmen von Menschenwürde, Solidarität, Subsidiarität und Gemeinwohl.

Als Politikerin bin ich dafür zuständig, dass Demokratie und Rechtsstaat nicht aus dem Gleichgewicht geraten. Der Ausnahmeartikel Minarettverbot ist ein gutes Beispiel für die Instrumentalisierung von Werten zugunsten parteipolitischer Propaganda. Dasselbe würde mit dem Burkaverbot geschehen, weshalb ich es ablehne.

Das Salz der Christdemokratie ermutigt zu Begegnungen und ist zukunftsfähig

Das christliche Menschenbild, das Salz der Christdemokratie, verlangt nach einer konstruktiven und realitätsbezogenen Sachpolitik, basierend auf einem berechenbaren weltanschaulichen Fundament. So braucht es wieder vermehrt Mut zu Unpopularität, gerade dann, wenn Fremdenfeindlichkeit und Rassismus salonfähig werden.

Christlich motivierte Politik gibt die Hoffnung auf würziges Essen für wirklich alle Menschen nie auf. Die Christdemokratie ist eine Bewegung, die man erfinden müsste, wenn es sie nicht geben würde.

Barbara Schmid-Federer, *1965, verheiratet, 2 erwachsene Söhne, ausgebildete Romanistin, Nationalrätin (CVP) mit Engagement in Kommissionen und parlamentarischen Gruppen zu sozialer Sicherheit und Gesundheit, Familienpolitik, Suchtpolitik, Prävention und Jugendschutz, Pflege; Geschäftsführungsmitarbeiterin und Verwaltungsrätin bei TopPharm Apotheke Paredeplatz Zürich; Präsidentin des Schweiz. Roten Kreuzes Kt. Zürich

Pressebericht von Paul Jeannerat

Luzern, 30. Oktober 2917

Das Forum für offene Katholizität (FOK) mischt sich in die aktuelle politische Diskussion um Grundwerte, Leitkulturen und klare Normen ein: Im Bildungsjahr 2017-2018 finden sechs so genannte Katholische Dialoge über die gegenwärtig viel bemühten „christlichen Werte“ statt.

Beim ersten Dialog dieser Reihe. am 30. Oktober 2017 im RomeroHaus Luzern, wurde gefragt, ob in der aktuellen politischen Debatte die C-Parteien die „christlichen Werte“ aus Überzeugung oder Opportunität beschwören. Referenten waren Markus Arnold, Dozent für Theologische Ethik am Religionspädagogischen Institut in Luzern sowie die CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer, Männedorf.

Markus Arnold, Autor von Publikationen zu Politik und Ethik in christlicher Verantwortung, definierte zuerst den Begriff: „Werte“ geben grundsätzliche Handlungsziele an, die aber einen geringen Grad der Konkretisierung aufweisen. Werte prägen unser Ideal-Bild vom Menschen und erlauben das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Davon abzugrenzen sind „Normen“ als präzise Handlungsanweisungen in konkreten Situationen. Vielen Ethikern ist die Rede von Werten suspekt, weil sie oft schwammig sind.

Anschliessend beantwortete Markus Arnold die Frage, wann Werte in der Politik missbraucht werden, nämlich, wenn sie moralisierend verwendet werden, um eigene Interessen durchzusetzen: Wer von „christlichen“ Werten spricht, muss sich die Frage gefallen lassen, was daran exklusiv christlich ist. Wer von „abendländischen“ Werten spricht, muss zuerst sagen, was mit Abendland gemeint ist. Wer so mit unscharfen Begriffen positive Stimmung macht, öffnet die Argumentation für alle möglichen Ideologien. Werte müssen deshalb erstens begrifflich geklärt werden und zweitens in einer Wertehierarchie eingeordnet werden. In der christlich verantworteten Politik hat sich eine grundsätzliche Gemeinwohlorientierung mit Hilfe von Prinzipien (Subsidiarität, Solidarität, Menschenwürde) bewährt.

Barbara Schmid-Federer, Mitglied mehrerer nationalrätlicher Kommissionen im Bereich der sozialen Sicherheit und Gesundheit sowie Präsidentin der parlamentarischen Gruppe Familienpolitik, argumentierte pointiert als überzeugte Christdemokratin. Ihr Kurzreferat über die Werte in den C-Parteien gipfelte im Bekenntnis: „Die Christdemokratie ist eine Bewegung, die man erfinden müsste, wenn es sie nicht geben würde“. Für die CVP nimmt sie das jesuanische Bild „Ihr seid das Salz der Erde“ in Anspruch: „Christlich motivierte Politik gibt die Hoffnung auf würziges Essen für wirklich alle Menschen nie auf.“

Auf spezielle Aufmerksamkeit stiess Barbara Schmid-Federers Aussage, dass heutzutage ein zentraler, unersetzlicher Wert des demokratischen Rechtsstaates besonders gefährdet ist: die Religionsfreiheit. C-Politik sei dafür zuständig, dass Demokratie und Rechtstaatlichkeit nicht aus dem Gleichgewicht geraten, und dazu gehört die Religionsfreiheit.

Barbara Schmid-Federer gehört einer 1964 ins protestantische Zürich eingewanderten katholischen Familie an. Katholiken waren damals mit denselben Vorbehalten konfrontiert wie heutzutage die Muslime: sie würden sich nicht integrieren, ihre Bräuche gehörten nicht zur zürcherischen Kultur usw. Als christdemokratische Politikerin will sie darum eine konstruktive und realitätsbezogene Sachpolitik leisten, für Katholiken und Protestanten, fern von schwammigen Vorbehalten. Angesichts der Polarisierung der rechten und der linken Parteien möchte sie mit der CVP die politische Mitte stärken und zu Ausgleich und Kompromiss beitragen.

In der Diskussion, geleitet von Thomas Staubli, Dozent für Altes Testament an der Universität Freiburg, wurde die Frage nach dem Stellenwert der von der EVP lancierten Kampagne „lebenswerte.ch“ gestellt, die zum Ziel hat, „die gemeinsamen Grundwerte der Schweizerinnen und Schweizer“ zu definieren. Die beiden Referenten unterstützen diese Aktion nicht, weil sie mehr der parteipolitischen Werbung dient als einer konstruktiven Politik. Der EVP-Vorschlag, vom Bundesrat die Einsetzung einer eidgenössischen Wertekommission zu verlangen, stösst auf recht viel Skepsis.

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