Abschlussveranstaltung: Romerohaus, 9. Oktober 2021

Seit schon fast 20 Jahren veranstaltet das Forum für Offene Katholizität (FOK) Dialog-Veranstaltungen zu brennenden und kontroversen Themen an den Schnittstellen von Kirche, Theologie, Gesellschaft, Kultur und Politik (vgl. www.fok.org). Bisher konnten 62 solche Dialoge durchgeführt werden; Leo Karrer, der vor Kurzem gestorben ist, war einer der Initiatoren und treibenden Kräfte. Corona-bedingt mussten die letzten Dialoge abgesagt werden. Aber wir möchten diese erstaunliche Reihe kritischer Auseinandersetzung nicht einfach sang- und klanglos versanden lassen, sondern in einer grossen Abschlussveranstaltung entsprechend würdigen und zugleich Impulse für die Zukunft vermitteln.

Programm

9h Eintreffen und Begrüssung

9:30 Dialog 65: Prophetische Kirche Schweiz nach Kovi 20

Impulse von Josef Lang und Andrea Meier, Arbeit in Gruppen, Plenum

12h Mittagessen

14h Dialog 66: Arbeiten und Lieben an der kirchlichen Basis jenseits von strukturellen Blockaden

Impulse von Martin Kopp und Monika Hungerbühler, Arbeit in Gruppen, Plenum

17h FOK sei Dank: Ausklang mit Apéro riche von Orientexpress-Catering GmbH. Würdigungen von Vera Rüttimann, Erwin Koller und Sepp Estermann. Künstlerische Einlagen von Ana Turkalj (Cello) & Alessandro Tardino (Klavier), Andreas Kessler (Poetry Slam), Thomas Markus Meier (Sketch), Jacqueline Keune (Poesie)

Vorbereitungsteam: Sepp Estermann, Brigitte Durrer und Thomas Staubli (Moderation)

Ende ca. 19:30

Engagiert und lebendig bis zuletzt: «Forum für offene Katholizität»

Würdigung der Abschlussveranstaltung durch Thomas Staubli, 3.11.21 (auch abrufbar auf kath.ch)

Mit den Dialogen Nr. 65 und 66 beendete die Interessengruppe «Forum für offene Katholizität» (FOK) am 9. Oktober 2021 ihre Veranstaltungen. Das waren Momente der Konzentration, der dialogischen Begegnung und der Inspiration in einer komplex gewordenen Welt, organisiert im Verbund mit dem Verein tagsatzung.ch und Comundo, meistens im RomeroHaus (Luzern).

Würdiger Abschluss als Signal

Während das Konzept und die Themen des Forums aktueller nicht sein könnten (vgl. auch seine Homepage www.fokdialoge.org), ist sein Stammpublikum und ein Teil der organisierenden Kerngruppe in die Jahre gekommen, ohne dass es gelungen wäre, junge KatholikInnen für das etablierte Gefäß zu begeistern. Diese suchen nach neuen Formen des Austauschs. Die Covid-bedingte Pause, aber auch die epochalen Umbrüche im RomeroHaus, trugen das ihre dazu bei, dass sich die Interessengruppe für einen würdigen Abschluss der Reihe entschied: Einen Doppeldialog mit Josef Lang, Andrea Meier, Monika Hungerbühler, Martin Kopp, mit abschließenden Würdigungen und künstlerischen Darbietungen, die Lust machen zum Weiterdialogisieren in neuen Gefäßen.

Prophetische Kirche Schweiz nach KOVI

Der Dialog des Morgens widmete sich der Frage, wie es mit der prophetischen Kirche Schweiz nach der KOVI-Initiative weitergehen soll. Dass sich die Kirchen nach Jahrzehnten des Engagements für gerechte Beziehungen mit dem Süden für die Konzernverantwortungsinitiative (KOVI) stark machten, erstaunte niemanden, der in den letzten Jahrzehnten ein christlich waches Leben führte. Fastenopfer, Brot für alle, OeME und viele andere Organisationen zeigten immer wieder eindringlich auf, gegen welche Formen der Diskriminierung die Menschen im Süden zu kämpfen hatten, und gaben mit durchdachten und solidarischen Projekten und dank leibhaftigen Begegnungen mit Betroffenen Gegensteuer. Das kirchliche Engagement trug wesentlich dazu bei, dass es eine Ja-Mehrheit für die Initiative gab, die aber leider am Ständemehr der kleinen konservativen Kantone gescheitert ist.

Maulkorb für Kirchen?

Dieses Engagement ärgerte konservative Wirtschaftskreise. Der junge Freisinn verlangte nach der Abstimmung gar ein Bundesgerichtsurteil darüber, wie stark sich Kirchen bei politischen Urnengängen einmischen dürfen. Der Historiker, Ex-Kantonal- und Nationalrat Josef Lang (*1954) fragt trocken zurück: Verlangten die KritikerInnen von der Kirche auch Neutralität, als sie dem Establishment näherstand als der Frohbotschaft? Beispielsweise beim bischöflichen Bettagsmandat von 1921, das Katholiken, die nichtkatholischen Gewerkschaften angehörten oder bei der SP mitmachten, mit der Exkommunikation drohte? Oder 1942, als der kirchliche Katholizismus – im Unterschied zum protestantischen Mainstream – die Boot-ist-voll-Politik unterstützte? Oder 1959, als der offizielle Deutschschweizer Katholizismus das Frauenstimmrecht bekämpfte?

Veraltetes Ständemehr

Das Ständemehr, das zur Abfuhr der KOVI führte, hält Lang für überkommen. Es wurde eingerichtet, um die katholisch-konservative Bevölkerung gegenüber den Liberalen zu stärken. Durch den demografischen Wandel der letzten Jahrzehnte sei diese Stärkung aber längst obsolet geworden. Die Gruppen, die heute immer wieder unter Überstimmung und damit Ausgrenzung litten, seien die Romands und die Frauen.

Katholisch heisst menschlich

Auf Eigennutz, Abgrenzung und Ausschluss bedachte identitäre Politik macht sich wieder breit. Der einflussreiche katholische Jurist und Ideologe des Nationalsozialismus Carl Schmitt behauptete, wer «Menschheit» sage, lüge. Lang hält demgegenüber an der Überzeugung fest, dass «katholikos» letztlich «auf die Menschheit bezogen» bedeute. Menschliche Gesinnung zeige sich im Brückenbau zwischen Süd und Nord, im Bemühen, die Gräben zum Islam zu überbrücken und in der Stärkung der UNO.

GFS: Programm mit Zündstoff

Die von den Kirchen initiierte Bewegung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung (GFS) hält Lang nach wie vor für wegweisend. Bedauerlicherweise sei in Bezug auf die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern die Kirche Teil des Problems, statt der Lösung. Einen ähnlich gewaltigen blinden Fleck macht er allerdings auch bei der NATO, einer andern Mega-Organisation aus. Sie spreche von Friedensförderung, wo von Krieg die Rede sein müsse, also einer völkerrechtlich geächteten Form der Konfliktlösung. An vorderster Front aber sieht Lang künftig die Klimabewegung, und die werde besonders stark von Frauen geprägt.

JedeR dreht an einem kleinen Rädchen

Zu diesen Frauen gehört Andrea Meier (*1983), katholische Theologin und Leiterin der Fachstelle Kinder & Jugend der katholischen Kirche Region Bern, sowie Geschäftsführerin der «offenen kirche bern». Mit wachen Augen und lebendigen Gesten unterstreicht sie in ihrem Impuls die Koinonia- (Communio, Gemeinschaft) Funktion der Kirche. Kirchenarbeit sei letztlich Verbandsarbeit und das sei eine unglaublich wichtige Ressource, jenseits von Klassen und ästhetischen Konventionen. Hier werde erfahrbar, dass jede und jeder an einem kleinen Rädchen drehe. Dieses Bild findet in den anschließenden Gruppendiskussionen breite Resonanz, nicht ohne den Hinweis, dass es manchmal auch Achsen für die vielen kleinen Rädchen brauche.

«Es ist so offen hier!»

Meier, die jüngste Tagungsreferentin, verdeutlicht, was sich in der Kirche verändert hat, im Vergleich zur Kirche der abtretenden Generation, die permanent den Niedergang und den Reformstau beklagte. Die meisten im Umfeld der offenen Kirche hätten nichts mit der offiziellen Kirche zu tun. Dank der kirchlichen Bedeutungslosigkeit seien neue, unübliche Seilschaften möglich. «Es ist so offen hier! Ich traue mich neue Menschen mitzubringen», sagte ihr jemand. Eine neue Erfahrung! Wird da der göttliche Geist spürbar, der über dem Tohuwabohu zu flattern pflegt (Gen 1,2)?

Raschelnde Streifen im Wind

Die alten Kompetenzen der Kirche werden in diesem Brachland plötzlich wieder geschätzt. Im Kontakt mit Menschen, denen alles viel zu schnell geht, die an Burnout leiden, wird der bewährte Rhythmus von Beten und Arbeiten wichtig. Die Vertrautheit der Kirche mit dem Äußersten, mit den letzten Dingen, dem Sterben, dem Leiden, dem Tod, macht sie sensibel für engagierte, politische Arbeit an der Seite von Asylsuchenden. So raschelten Tausende von Streifen mit den Namen der im Mittelmeer umgekommenen Flüchtlinge an der Berner Heiliggeistkirche und flüsterten: Bitte vergesst uns nicht!

Kirchenlandschaften aus Arbeit und Liebe

Der Nachmittag stand unter dem Motto «Arbeiten und Lieben an der kirchlichen Basis jenseits von strukturellen Blockaden». Der Titel spielt auf Dorothee Sölles Schöpfungstheologie an.[1] Ihr zufolge hinterlässt nicht entfremdetes, liebevolles Arbeiten Landschaften, die wir als schön empfinden, wie zum Beispiel die Heckenlandschaften im englischen Westsommerset oder die landschaftsgeschützten Rebkulturen im Chablais.

Be-Longing

Eine schöne Kirchenlandschaft bewirtschaftet seit 2009 die feministische Theologin Monika Hungerbühler (*1959) als Leiterin der Offenen Kirche Elisabethen in Basel. Sie versteht ihr Arbeiten und Lieben als postkonfessionell, denn die Stadt Basel ist zu drei Vierteln konfessionslos. Der restliche Viertel ist reformiert, katholisch, jüdisch oder muslimisch. In ihrer «Kirche der Zukunft» gibt es zwar keine Gemeinde, dafür viele Gäste auf dem Weg, darunter 120 Freiwillige. Es ist eine Gemeinschaft, die als Be-Longing verstehbar ist: Sie gehört dazu und sehnt sich gleichzeitig nach dem, was noch nicht da ist.

Ständiges Umstuhlen

Finanziell lebt die vereinsmäßig organisierte Offene Kirche von Vermietungen, Spenden, Kollekten, Stiftungen. Sie spricht dauernd vom Geld, sie lanciert und beendet Projekt um Projekt. «Ich bin ständig am Umstuhlen», kommentiert Hungerbühler. Ihre Kirche ist ein Laboratorium. Und sie ist selbstverständlich politisch: Für die KOVI, für Gleichberechtigung Punkt Amen, für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide, für eine Schweiz ohne Massentierhaltung. LGBTI, Tierfreundlichkeit und Fairer Handel sind Selbstverständlichkeiten, die durch Labels ausgewiesen werden.

Das Sakrament des Haareschneidens

Hungerbühler spricht ruhig und dezidiert. Nach 27,5 Jahren ist die Offene Kirche Elisabethen ein etablierter Ort, der sich aber dennoch ständig selber neu erfindet. Ein ein- und ausatmendes Gebilde, nennt es ihre bewusst feministische Leiterin. Hier werden einerseits die traditionellen großen christlichen Feste gefeiert, aber zugleich ist Raum fürs Haareschneiden hinter dem Altar. Gibt es einen besseren Ort für dieses Sakrament des Neuen Menschen?

Aufopferung bis zum Letzten

Ganz innerhalb der traditionellen katholischen Strukturen und doch am Rande realisierte der promovierte Theologe und Priester Martin Kopp (*1946) seine schönen Landschaften. «Die Power in Person, einer der sich aufopfert bis zum Letzten», meint Daniel Wiederkehr im Gruppengespräch über ihn. Er muss es wissen, denn er hat bei ihm seine praktische Ausbildung absolviert in Wädenswil, wohin Kopp von Zürich aus versetzt worden war.

Jugend im Drogenelend… im Flüchtlingselend

Option für die Armen bedeutete für Kopp, als er 1979 den kirchlichen Dienst aufnahm, Option für die Jugend im Drogenelend. Das Pfarrhaus wurde zu einem Ort der Bedrängten. Nach seiner Versetzung nach Erstfeld als Generalvikar der Urschweiz geht es im gleichen Takt weiter, jetzt aber im Clubhüüs und mit jungen Männern, die als Flüchtlinge Randständige sind.

Gangster-Pfarrer

Aber nicht nur die Jungen Männer brauchen ihn. Er braucht auch sie. «17 Jahre haben sie mir über die Runden geholfen», sagt er – in jener Zeit nämlich, als die Situation in der Churer Bistumszentrale für ihn immer absurder wurde, bis der Vierundsiebzigjähre kurzerhand abgesetzt wurde. Bei Firmgesprächen, an der Seite der Menschen in Bristen nach der Unwetterkatastrophe – da blüht Kopp auf und fühlt sich im Element. Überhaupt: Im Vergleich zu Zürich ist Seelsorge in Uri Mission bei den Armen. Hier wird er im Clubhüüs gleichsam getauft: Ein Gangster-Pfarrer sei er, sagen die Flüchtlinge. Ein Titel, der Kopp sichtlich gefällt.

Flüssige Kirche

Die Kirche, so scheint es vielen Anwesenden, sei eine liquid church, eine flüssige Kirche geworden. Das, was Christian Duquoc schon vor bald vierzig Jahren als églises povisoires angedacht hat. Und diese Kirche kennt keinen Pomp, sondern ist bescheiden und flexibel. Der Exodus-Verlag hatte die deutsche Ausgabe seiner Ekklesiologie damals mit dem Armen Engel von Paul Klee auf dem Cover herausgebracht.[2]

Was kommt, wenn das Alte zerfällt?

Die Stimmung im RomeroHaus an diesem Tag ist alles andere als larmoyant. Da ist eine wundersame Neugier für das Neue, das sich im zerfallenden Alten anbahnt. Eine gelassene Zuversicht ist zu spüren, dass die wertvollen spirituellen Impulse der Kirche irgendwo weitergehen, auch wenn noch nicht klar ist wo und wie, und dass das Kaputte, Morbide und Perverse verrotten wird.

Ausklang

Unter dem Motto «FOK sei Dank» setzte das Forum im Foyer des RomeroHauses einen Schlusspunkt, der alle Sinne ansprach. Treffender Wortwitz in berndeutschen Slams von Andreas Kessler sprach aus den und in die ermüdeten kritisch-katholischen Herzen, vielschichtige, bissige Satire in Bild und Wort aus Thomas Markus Meiers «Vatikan» gab nochmals zu denken, einfühlsame, ernste Poesie von Jacqueline Keune verlieh dem, was viele dachten, ein Wortgewand, und bewegendes Cellospiel von Ana Turkalj ließ das köstliche Essen von Orient-Express Catering noch besser schmecken.

Dazwischen würdigten Vera Rüttimann und Sepp Estermann die AktivistInnen des Forums und besonders dessen Begründer, Leo Karrer, der im Januar dieses Jahres verstorben ist.

Geleitwort

Der langjährige Moderator des Forums schließlich, Erwin Koller, schloss mit einem Lob auf die Freiwilligenarbeit, ohne die es das FOK nicht gegeben hätte – auch das sei Kirche! Und er gab mystische Erfahrungen und Weisheiten, geboren aus dem Trialog der Religionen auf der iberischen Halbinsel zu bedenken, wo er immer wieder Reisen leitet. «Mystiker ist», so zitierte er Michel de Certeau, «wer nicht aufhören kann zu wandern, und wer in der Gewissheit dessen, was ihm fehlt, von jedem Ort und von jedem Objekt weiß: Das ist es nicht.»[3] Das sei, so glaube er, der Geist, von dem jene beseelt waren, die in den vergangenen Jahren an den Katholischen Dialogen gestrickt, mitgewirkt und teilgenommen hätten.[4]

[1] Dorothee Sölle, Lieben und arbeiten. Eine Theologie der Schöpfung, Stuttgart 1991 (6. Aufl.). Mehr von und über Dorothee Sölle.

[2] Christian Duquoc, Kirchen unterwegs. Versuch einer ökumenischen Ekklesiologie, Freiburg 1985.

[3] Michel de Certeau, Mystische Fabel, Berlin 2010, 487.

[4] Die ganze Würdigung von Erwin Koller kann auf der Homepage des FOK nachgelesen werden.

2 Kommentare

  1. […] Veranstaltung (9:30-12 Uhr) ist der erste Teil der dreiteiligen Abschlussveranstaltung der FOK-Dialoge, die am Samstag 9. Oktober 2021 im Romerohaus Luzern […]

  2. […] Veranstaltung (14-17 Uhr) ist der zweite Teil der dreiteiligen Abschlussveranstaltung der FOK-Dialoge, die am Samstag 9. Oktober 2021 im Romerohaus Luzern […]

Kommentar abschicken