Dialog Nr. 65: Prophetische Kirche Schweiz nach Kovi 20

Welches ist die prophetische und befreiende Rolle der Kirche heute? Wo zeigt sich der «Stachel» der Frohbotschaft? Wie kann Theologie und Glauben auf gesellschaftliche Fragen einwirken und dabei Partei ergreifen? Welche Herausforderungen sollten eine prophetische Kirche und Theologie unbedingt annehmen?

Diese und ähnliche Fragen möchten wir, angeregt vom Historiker Josef Lang und der kirchlichen Jugendarbeiterin Andrea Meier diskutieren. Beide haben sich, wie viele andere in den Kirchen, für die Konzernverantwortungsinitiative engagiert, die vom Volk angenommen, aber von den Ständen verworfen wurde. Dieses Engagement und seine Nachwirkungen zeigen, dass das prophetische Feuer im Christentum hierzulande nicht erloschen ist.

Die Veranstaltung (9:30-12 Uhr) ist der erste Teil der dreiteiligen Abschlussveranstaltung der FOK-Dialoge, die am Samstag 9. Oktober 2021 im Romerohaus Luzern stattfindet.

Thesen von Josef Lang

Ausgehend von den Kritiken am Kovi-Engagement der Kirchen werfe ich die Frage auf: Verlangten die KritikerInnen von der Kirche auch Neutralität, als sie dem Establishment näherstand als der Frohbotschaft? Beispielsweise beim bischöflichen Bettagsmandat von 1921, das Katholiken, die nichtkatholischen Gewerkschaften angehörten oder bei der SP mitmachten, mit der Exkommunikation drohte? Oder 1942, als der kirchliche Katholizismus– im Unterschied zum protestantischen Mainstream – die Boot-ist-voll-Politik unterstützte? Oder 1959, als der offizielle Deutschschweizer Katholizismus das Frauenstimmrecht bekämpfte?

Was hat sich seit den 1960er Jahren geändert im Verhältnis zwischen kirchlichem und politischem Katholizismus (den es seit 10 Monaten nicht mehr gibt)?

Was sind die heutigen Ausgangspunkte für einen Katholizismus, der sich primär an der biblischen Prophetie und nicht primär am Status Quo orientiert?

1. Καθολικός heißt umfassend und universell. Politisch in eine gegenwärtige Welt übersetzt, die sich immer mehr zerreißt, heißt das: sozial und kulturell integrativ und global verbindend. Das geht nur mit Toleranz und erheischt, wie es Papst Franziskus gut erfasst hat, die Stärkung der (universellen) UNO gegenüber ihren Unruhe stiftenden Konkurrenten.

2. Die ökumenische Bewegung Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung:

Gerechtigkeit im sozialen, auch globalen Sinne (Kovi!). Und Gerechtigkeit im Verhältnis zwischen Mann und Frau. Im ersten Fall ist der Katholizismus recht gut aufgestellt, eine positive Rolle zu spielen. Im zweiten Fall ist er mehr Problem als Lösung. Die Gender-Frage wird die Frage, an der sich die Zukunftsfähigkeit der katholischen Kirche entscheidet.

Frieden im Sinne einer Umsetzung des UNO-Kriegsverbots (was mit dem Debakel des Militär-Interventionismus in Afghanistan wieder realistischer geworden ist) und einer radikalen Abrüstung sowie im Sinne des Friedens unter den Religionen. Die Basis dafür ist gemäss Küng und Lessing die Gleichwertigkeit der Religionen.

Schöpfung bewahren heisst vor allem den Klimawandel stoppen. Dass dies ohne Systemwandel nicht geht, ist eine (noch) grössere Herausforderung an Kirche und Katholizismus, als es die Kovi war.

Josef Lang, *1954 in Freiämter Bauernfamilie mit Beziehungen zu Missionaren in aller Welt. Aus Kollegium Sarnen «wegen fremder Weltanschauung» entlassen. Kantonsschule Zug. 1982 wurde für die Alternative Linke ins Stadt-, 1994 ins Kantons- und 2003 ins Bundesparlament gewählt. Studium der Geschichte, Philosophie und Germanistik. Promotion 1981 über die Basken unter Franco. Wegen Berufsverbot an Uni und Zuger Kanti von 1982 bis 2018 Allgemeinbildender Lehrer an der Baugewerblichen Berufsschule Zürich. Historische Forschung zum Katholizismus, besonders im 19. Jh.

Jüngste Buchpublikationen: Kulturkampf in der Schweiz (mit Pirmin Meier), 2016; Demokratie in der Schweiz, 2020

 

Thesen von Andrea Meier

Gemeinsam aktiv sein

«Es gibt mir Zuversicht zu sehen, dass jede_r irgendwo an einem kleinen Rädchen dreht»

Menschen, die sich Verbunden wissen, haben ein enormes Potential für politisches Engagement und Aktivismus in unterschiedlichen Formen. Kirche übt Communio (und kann sie mal besser und mal schlechter).

«Es ist so offen hier – ich traue mich neue Menschen mitzubringen»

Es braucht manchmal Neu- und Brachland, damit ganz unterschiedliche Menschen und Gruppen neue Allianzen schmieden und tragfähige Beziehungen aufzubauen. Kirche ist heute für viele Neuland.

«Es gibt kein entweder – oder. Für viele junge Menschen hängen die drängenden Fragen unserer Zeit alle zusammen.»

Uniting the fights ist das Gebot der Stunde in sozialen und politischen Kämpfen. Kirche geht es immer um das «Heil der Welt» also um «alles».

«Die Streifen rascheln im Wind und flüstern: bitte vergesst uns nicht.“

Engagierte politische Arbeit erfordert es, der Realität ins Auge zu sehen: dem Sterben, dem Leiden, dem Tod. Kirche ist vertraut mit dem Äußersten – mit den «letzten Dingen».

«Feiern mit Fremden und Freunden.»

In Zeiten von Burnout und Überforderung sind Fragen nach der «spirituellen» Dimension von Aktivismus spannend und besprechbar. Kirche sucht die Balance zwischen beten und arbeiten (seit Jahrhunderten).

«Etwas tun: postichen, bügeln, was auch immer: Ich kann was tun.»

Handlungen, auch symbolische, geben Menschen etwas in die Hand. Nicht untätig zu sein heißt, etwas tun können: Nicht ohnmächtig und tatenlos zuschauen zu müssen. Kirche kennt sich aus mit Symbolen und Ritualen.

Andrea Meier, *1983, kath. Theologin. Leiterin der Fachstelle Kinder&Jugend der kath. Kirche Region Bern und Geschäftsführerin der offenen kirche bern. In diesem Rahmen engagiert sie sich in der Konzeption und Realisierung von Projekten wie «Foodsave Bankett», «Beim Namen nennen», «Festival der Kulturen» und der «Klimahalle». Sie verbringt aktuell ein Jahr mit ihrer Familie in Grindelwald und zieht danach in die Wohnbaugenossenschaft Warmbächli in Bern.

Ein Kommentar

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