Dialog Nr. 58: Der Architekt Gion A. Caminada

…im Gespräch mit der Theologin Sonja Ammann

am 26. Mail 2019 im Zwinglihaus, Basel, 15.15h bis ca. 18h

Die Bibel ist gespickt mit Bauplänen für Zeltheiligtümer und Tempel, mit Stadtbeschreibungen und Stadtvisionen und mit dem Konzept eines Hauses der Weisheit. Wenn sich Architekt und Theologin dazu unterhalten, was ihnen heilig ist, dann wohl beide im Bewusstsein, dass die meisten Menschen nichts mehr wünschen, als irgendwo zu Hause zu sein.

«Die Architektur der Zukunft soll eine Architektur der Beziehung sein. Beziehungen entstehen durch die Nähe zu den Menschen und zu den Dingen. In deren Verstehen und Begreifen lösen sich die wesentlichen Fragen der Architektur; der Umgang mit der Topographie, mit Konstruktion und Material, mit Bautypen und ihren Hierarchien. Über ihre materielle Eigenart hinaus sind diese Dinge eingebunden in Bedeutungen, Emotionen und Ereignisse. Eine wirkungsvolle Architektur muss autonom sein. Erst dann kann sie Beziehungen einfordern. Diese Autonomie soll aber nicht auf sich selbst begrenzt sein, sie soll vom Ort genährt sein.» Gion A. Caminada

Gion A. Caminada *1957 Nach seiner Lehre als Bauschreiner besuchte er die Kunstgewerbeschule in Zürich. Danach absolvierte er ein Nachdiplomstudium der Architektur an der ETH Zürich und eröffnete sein Architekturbüro in Vrin. Seit 1998 ist er Assistenzprofessor, seit 2008 ausserordentlicher Professor für Architektur und Entwurf an der ETH. Vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Deutschen Kritikerpreis (2008), dem Prix Meret Oppenheim (2010) und dem Bündner Kulturpreis (2011).

Zum Entwurf eines sakralen Raumes in Herrliberg durch Gion A. Caminada.

Sonja Ammann *1984 ist seit 2017 Assistenzprofessorin für Altes Testament an der Universität Basel. Sie hat in Lausanne, Buenos Aires und Heidelberg ev. Theologie studiert. Von 2012 bis 2017 war sie Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Geschichte Israels in der altorientalischen Welt an der Humboldt-Universität Berlin. Sie forscht u.a. zur Konstruktion von Geschichte und leitet ein Forschungsprojekt zum Thema «Transforming Memories of Collective Violence».

Pressebericht

Sorgfältige Architektur schafft heilige Orte

Basel, Zwinglihaus, 26. Mai 2019

Alle Menschen wünschen sich, irgendwo zu Hause zu sein. Diese Sehnsucht durch ihre Arbeit und ihre Kunst möglichst gut zu erfüllen, ist das Berufsziel des Architekten. Die christliche Theologie zeigt dazu mit der Bibel auf, dass Gott dem Menschen diesen Wunsch nach räumlicher Nähe mitgegeben hat. So wird der Architekt zu Gottes Gehilfe, der Hausbau ist geheiligtes Tun. Beim 58. Ökumenischen Dialog, am 26. Mai 2019 im Zwinglihaus Basel, diskutierten der Architekt Gion A. Caminada und die Theologin Sonja Ammann mit etwa 50 InteressentInnen über «Was mir heilig ist».

Gion A. Caminada lebt in Vrin (GR), wo er ein Architektenbüro führt. Zudem wirkt er als Professor für Architektur und Entwurf an der ETH in Zürich. Das Verzeichnis seiner Werke umfasst Wohnhäuser und Ställe, Gewerbegebäude (Schlachthaus, Käserei, Hotel) und öffentliche Häuser (Gemeindesaal, Schulhaus, Totenstube) sowie den Orts- und Gestaltungsplan von Vrin.

Gion A.Caminada ist der Überzeugung, dass sich das Entscheidende im Leben jedes einzelnen Menschen im konkreten Raum ereignet. Als Architekt schafft er Räume, die dem Menschen und dem Ort zugleich dienen. Architektur empfindet er als ein geeignetes Mittel, um die Lebensqualität eines Ortes zu bereichern. Die Baukultur, die die Einzigartigkeit und den Charakter des Ortes wiederspiegelt, macht ein Bauwerk zu einem heiligen Ort.

Sonja Ammann ist Professorin für Altes Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Basel. Sie studierte in Lausanne, Buenos Aires und Heidelberg evangelische Theologie und war Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Geschichte Israels an der Humbolt-Universität Berlin. Begegnungen unterschiedlicher religiöser Traditionen und Vorstellungen sind ihre Forschungsinteressen. Sie hat sich dem Werk von Gion A. Caminada vertraut gemacht und stellte ihm aus ihrem Fachbereich präzise Fragen. Und sie zeigte auf, wie in der Bibel mit «Haus» nicht nur Gebäude gemeint sind, sondern eine Dynastie (Haus Davids), also Menschen. Architekten bauen mit den Häusern auch die menschlichen Gemeinschaften auf.

Architekt und Theologin zeigten sich bewusst, dass die meisten Menschen nichts mehr wünschen, als irgendwo zu Hause zu sein. Darum «soll die Architektur der Zukunft eine Architektur der Beziehung sein. Beziehungen entstehen durch die Nähe zu den Menschen und zu den Dingen. In deren Verstehen und Begreifen lösen sich die Fragen nach dem Umgang mit der Topografie, nach Konstruktion und Material» (G.A.Caminada).

Besonders Kirchen sollen sakrale Räume sein, Bauten, die dem durchschnittlichen Gebrauch entrückt sind. «Der Innenraum ist nach Aussen geschlossen». Der Mensch soll sich darin wohl fühlen, er soll dort zur Ruhe kommen. «Der Besucher sucht zunächst sich selbst, dann seinen Gott und dann vielleicht eine Botschaft.» Eine andere Meinung sagt, dass Kirchen eine Art Mehrzweckraum, ein Begegnungsraum sein sollten, der sakral ist durch die Gemeinschaft, die sich dort trifft.

In seinem Heimatort Vrin gestaltete G. A. Caminada die Totenstube: Weil die Häuser zu klein sind, um einen verstorbenen Menschen nach seinem Tod bis zur Bestattung aufzubewahren, wie es früher Brauch war, wünschte die Gemeinde einen Aufbahrungsort. Der Architekt baute aber nicht einen Raum für die Toten, sondern einen Raum, der den Lebenden einen Ort bietet für ihre Trauer und das Abschiednehmen. Und er baute ihn dort im Dorf, von wo der Trauerzug über den Dorfplatz zum Friedhof gehen muss, damit die ganze Gemeinde Abschied nehmen kann. So bilden die Lebenden und die Verstorbenen eine Gemeinschaft.

Ökumenische Dialoge im Bildungsjahr 2019/2020

Die Kerngruppe des Forums für eine offene Katholizität (FOK) bereitet zurzeit die Ökumenischen Dialoge für das Bildungsjahr 2019/2020 vor. Die fünf geplanten Anlässe werden religiös-gesellschaftliche Brennpunkte in der Schweiz bearbeitet: Kirche, Feminismus und Gender, LGBT (lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell), Flüchtlinge, Reform-Islam (sowie Preisträger der Herbert Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche). Die Dialoge finden weiterhin an einem Montag statt, doch neu am Abend von 18.30 bis 21.30 Uhr. Achtung: gewöhnlich finden die Dialoge im RomeroHaus Luzern statt, doch wird es themengebundene Ausnahmen geben.

Die derzeitigen Mitglieder der FOK-Kerngruppe (Brigitte Durrer, Josef Estermann, Leo Karrer, Paul Jeannerat, Alois Odermatt, Vera Rüttimann, Thomas Staubli) würden sich um «Verstärkung» freuen. Interessentinnen und Interessenten mögen sich mit thomas.staubli@unifr (Moderator) in Verbindung setzen.

Paul Jeannerat

 

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