Sonntag, 19. November 2017, 16-19h
Saal L’esprit der Heiliggeistkirche, Laufenstr. 44, Basel
Mit René Rhinow, Jurist und ehem. Ständeratspräsident und Lucrezia Meier-Schatz, Politikwissenschaftlerin und ehem. Nationalrätin
Praktisch europaweit rückt die Politik seit Jahren nach Rechts. Triebkräfte sind populistische Politiker und Kreise, die für komplexe Probleme vermeintlich einfache Lösungen anbieten und sich dabei die Medien geschickt zu eigen machen. Ihr Nährboden sind tiefsitzende Ängste in der Bevölkerung und Verunsicherungen, die durch den beschleunigten Wandel unserer Gesellschaften entstehen: Digitale Revolution, Migration, alternde Gesellschaft. Die Spezialität der Rechtspopulisten ist, dass sie eine Identität beschwören, mit Hilfe derer sie andere ausgrenzen.
Was auffällt: Rechtspopulisten sind Besitzstandswahrer, die nicht teilen wollen. Geiz ist geil. Sie scheinen das natürliche politische Produkt eines kaum noch hinterfragten Kapitalismus zu sein. Bürgerliche Parteien, profitieren daher von den Populisten und verhelfen ihren Anliegen nicht selten zum Durchbruch. Ohne sie geht es nicht. Aber auch die Stammwählerschaft sozialdemokratischer Parteien ist nicht davor gefeit, der populistischen Schwarzweissmalerei zu verfallen.
Wir diskutieren, welches Kraut gegen das stete Vordringen einer rechtspopulistischen Mentalität gewachsen ist, und wie es am besten verabreicht werden sollte.
Thesen von Lucrezia Meier-Schatz
- Werte, historisch und kulturell gewachsene, dienen der Orientierung und erlauben die Einforderung von gesellschaftlich relevanten Haltungen. Werte erlauben aber auch die Bildung von Präferenzen. Wir beobachten jedoch seit mehreren Jahrzehnten eine Individualisierung der Werteselektion und eine Wertefragmentierung.
- Populistische Parteien (linke wie rechte) haben keine echte eigene Ideologie sondern kombinieren ihre Politik fast immer mit einer oder mehreren ideologischen Merkmalen anderer Gruppierungen (sog. host ideology). Der Unterschied zwischen dem Linkspopulismus und dem Rechtspopulismus liegt im gewählten Ansatz: der erste kann mit dem Begriff Inklusion, der zweite mit dem Begriff der Exklusion beschrieben werden.
- Populismus – losgelöst von seiner politischen Verortung – richtet sich gegen die Elite als Gestalterin des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels und vordergründig gegen die Bevormundung des Volkes durch die sog. Funktionseliten (Politiker/innen, Professoren, Richter, Behörden). Populistische Parteien kritisieren die herrschenden Eliten, ihre charismatischen Führungspersönlichkeiten – selber Teil der Elite – streben aber an die Macht zur Etablierung einer moralisch besseren, überlegenen Gesellschaftsordnung.
- Die Beweggründe der Bürger/innen rechtspopulistische Parteien zu unterstützen sind komplex und vielfältig. Angesichts des wachsenden Einflusses größerer Gebilde und den damit verbundenen Unsicherheiten, bildet der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung ein Ventil für viele Wählenden. Populismus kann als Phänomen aber nur verstanden werden, wenn die Persönlichkeit der Wählenden, das Umfeld (Komplizenschaft der Medien, Social Media) und der Einfluss der Sprache auf das Denken und Handeln mitberücksichtigt wird.
- Die Auseinandersetzung mit dem Populismus findet weitgehend aus der Perspektive der sog. Eliten statt, die in aller Regel keine Mitverantwortung für die Entstehung und den Erfolg des Populismus haben wollen. Das politische Establishment reagiert mit Kritik, Empörung und Ablehnung. Doch die dauerhafte Thematisierung führt tendenziell zu einer weiteren Stärkung des Identitätspopulismus.
Lucrezia Meier-Schatz, *1952, Politikwissenschaftlerin und ehem. Nationalrätin (CVP)
Thesen von René Rhinow
- Begriff und Kategorie der «Werte» sind vieldeutig, schillernd und werden inflationär gebraucht.
- Werte sind Reflexionen oder Proklamationen. Konfusion zwischen Tugenden, Idealen, Maximen, Geboten, Moral und Ethik.
- Populismus: Typus mit fließenden Grenzen, primär als Methode: «Politische Mobilisierungslogik», um politische Ideen und Ideologien zu propagieren. Medien als Komplizen des Populismus.
- Polemik: arbeitet mit Mitteln der Übertreibung, der Ironie und des Sarkasmus; oft wird die Argumentation auf die Person gerichtet.
- Unsere Grundwerte sind primär in der Verfassung Dazu kommen vielfältige Tugenden und Gepflogenheiten, die dem Wandel unterliegen.
- Reflexion über «eigene» Werte: Suche nach der Substanz oder nach der Abgrenzung gegenüber Fremdem? Die Suche nach eigenen Werten braucht keine äußeren Feindbilder. «Schweizerische Werte»?
- Dem Begriff Identität wohnt eine eigentümliche Dynamik, eine Sprengkraft inne. Identität ist ein ständiger Prozess.
- Religionsfreiheit in einem konfessionsneutralen Staat: Christliche Werte sind Werte der Zivilgesellschaft. Irreführende Vorstellung eines «christlichen Landes»: unsere Wurzeln beruhen auf verschiedenen Strömungen der Geschichte (griechische und römische Kultur, Christentum, Aufklärung).
- Populismus als Gefahr: «Das» Volk als Mythos, Geringschätzung von Vielfalt und Minderheiten, Polarisierung, «Elitenbashing» und Verteufelung der Intellektuellen, Diffamierung Andersdenkender; Entwertung der demokratischen Institutionen und der politischen Kultur (Kompromiss, Ausgleich, Konkordanz); konstruierte und schlecht geredete Wirklichkeit, aus der Rettung versprochen wird; Immunisierung gegen Kritik, die als Zensur uminterpretiert wird und eine Opferrolle legitimiert; sprachliche Manipulationen (politisches framing), autoritäre Tendenzen…
- Polemik wird zur Gefahr, wenn sie zum Bestandteil des Populismus wird.
René Rhinow, *1942, Jurist und ehem. Ständeratspräsident (FDP)
Pressebericht von Paul Jeannerat
Basel, 19. November 2017
In der Öffentlichkeit wird immer intensiver nach Grundwerten, Leitkulturen und klaren Normen gerufen. Populistische Polemik droht dabei die sorgfältige, zurückhaltende Besinnung auf wahre Werte zu übertönen. Mit ruhiger, sachlicher Argumentation, «mit Zahlen und Fakten», ist diese Gefahr zu bannen. Dem Populismus ist nicht mit Ausgrenzung, sondern mit Einbindung zu begegnen.
Dieses Fazit wurde am 49. Dialog des Forums für offene Katholizität (FOK) gezogen, der am Sonntag, 19. November 2017, in ausserordentlicher Weise im Saal L’esprit der Heiliggeistkirche in Basel stattfand. Das FOK war zu Gast bei katholisch bl.bs, beim Forum für Zeitfragen und der Fachstelle Genderfragen und Erwachsenenbildung. Zwei prominente Referenten legten Thesen um Werte und Populismus zur Diskussion dar: Dr. Lucrezia Meier-Schatz, Politikwissenschaftlerin und ehemalige Nationalrätin CVP sowie Prof. René Rhinow, em. Ordinarius für öffentliches Recht an der Universität Basel und ehemaliger Ständerat FDP.
Europaweit rückt die Politik seit Jahren nach Rechts. Triebkräfte sind populistische Politiker und Kreise, die für komplexe Probleme vermeintlich einfache Lösungen anbieten und sich dabei die Medien geschickt zu eigen machen. Ängste, die durch die digitale Revolution, durch Migration und durch das Älterwerden der Gesellschaft in der Bevölkerung entstanden, werden in polemischer Weise bewirtschaftet und durch Vereinnahmung von so genannten christlichen Werten herbeigeredet.
Lucrezia Meier-Schatz definierte Werte als historisch und kulturell gewachsene Haltungen, die der Orientierung dienen. Seit mehreren Jahrzehnten beobachtet sie eine Individualisierung der Werteselektion und eine Wertefragmentierung.
Ihrer Meinung nach haben die populistischen Parteien keine echte eigene Ideologie; sie kombinieren ihre Politik mit einer oder mehreren ideologischen Merkmalen anderer Gruppierungen. Populismus gibt es im linken wie im rechten politischen Lager. Der Unterschied kann mit dem Begriff der Inklusion bzw. der Exklusion beschrieben werden: die ersteren befürworten eine Willkommens-Kultur für Migranten, die zweiten verlangen die Abschottung von Migranten.
Populistische Parteien richten sich gegen die Elite als Gestalterin des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels und vordergründig gegen die Bevormundung des Volkes durch die sog. Funktionseliten: PolitikerInnen, Professoren, Richter, Behörden. Tatsächlich aber streben ihre charismatischen und begüterten Führungspersönlichkeiten nach Macht und Einflussnahme zur Etablierung einer nach ihrer Vorstellung moralisch besseren Gesellschaftsordnung . Dieser politisch gefährlichen Strömung will Lucrezia Meier-Schatz in ruhiger Weise und mit sachlicher Argumentation für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden begegnen.
Prof. Rhinow betonte, dass die Werte unseres Landes – wie Freiheit, Solidarität, Menschenrechte – in der Verfassung grundgelegt sind. Doch sei der Begriff der Werte vieldeutig schillernd und in stetem Wandel begriffen. Die Rede von den „eigenen“ Werten diene oftmals der Abgrenzung gegenüber Fremdem.
In unserem konfessionsneutralen Staat sei die Vorstellung eines „christlichen Landes“, das auf „christlichen Werten“ basiere, irreführend. Unsere Wurzeln beruhen auf verschiedenen Strömungen der Geschichte (griechische und römische Kultur, Christentum, Aufklärung) und nicht nur auf dem Christentum.
Populismus definierte Rhinow primär als Methode, mit der politische Ideen und Ideologien – vor allem via Medien – verbreitet werden. Populismus arbeite mit Mitteln der Übertreibung, der Ironie und des Sarkasmus und ziele auf die Diffamierung von Persönlichkeiten der Elite. So werde Populismus zur Gefahr: „Das“ Volk wird mystifiziert, die Vielfalt der Lebensentwürfe wird gering geschätzt, Minderheiten und Andersdenkende werden diffamiert, demokratische Institutionen und politische Kultur (Kompromiss. Ausgleich, Konkordanz) werden schlecht geredet. Solcher politischer Tendenz kann nur mit Sachlichkeit, durch Fakten, durch Offenheit geantwortet werden.
Den Dialog – zwischen den Referenten und den 35 Teilnehmenden leitete in souveräner Weise Thomas Staubli, Dozent für alttestamentliche Theologie an der Universität Freiburg.