Dialog Nr. 56: Vertreterinnen und Vertreter von BDJK & JuBla

Was der katholischen Jugend für die Welt von morgen heilig ist

«Manche ergreift Angst vor der Zukunft und sie sind davon wie gelähmt, aber überall auf der Erde gibt es auch erfinderische, schöpferische Jugendliche. Diese Jugendlichen lassen sich nicht in eine Spirale der Verdrossenheit hineinziehen. (…) Ihnen ist bewusst: Was den Menschen lähmen kann, sind Skepsis oder Entmutigung.» Frère Roger in seinem Brief «Eine Zukunft in Frieden» von 2005.

«Wenn die Kirche jetzt nicht handelt, wird sie das Vertrauen junger Menschen nicht wiedererlangen … Allgemein wünsche ich mir mehr Frauen in  kirchlichen Führungspositionen, und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ich selbst noch eine Bischöfin erlebe.» Lisi Maier, Bundesvorsitzende BDKJ in einem Bild-Interview vom 6.3.2019

Im Dialog mit:

Thomas Andonie Erster Vorsitzender BDKJ, hat Staatsfinanzen studiert und im Bayrischen Staatsministerium u.a. in der Radikalisierungsprävention gearbeitet. Auditor der 15. Ordentlichen GV der Bischofssynode 2018: «Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung.»

Regula Kuhn-Somm Co-Geschäftsführerin Jubla Schweiz, Organisationsberaterin, Coach und Familienfrau; nach Studium der Religionspädagogik früher auch Jugendarbeiterin, Religionspädagogin, Sozialarbeiterin und Co-Geschäftsführerin der Caritas Aargau

Valentin Beck Bundespräses Jubla Schweiz; nach Studium der Theologie in Fribourg und Berlin und der Religionslehre in Luzern früher auch Religionslehrer auf der Sekundar- und Gymnasialstufe

Herbert-Haag-PreisträgerInnen 2019

Am 25. März, 14:00-17:00 im Romerohaus, Luzern

 

Thesen von Regula Kuhn und Valentin Beck (Jungwacht Blauring Schweiz)

1        «Die Jugend» gibt es nicht – schon gar nicht die von heute

Die kulturelle und damit auch religiöse und spirituelle Vielfalt unserer Gesellschaft wächst – das ist aber nichts Neues. Wachsende Pluralität betrifft selbstverständlich auch die jugendliche Generation, ihre Fragen, Leiden, Hoffnungen, Bedürfnisse, sowie ihre religiöse Prägung und ihre spirituellen Zugänge. Es braucht deshalb auch vielfältige Angebote und Antworten.

2        «Kirche an den Rändern» heisst auch kirchliche Präsenz dort, wo religiöse Sprachhemmung, Institutionsferne und spirituelle Suchbewegung herrschen

Wenn sich Kirche nicht nur mit sich selber beschäftigen will, muss sie raus – raus in die Mitte(n), wo sich das Leben abspielt und – als ihr Alleinstellungsmerkmal gegenüber Kommerz und Mode – auch raus an die Ränder: Neben materieller und sozialer Armut, Diskriminierung, dem Druck der Leistungsgesellschaft und weiteren Belastungen sind religiöse Unentschlossenheit und Sprachlosigkeit ebenfalls solche «Ränder», an denen Kirche anzutreffen sein muss.

3        Die «Generation Überdosis» ist vorbei: Exotismus des Religiösen und Multikulti als (verpasste?) Chance

Die Zeit der kirchlichen Omnipräsenz und Deutungshoheit ist seit längerem definitiv vorbei. Viele Jugendliche haben wenig religiöses Wissen und keine Erfahrungen mit kirchlichem Leben – also auch keine negativen. Religion und Kirche sind (bald auch bei Erwachsenen) definitiv kein Mainstream mehr und schon fast exotisch – das bedeutet Anziehungskraft, gerade weil es um bleibend aktuelle Sinnfragen geht. Verstärkt wird diese Anziehungskraft durch das Spannungsfeld zwischen verbreitetem Nationalismus und der herausfordernden Frage junger Migrant/innen mit klarerer religiöser Identität: «Und wie ist das bei euch?».

4        Wertegemeinschaften liegen quer durch Religionen, Organisationen und Generationen

Um die heutige Welt verantwortungsbewusst und vorwärtsgerichtet mitzugestalten, müssen sich Gleichgesinnte und Wertegemeinschaften flexibel und unideologisch zusammentun. An Klima- oder Menschenrechtsdemonstrationen (Diakonia) treffen sich Menschen mit unterschiedlichsten (religiösen oder nicht religiösen) Motivationshintergründen. Wichtig ist, dass sie demonstrieren, sich austauschen und Gemeinsames stärken (Koinonia). Sie werden dabei automatisch über ihre persönliche Motivation berichten und so voneinander lernen (Martyria) – und je nach dem auch gemeinsam feiern (Liturgia).

5        Jugendliche wollen von der Kirche Taten sehen – und zwar jetzt!

Es reicht nicht, Jugendliche anzuhören und ihre Lebensrealitäten wahrzunehmen. Die klare Mehrheit Jugendlicher fordert Mitbestimmung und Konsequenzen aus den längst konstatierten kirchlichen Verkrustungen bzgl. Strukturen und Haltungen wie etwa der Sexualmoral, Diskriminierungen und aktuell im Umgang mit sexuellem Missbrauch – und zwar fordern sie konkretes Handeln jetzt – bevor sie selbst keine Jugendlichen mehr sind.

6        Es wird nicht mehr so wie früher – nie mehr…

Volkskirche und kirchliche Selbstverständlichkeiten sind passé. Möge aller negative Ballast abgeworfen und alles Wertvolle in zukunftsfähige Formen transformiert werden. Jugendliche sind für die Unterscheidung dazwischen unbefangene, wertvolle Ratgeber.

Medienbericht

Was der katholischen Jugend für die Welt von morgen heilig ist: Gerechtigkeit

Paul Jeannerat*

Luzern, RomeroHaus, 25. März 2019

Am 56. Dialog des Forums für eine offene Katholizität (FOK) stellten sich Verantwortliche von Jungwacht Blauring Schweiz (JUBLA) und dem Bund deutscher katholischer Jugend (BDKJ) dem offenen Gespräch über ihr Selbstverständnis, nachdem sie am Vorabend den Preis der Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche erhalten hatten. Sie wurden mit jener Frage konfrontiert, die bei den FOK-Dialogen im Bildungsjahr 2018-2019 vier Persönlichkeiten aus Kunst und Literatur vorgelegt wird: «Was mir heilig ist …» Die Antwort der JUBLA-Verantwortlichen kam ohne Zögern: «Gerechtigkeit».  

BDKJ

Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend ist mit rund 660’000 Mitgliedern einer der grössten Jugendverbände Deutschlands. Als Dachverband von 17 katholischen Jugendorganisationen vertritt er die Interessen seiner Mitglieder in Politik, Kirche und Gesellschaft. Er will Mädchen und Jungen zu kritischem Urteil und eigenständigem Handeln befähigen. Als gesellschaftliche Kraft in der Kirche setzt er sich für die Interessen der jungen Menschen ein.

Thomas Andonie, Vorsitzender des BDKJ, beschrieb die Struktur und die Aufgaben des Verbandes. Die wichtigste besteht in der Interessenvertretung seiner Mitglieder in Politik, Kirche und Gesellschaft. Dazu gehört der Einsatz für eine gerechte und solidarische Welt. In der 70jährigen Geschichte hat er seine Schwerpunkte bewahrt: Katholisch. Politisch. Aktiv.

JUBLA

In der Schweiz treffen sich wöchentlich –  und beim jährlichen Ferienlager –  zwanzigtausend Jugendliche zu sinnvoller Freizeitbeschäftigung, zu Spiel und Handwerk, zum Entdecken und Bestaunen, zu sportlichen und kreativen Tätigkeiten: die jungen Mitglieder von Jungwacht (Buben) und Blauring (Mädchen). Über 8 000 ehrenamtliche Leitungspersonen entwickeln Fantasie und Initiativen zur Animation der Kinder und üben sich so in Verantwortung. Die rund 420 Ortsgruppen verstehen sich als Teil der katholischen Kirche und wollen die Pfarreien mitgestalten, auch wenn evangelische Christen sowie anders- und nichtreligiöse Mädchen und Knaben mitmachen. Die Gruppen üben ein gerechtes und solidarisches Zusammenleben ein, mit Akzeptanz und Respekt, Toleranz und Gleichberechtigung.

Valentin Beck, Bundespräses von JUBLA, und Regula Kuhn-Somm, Co- Geschäftsleiterin von JUBLA, beschrieben, wie der Verband sich bemüht, in der katholischen Kirche als Glaubenssubjekt zu wirken, Brücken zu bauen zwischen Kirche und Jugend und Wege der freien Entfaltung anzubieten. Jährlich wird während der Fastenzeit eine Aktion für Notleidende im Süden durchgeführt, im Bewusstsein, dass der Hunger in der Welt eine skandalöse Ungerechtigkeit ist. Ferner betonten die JUBLA-Verantwortlichen, dass es nicht reicht, Jugendliche anzuhören, denn «die klare Mehrheit Jugendlicher fordert Mitbestimmung und Konsequenzen aus den längst konstatierten kirchlichen Verkrustungen.»

Angefragt, was denn gemeint ist, wenn gesagt wird, die Kirche müsse handeln, nicht nur reden, nennen sie ein Beispiel: JUBLA habe die Initiative ergriffen, im September möglichst alle kirchlichen Jugendorganisationen der Schweiz mit Bischöfen und VertreterInnen der Landeskirchen an einen Tisch zu bringen, um mit ihnen aus der Sicht der Jugend konkrete, umfassende Massnahmen gegen sexuellen Missbrauch zu besprechen.

Preis für Freiheit in der Kirche

Beide Organisationen reflektieren kritisch, was kirchliche Jugendarbeit heutzutage tun kann und soll. Nach intensiven Gesprächen in den letzten Jahren haben sie Leitbilder verabschiedet, in denen sie sich als Subjekte der Kirche wahrnehmen. Da sie in ihrer Organisation demokratische Prozesse üben, kommt es recht oft zu Konflikten mit der hierarchisch verfassten Kirche. Selbstverständlich bedürfen sie der Begleitung, doch sie wehren sich gegen Betreuung und Bevormundung. Durch den Preis 2019 der Herbert Haag Stiftung erfuhren sie sich in ihrem Engagement bestärkt.

Forum für offene Katholizität, Dialog 57 und 58

Im Bildungsjahr 2018-2019 stehen die FOK-Dialoge unter dem Titel «Was mir heilig ist …». Persönlichkeiten aus Kunst und Literatur stellen sich dem Gespräch mit Theologinnen und Theologen zur Frage, was uns eigentlich heilig ist. Im Frühling 2019 finden noch zwei Anlässe statt: Am Montag, 29. April, diskutiert der Musiker und Komponist Peter Roth (u.a. «Toggenburger Messe») mit der reformierten Pfarrerin und geistlichen Begleiterin Noa Zenger (14 Uhr, RomeroHaus Luzern) und am Sonntag, 26. Mai, begegnet der Architekt Gion A. Caminada (ETH Zürich) der Theologin Sonja Ammann (Universität Basel, 15.15 Uhr, im Zwinglihaus Basel).

*Paul Jeannerat ist Journalist und Mitglied des Kernteams FOK.

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