Dialog Nr. 66: Arbeiten und Lieben an der kirchlichen Basis jenseits von strukturellen Blockaden

Wie können wir gleichzeitig lieben und arbeiten? Wie können wir produzieren, ohne lieblos zu zerstören und uns voneinander und von der Natur zu entfremden? Kernfragen der großen Theologin Dorothee Sölle. Selbst die Arbeit in der Kirche ist nicht vor Entfremdung gefeit. Burnouts, Erosion, Abkehr kennzeichnen zu weite Teile der Kirche. Der letzte Dialog soll ermutigen und Wege in eine mögliche Zukunft an der kirchlichen Basis weisen, wo lieben und arbeiten im Zusammenspiel gelingen.

Angeregt wird die Diskussion zu diesen Themen von Monika Hungerbühler und Martin Kopp. Hungerbühler leitete in Basel zehn Jahre lang die offene Kirche St. Elisabethen. Die feministische Theologin war Mitbegründerin der FAMA und ist vielen als Radiopredigerin und Wort-zum-Sonntag-Sprecherin bekannt. Kopp wirkte unter anderem jahrelang als Generalvikar der Urschweiz. Vor einem Jahr wurde er fristlos aus diesem Amt entlassen. Der «Urner des Jahres» lebt zusammen mit geflüchteten Jugendlichen in einer WG in Erstfeld und habe, so sagen viele, ein ansteckendes Lachen.

Die Veranstaltung (14-17 Uhr) ist der zweite Teil der dreiteiligen Abschlussveranstaltung der FOK-Dialoge, die am Samstag 9. Oktober 2021 im Romerohaus Luzern stattfindet.

Thesen von Monika Hungerbühler

  1. Die Offene Kirche Elisabethen ist eine Kirche der Zukunft. Sie versteht ihr Arbeiten und Lieben post-konfessionell. Sie wird ökumenisch geleitet. Sie hat keine Gemeinde. Gäste auf dem Weg sind ihre «Mitglieder»: zB. die 120 Freiwilligen (Gruppen und Einzelne), die Gäste des Flüchtlingsprojekts, Bezüger*innen des Tischlein deck dich, Besucher*innen bei den Heilerinnen…. Gemeinschaft verstehbar als Be-Longing.
  2. Die Offene Kirche Elisabethen ist weitgehend finanziell unabhängig. lebt nicht* von den Kirchensteuern. Sie ist eine betriebswirtschaftliche Kirche: ein vermieteter Raum UND ein Raum des Gebets. Sie spricht dauernd vom Geld. Sie lebt von Vermietungen, Spenden und Kollekten. Sie ist eine Kirche, in der man / frau beten und tanzen kann. Sie ist als Verein strukturiert und die ökumenische operative Leitung kann schnell und unkompliziert Projekte erfinden und umsetzen, sofern die Finanzierung gesichert ist (Stiftungen).
  3. Die Offene Kirche Elisabethen ist ein ein- und ausatmendes Gebilde. Seit 27,5 Jahren. Sie lanciert und beendet Projekte. Sie begrüsst und verabschiedet. Sie ist still und laut, feministisch und regenbogenfarben. Sie ist ein Laboratorium. Sie nimmt Stellung. Sie hängt Banner neben und über ihr grosses Tor: für die Konzernverantwortungsinitiative, Gleichberechtigung Punkt Amen. Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide. JA zu einer Schweiz ohne Massentierhaltung. Sie trägt die Labels: LGBTI-Kirche, Tierfreundliche Kirche, Fair Trade Town. Sie hat ein Café. Sie hat ein Urban Gardening Projekt im Pfarrhausgarten.

Monika Hungerbühler, geb. 1959, feministische Theologin, Seelsorgerin. Seit 2009 Leiterin Offene Kirche Elisabethen, von 2009 – 2018 Co-Dekanatsleiterin des Dekanats Basel-Stadt, Wort zum Sonntag-Sprecherin, Radiopredigerin, 1985 Mit-Gründerin von FAMA – feministisch-theologische Zeitschrift, 2012 Preisträgerin Herbert Haag-Stiftung, Mutter zweier erwachsenen Kinder, lebt mit ihrem Mann, Hund Mina und Kater Felix in einer WG in Basel.

Thesen von Martin Kopp

  1. Die Gottesfrage wird dauernd (neu) gestellt. Wenn wir nicht Antworten darauf suchen, hängt alles Weitere in der Luft. Unsere Aufgabe wäre, den säkularisierten Zeitgenossen auf die Gottsuche mitzunehmen. – Das Gespräch mit den Naturwissenschaften, usw. ist unabdingbar.

  2. Die immer stärker zu erwartende Migrationverändert unsere Gesellschaften. Katholische Migranten bringen sehr unterschiedliche Erlebniswelten im religiösen Bereich mit. Die Begegnung mit Menschen anderer Religionen fordert heraus: im Zusammenleben und im Austausch.
  3. Zur Lebenswelt der Christen – und damit der Kirchen – ist zu fragen: Wie weit stehen auch sie unter dem Diktat neoliberaler Wertungen, des Konsums? Oder bleibt eine «Kirche mit den Armen» Illusion? – Die Kirche, die den Armen in die Mitte nimmt, hat keine Existenzsorgen.
  4. Wir leben in weltweiten Bezügen, so auch in der «Weltkirche». Die Lokalkirchen werden aber an Bedeutung zunehmen, da der römische Zentralismus in der bisherigen Form an sein Ende kommt. – Entscheidend aber wird das Leben der kleinen Gemeinschaften sein.
  5. Kirche wird für unsere Zeitgenossen nur fassbar in gelebten Beispielen: nach wie vor in Klöstern und in einer Vielfalt von evangeliumsorientierten Kommunitäten. Deren Ausgestaltung entscheidet: Öffnung für Arme, Migranten, Umgang mit Geldmitteln, mit ökologischen Anfragen, mit dem zentralen Wert der Menschenwürde, auch als politische Frage.
  6. Die Kirche in allen ihren Ausprägungen steht in der ökologischen Verantwortung. Konkretionen entscheiden. «Laudato si» ist ein Markstein.
  7. Wie wachsen Glaubende nach? Der durch Zeugen verinnerlichte und vor allem gelebte Glaube, bringt wiederum Zeugen hervor, die den Glauben nicht nur überleben lassen, sondern von selbst weitertragen.
  8. Eine Kirche ohne die Wertschätzung der vielfältigen Charismen, so der Klöster, wie beispielsweise auch des Zölibats, verrät sich und verarmt.
  9. In den personellen Notlagen müssen auf die Dauer die legitimen Bedürfnisse der Gemeinden entscheiden, nie nur pastorale «Strategien», dies im Hinblick auf alle Vollzüge der Kirche.
  10. In der Gesamtkirche wird nach der Mitverantwortung aller gesucht. Die Schweiz bietet mit den «Kirchgemeinden» ein Modell. Auch wenn Fragen bleiben, soll es nicht gefährdet werden.  

Martin Kopp, geb. 26. 1946 in Zürich, Dr. theol., lic. phil., Studien in Löwen, Chur, Rom, Paris. 1979:  Vikar in Zürich-St. Konrad, 1985 Pfarrer in Wädenswil, auch Dekan Albis, zehn Jahre von dort aus Dozent für Theologie des geistlichen Lebens an der THC, seit 2003 Generalvikar für die Urschweiz. 2020: Absetzung; verschiedene Aushilfen, seit Sommer 2021 Pfarradministrator in Erstfeld, gleichzeitig Leiter des Clubhüüs in Erstfeld.

Ein Kommentar

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