Mit Bruno Fluder und Susanne Andrea Birke
Am Montag 20. Januar 2020, 18.30-21.30 Uhr
In Jesus Christus gibt es nicht männlich und weiblich: Ein avantgardistisches Statement des hellenistischen Juden Paulus vor zweitausend Jahren in seinem Brief an die Galater. Was das für ein sexuell und geschlechtlich mündiges Leben heißen könnte, wird freilich erst in unserer Zeit allmählich deutlich. Selbst über fünfzig Jahre nach der sexuellen Revolution tut sich die Gesellschaft mit der Umsetzung der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt schwer. Die Schweiz liegt nach der Rainbow-Map von ILGA Europe nur auf Rang 27 von 49 untersuchten Ländern, noch hinter Albanien, Ungarn oder Bosnien-Herzegovina.
Was bedeutet das für Menschen, die nicht der dominanten sexuellen oder geschlechtlichen Norm entsprechen in der römisch-katholischen Kirche, die immer wieder als homophobe Institution von sich Reden macht? Welchen Einschränkungen sehen sich LGBTI-Menschen ausgesetzt? Aber auch: Welche Impulse gehen von ihnen aus? Was bedeutet Queer leben und glauben konkret? Der Dialog bietet die Möglichkeit in einem zu selten geführten Diskurs mit kompetenten Fachleuten auszutauschen.
Thesen von Bruno Fluder
Bruno Fluder *1969, Katholischer Theologe, Kirchenmusiker, Bibliodramaleiter, Non-Profit-Management. Seit 2019 Leiter vom Haus Gutenberg. Seit dem 14. Lebensjahr begabt, Menschen des eigenen Geschlechts zu lieben, seit dem 33. Lebensjahr geoutet, doch erst mit 42 Jahren aus dem Dienst der Kirche ausgetreten. Pressesprecher von www.adamim.ch
- Kirche prägt nicht zuerst durch Dogmatik, sondern durch ihren Ruf
Mit 14 Jahren wusste ich aus der Zeitung, dass die Kirche Homosexualität als Sünde verurteilt. Und ich wollte doch so ungern ein Sünder sein! Also beschloss ich, als ich mich zum ersten Mal in einen Mitschüler verliebte, dass dies nicht sein dürfe.
Die damalige Praxis von Beichte (80er Jahre) als moralischer Aufsichtsinstanz über mein Gewissen trug das Ihre bei zur Nachhaltigkeit dieser Prägung in meiner Biografie. Auf Grund der Erzählung vieler Katholik*innen meiner Generation und älter vertrete ich die These, dass die katholische Kirche die Geschichte ihrer Beichtpraxis aufarbeiten sollte als eine Sündengeschichte ähnlich der Geschichte der sexuellen und Machtmissbräuche im Priesteramt (und tragisch auch damit verflochten).
Der Ruf der katholischen Kirche ist auch heute noch nicht weniger LGBTI-feindlich. Bloss fühlen sich junge queere Katholik*innen heute – zum Glück – nicht mehr so der Moral der Kirche verpflichtet, da diese in den letzten zehn Jahren massiv an moralischer Autorität verloren hat.
Symbolpolitik der Kirche reicht nicht, um ihren Ruf zu verändern, es braucht substanzielle Praxisänderungen z.B. in der Personalpolitik oder bei Segensfeiern.
- Als Homosexueller in einer Firma arbeiten, die Homosexualität kategorisch abwertet, grenzt an Masochismus
1988 – 2011 lebte ich diesen Masochismus. Und nicht spurlos. Ich brauchte viele Jahre Psychotherapie, um mich selber lieben zu lernen. Schon um 2000 herum begann ich mich zu fragen, ob ein Arbeitsplatz in der Kirche mir nicht schadet. Doch Kirche war Heimat für mich, Heimat, die ich nicht so schnell verlassen wollte und konnte.
Und da ich „nur“ die eine Ausbildung als lic. theol. hatte, war es schwierig, eine andere, erfüllende und anspruchsvolle Berufstätigkeit zu finden. Denn das Studium der Theologie ist eine firmeninterne Ausbildung. In den 2010er-Jahren erlebte ich auf der Stellensuche immer mehr, wie Theologen in der restlichen Arbeitswelt nicht mehr gefragt sind bis hin dazu, dass dieser berufliche Hintergrund als Minuspunkt bei einer Bewerbung beurteilt wurde.
- Queere Mitglieder wie Mitarbeitende der Kirche sind sowohl Chance als auch Teil des Problems
Es ist eine Tatsache, dass ein bedeutender Teil der (männlichen, priesterlichen) Entscheidungsträger in der katholischen Kirche homosexuell ist. (These: der Pflichtzölibat wirkt(e) anziehend auf Männer, die religiös leben und ihre Homosexualität unterdrücken wollen.) Da Sexualität ein wesentlicher Lebensimpuls ist, haben sie alle ein Leben lang trainiert, damit zu leben. Die Lösungsvarianten sind dabei sehr vielfältig. Würde Homosexualität von der Kirche plötzlich positiv bewertet, bräche für viele von ihnen ein wesentlicher Pfeiler ihres Lebensmodells ein.
These: die Mehrheit von ihnen bekämpft in sich selbst das Selbstbild von einem homosexuellen Mann. Bei vielen führt das zu einer ungesunden Homophobie auch anderen gegenüber.
Queere Kirchenmitglieder verfügen auf der anderen Seite über das Potenzial, die Kirche auf Jesu Praxis der Parteilichkeit für benachteiligte Minderheiten hinzuweisen. Würde die Kirche diesen ihr zugespielten Ball annehmen, könnte sie an revolutionärer Wesentlichkeit in der Gesellschaft von heute gewinnen.
Thesen von Susanne Andrea Birke
Susanne Andrea Birke *1968 in Ulm (D), seit 1991 in der Schweiz, röm.-kath. Theologin in kirchlicher Anstellung, QiGong-Lehrerin, Atemtherapeutin. Bereits als Kind genderqueer, seit 1992 out als frauen*liebend, u.a. im Advisory Committee der «Eurocentralasian Lesbian* Community» und im Women and Trans Committee des «Global Network of Rainbow Catholics» aktiv.
- Identitäten und Beziehung:
Es geht um einen Weg in Auseinandersetzung mit mir und meiner Mitwelt. Die Schöpfung entfaltet sich in einem fort weiter und ist Mitschöpferin im sehr guten göttlichen Werk. Dazu gehört eine zunehmend sichtbarer werdende Vielfalt menschlichen Seins. Standen vor ca. 25 Jahren noch v.a. Lesben und Schwule im Zentrum der Diskussion über soziosexuelle Vielfalt, sind heute auch die geschlechtlichen Minderheiten präsent und bewirken damit wiederum Veränderungen in den Selbstdefinitionen im Bereich der soziosexuellen Orientierung.
- Diskriminierungserfahrungen
Der hebräische Text der Schöpfungsgeschichte eröffnet einen großen Freiraum hinsichtlich verantworteter Selbstwerdung und Beziehungen. Heute wird er vielfach zur Ausgrenzung missbraucht. Damit (und mit ähnlichen lehramtlichen Positionen sonst) wird eine Diskriminierung aufrechterhalten und wieder befördert, bzw. im Fall von Zwischengeschlechtlichkeit neu begründet, die gesamtgesellschaftlich auf dem Rückzug war. Aktuell ist spürbar, dass erreichte Schritte aus der Diskriminierung nie eine Selbstverständlichkeit sind und des sorgsamen Bewahrens bedürfen.
- Intersektionalität
Wir alle sind Teil eines hierarchischen und diskriminierenden Systems und darum aufgefordert uns selbst mit unseren Privilegien und Benachteiligungen zu verorten und im Einsatz für das Reich Gottes von beidem auszugehen, um allen Menschen ein Leben in Fülle zu ermöglichen. Maßstab ist die Befreiung jener, die aufgrund ihres Seins im Schnittpunkt diverser Unterdrückungsstrukturen, die schwierigsten Ausgangsbedingungen haben.
- Gaben und neue Horizonte
Es gibt viele Charismen und die menschliche Diversität macht es nötig, dass wir alle in unser Miteinander-Kirche-Sein einbeziehen, wenn das Reich G*ttes Wirklichkeit werden soll. Dazu gehören auch spezifische Charismen von LGBTIQA+, die neue Horizonte eröffnen können. Das darf aber nicht zu einer Stigmatisierung führen. Es gilt LGBTIQA+ in ihrem individuellen Menschsein wertzuschätzen.
- Gemeinschaft
Es gibt viele Formen von Gemeinschaften. Zwei Bezugspunkte für gläubige LGBTIQA+ sind die Kirchen und die Regenbogencommunity. Wie sie sich in beiden verorten ist sehr unterschiedlich. Beide Gemeinschaften können für sie sowohl Ort der Geborgenheit und Gewalt, der Stärkung und Befreiung, der Verletzung und Unterdrückung, der Herausforderung und des Rückzugs sein. Als Kirche sollten wir über diese Vielschichtigkeit und die dazugehörige römisch-katholische Schuldgeschichte (und -gegenwart) im Klaren sein und einen bewussten Umgang mit ihr pflegen.
- Strategien
In der römisch-katholischen Kirche sind wir mit einer widersprüchlichen Situation konfrontiert: Offen Schwule und LBTIQ+ sind ausgegrenzter / marginalisierter Teil der Institution und gleichzeitig geht diese Marginalisierung von Männern aus, die zumindest nach außen vorgeben müssen cishetero zu sein, es aber vielfach nicht sind. Im Umgang mit dieser komplexen Situation gibt es nicht die eine richtige Strategie.
Medienmitteilung
Ökumenischer Dialog des Forums für offene Katholizität (FOK)
LGBTI – Zum queeren Leib Christi werden
Luzern, 20. Januar 2020
Paul Jeannerat
Die fünf Buchstaben LGBTI bezeichnen menschliche Lebensweisen: lesbisch, gay (schwul), bisexuell, transsexuell, intersexuell. Als Minoritäten wurden und werden die so veranlagten Menschen an den Rand gedrängt, weil sie «queer» zu den als normal empfundenen Lebensweisen stehen. Das Forum für offene Katholizität (FOK) offerierte am letzten Montag im RomeroHaus Luzern im Rahmen des diesjährigen Schwerpunktes «Religiös-gesellschaftliche Brennpunkte in der Schweiz» einen Dialog zur menschlichen Wirklichkeit LGBTI.
Dass LGBTI weltweit ein brennendes Problem ist, zeigt sich unter anderem darin, dass «Concilium», die renommierte «Internationale Zeitschrift für Theologie» (Grünewald) ihre Dezember-Nummer 2019 dem Thema «Queer theology -Zum queeren Leib Christi» widmete.
Die Aktualität des Themas ergab sich auch durch die eidgenössische Abstimmung vom kommenden 9. Februar über die Ergänzung des Strafartikels gegen Rassendiskriminierung durch den Tatbestand der sexuellen Orientierung. In den Medien meldete sich eine Lesbenorganisation zugunsten der Verschärfung zu Wort («Gegen die Verrohung des Umganges») und eine andere dagegen («Wir benötigen keinen gesetzlichen Schutz. Wir wehren uns selbst»).
Referentin und Referent
Dem FOK-Team war es gelungen, zwei hervorragend geeignete Referen*innen für diesen 61. Dialog zu verpflichten:
Susanne Andrea Birke ist Erwachsenenbildnerin bei der römisch-katholischen Kirche Kanton Aargau, QiGong-Lehrerin, Atemtherapeutin. Seit 1992 out als frauen*liebend, Mitglied internationaler Gremien lesbischer Frauen.
Bruno Fluder, ist katholischer Theologe, Kirchenmusiker, Bibliodramaleiter. Er führt seit 2019 das Bildungshaus Gutenberg Balzers (Fürstentum Liechtenstein) und ist Pressesprecher von Adamim, des Vereins schwuler Seelsorger.
Beide berichteten, wie sie die queere Lebensform von Jugend an am eigenen Leib erfuhren, beim Studium der katholischen Theologie die verschiedenen Positionen der kirchlichen Lehre kennen lernten, dann ihr Wissen durch internationale Kontakte vertieften und heute in verantwortungsvoller Position in Kirche und Gesellschaft mithelfen, «den queeren Leib Christi aufzubauen».
Susanne Andrea Birke wies darauf hin, dass heutzutage nicht mehr nur Lesben und Schwule im Gespräch sind, sondern immer mehr auch die Minderheiten unter den Queeren: bisexuelle, transsexuelle und weitere «Spielarten».
Die Bezeichnung «queer» wird für alle die verschiedenen sexuellen Orientierungen gemeinsam angewandt. Das so verwendete Wort deutet die ursprünglich abwertende Bezeichnung («Querkopf») ins Positive.
Queer leben in der Kirche
Was bedeutet es für Menschen, die nicht der dominanten sexuellen Norm entsprechen und in der römisch-katholischen Kirche sind und bleiben wollen, obwohl diese immer wieder als homophobe Institution von sich reden macht? Welchen Einschränkungen sehen sich LGBTI-Menschen ausgesetzt? In engagierten Voten beantworteten die Referierenden diese Fragen.
Als Bruno Fluder nach langjähriger Tätigkeit als Seelsorger sich in der Öffentlich keit als schwul outete, erhielt er nur wenige Reaktionen, doch alle waren positiv: ein Zeichen der Zustimmung oder der Ablehnung? Als er später eine neue Stelle in der Arbeitswelt suchte, war er als Theologe nicht gefragt: weil ein Theologiestudium als firmeninterne Ausbildung wertlos ist oder wegen seinem Zivilstand?
In konservativen, meist freikirchlichen Kreisen wird die Auffassung vertreten, dass die Bibel die queeren Lebensweisen als gott-widrig ablehnt. Andererseits sind Theolog*innen, die zur befreiungstheologischen Strömung gehören, der Meinung, dass das Christentum nicht per se gegen die queeren Lebenswesen gerichtet ist. Die biblischen Zitate, die zur Verteufelung von LBGTI führen, sind aus dem Zusammenhang gerissen und zudem historisch bedingt.
Susanne Andrea Birke hat einen tiefen Einblick in die Wirklichkeit der katholischen Kirche erworben: «Offen Schwule und als LBGTI-Lebende sind ein marginalisierter Teil der Institution, und gleichzeitig geht diese Marginalisierung von Männern aus, die zumindest nach aussen vorgeben müssen, cishetero zu sein, es aber vielfach nicht sind.»
Auch Bruno Fluder hat als Schwuler einen schweren Stand: «Es ist eine Tatsache, dass ein bedeutender Teil der (männlichen, priesterlichen) Entscheidungsträger in der katholischen Kirche homosexuell ist. Die Mehrheit von ihnen bekämpft in sich selbst das Selbstbild vom homosexuellen Mann. Bei vielen führt dies zu einer ungesunden Homophobie auch andern gegenüber.»
Zum queeren Leib Christi werden
Beide riefen die LGBTI-Mitmenschen auf, nicht nur in der Kirche zu bleiben, sondern dort auch aufzutreten: «Es gibt viele Charismen, und die menschliche Diversität macht es nötig, dass wir alle in unser Miteinander-Kirche-sein einbeziehen, wenn das Reich G*ttes Wirklichkeit werden soll. Dazu gehören auch spezifische Charismen von LGBTI-Mitmenschen», ermahnte Susanne A. Birke. Und Bruno Fluder präzisierte: «Queere Kirchenmitglieder verfügen über das Potential, die Kirche auf Jesu Praxis der Parteilichkeit für benachteiligte Minderheiten hinzuweisen. Würde die Kirche diesen ihr zugespielten Ball annehmen, könnte sie an revolutionärer Wesentlichkeit in der Gesellschaft von heute gewinnen.»
Offene Frage
Als Berichterstatter hätte ich gerne gewusst, wie die beiden Referierenden am 9.Februar 2020 abstimmen werden; sie sagten es aber nicht und wurden auch nicht danach gefragt.