Obwohl die Frauen zumindest in der nördlichen Hemisphäre dank vieler Kämpfe und Anstrengungen in Gesellschaft und Kirche inzwischen Räume und Positionen erobert haben, die zuvor den Männern vorbehalten waren, sind wir noch weit von einer vollumfänglichen Gleichstellung von Mann und Frau entfernt. Dies gilt insbesondere für den kirchlichen Binnenraum, aber auch für die Aufteilung von Care-Arbeit, Kindererziehung und Hausarbeit.
Die Gender-Perspektive bedeutet auch eine Revidierung des bestehenden Männerbildes und eine tiefgreifende Dekonstruktion der in Theologie und Sozialwissenschaften noch immer vorherrschenden Männerzentriertheit (Androzentrismus). Die Befreiungstheologie der dritten Generation (feministische Befreiungstheologie) hat feministische Perspektiven verbunden mit Themen der Einen Welt. Damit rückt sie die mehrfache Diskriminierung der Frau aus der Gender-Perspektive, aber auch in wirtschaftlicher, ethnischer und kultureller Hinsicht ins Blickfeld.
Doris Strahm, Dr. theol., feministische Theologin und Publizistin
Mitbegründerin der Zeitschrift Fama und des Interreligiösen Think-Tank
- Traditionelle Theologie hat jahrhundertelang die Macht der Männer in Kirche und Gesellschaft religiös legitimiert:
- durch ein einseitig männliches Gottesbild (Herr, Vater, Sohn und Geist);
- durch eine Christologie, die das Mannsein Jesu benutzt, um Frauen vom Priesteramt auszuschliessen;
- durch eine patriarchale Anthropologie, die nur den Mann als vollkommenes Ebenbild Gottes verstanden und die Unterordnung der Frau unter den Mann als der göttlichen Schöpfungsordnung und der Natur gemäss legitimiert hat;
- durch die Abwertung des (weiblichen) Körpers als Ort der Sünde und der sexuellen Verführung.
- Feministischen Theologien geht es um die Befreiung der Frauen von patriarchaler Unterdrückung.
- Feministische Theologien sind eine Form von Befreiungstheologie, die explizit die mehrfache Unterdrückung von Frauen ins Zentrum stellen und die Männerzentriertheit und Genderblindheit der Befreiungstheologien kritisieren.
- Frauenerfahrungen stehen im Zentrum und sollen theologisch zur Geltung kommen; traditionelle Weiblichkeitskonzepte und Rollenzuschreibungen aber werden als kulturelle und theologische Konstrukte erkannt und kritisch analysiert.
- Es gibt nicht die weibliche Erfahrung; Frauenerfahrungen sind kontextuell unterschiedlich und nicht nur durch das Geschlecht, sondern auch durch ökonomische, kulturelle, ethnische und religiöse Faktoren geprägt.
- Feministische Befreiungstheologien gibt es nur im Plural verschiedener kontextueller Ausprägungen; sie sind nicht nur interkulturell, sondern zunehmend auch interreligiös ausgerichtet.
- Ziel ist nicht eine Frauentheologie, sondern eine Transformation patriarchaler Strukturen, Geschlechterkonzepte und religiöser Symbolsysteme.
Die angestrebte Re-Vision der gesamten Theologie aus feministischer Sicht umfasst:
- die Bibel: feministische und genderbewusste Interpretation von Bibeltexten;
- die dogmatischen Lehren: auch weibliche und nicht-personale Gottesrede, Abschied von der Opfertheologie, frauenbefreiende Christologien, gendergerechte Ekklesiologie und Liturgie;
- die Kirchengeschichte: Wiederentdeckung und Aneignung des vergessenen historischen Erbes von Frauen in Bibel und Kirchengeschichte;
- die kirchliche Anthropologie: Männlichkeit und Weiblichkeit als soziale Konstrukte und keine natürliche oder von Gott gegebene Kategorie; Gender, soziales Geschlecht, als zentrale Kategorie; damit liegt der Fokus nicht nur auf den Frauen, sondern auf dem Geschlechterverhältnis.
- Ziel: Entwicklung einer geschlechtergerechten Theologie, die die duale patriarchale Geschlechterordnung transformiert und Frauen wie Männern erlaubt, sich jenseits patriarchaler Strukturen und geschlechtsspezifischer Rollenzuweisungen zu entfalten.
Judith von Rotz, feministische Theologin, Pastoraltheologin und Pfarreileiterin in Kriens
- Ekklesia ist die Gemeinschaft von Gleichgestellten.
Obwohl die explizite feministische Theologie noch nie zum Mainstream gehörte, hat sie in den vergangenen 20 Jahren die pastorale Arbeit entscheidend geprägt und erfährt heute eine hohe Akzeptanz.
- Der Anteil der Frauen unter den Seelsorgenden ist hoch und prägt die Pfarreiarbeit.
- Die pastorale Arbeit der Theologinnen wird heute von vielen sehr geschätzt.
- In den Pfarreien findet keine feministische Revolution statt, aber stille, subversive Veränderungen von unten sind im Gange.
- Die Wahrnehmung der Geschlechter in kirchlichen Funktionen hat sich bei vielen Kirchenmitgliedern gewandelt.
- Die Zeit der Polarisierungen ist vorbei. Die Radikalität ist dem Pragmatismus gewichen.
- Grenzen: Kirche als Gemeinschaft von Gleichgestellten kann vor Ort teilweise gelebt werden, stösst aber an Grenzen durch kirchliche Strukturen und gesellschaftliche Tendenzen.
- Frauen erfahren ihre Ermächtigung.
- Das Selbstverständnis vieler Frauen hat sich verändert. Sie verstehen sich selber als Subjekte des Glaubens, sind sichtbar und bestimmen mit, was Kirche vor Ort verkündet und ist.
- Frauen verlassen sich nicht mehr auf äussere Autoritäten in Glaubensdingen, sondern auf ihre eigenen Erfahrungen und Kriterien.
- Viele kirchliche Vorgaben und Inhalte sind für Kirchenmitglieder nicht mehr nachvollziehbar.
- Durch eine genderbewusste Sprache sind Frauen sichtbarer geworden.
- Theologinnen pflegen einen freieren Umgang mit liturgischen Formen.
- Die theologischen Schwerpunkte in der Verkündigung verändern sich.
- Frauen partizipieren immer mehr und selbstverständlicher an der Leitung.
- Grenzen: Das Leben und Gestalten von Kirche mit einer feministisch-theologischen Haltung erfordert noch immer zusätzliche Energie, Aufwand, Rücksicht und ist mit Konflikten verbunden.
- Im Anfang war Beziehung.
- Beziehungsarbeit steht im Zentrum des feministisch-pastoralen Alltags. Sie ist sowohl Chance als auch Herausforderung.
- Ausgangspunkt für das pastorale Arbeiten von Theologinnen sind die konkreten Beziehungen zu den Menschen, mit denen sie zu tun haben.
- Pfarreimitglieder finden leicht Vertrauen zu Seelsorgenden mit ähnlichen Lebenserfahrungen.
- Die Inhalte der pastoralen Arbeit werden bestimmt durch das, was von den Menschen kommt.
- Die Bedürfnisse der Menschen werden höher gewichtet als kirchliche Vorgaben.
- Ganzheitlichkeit ist vielen Theologinnen ein grosses Anliegen.
- Grenzen: Pfarreimänner müssten vermehrt von genderbewussten Theologenmännern abgeholt und begleitet werden.
- Die interkulturellen und interreligiösen Begegnungen sind eine neue Herausforderung gerade auch im Blick auf Genderthemen.
Medienmitteilung: Feministische Theologie ermächtigt Frauen zu selbstständigem Glauben und Handeln – Dialog zur kirchlichen Praxis von den Rändern her
Paul Jeannerat – 25. November 2013 (Kipa)
Feministische Theologie hat die Transformation patriarchaler Strukturen, Geschlechterkonzepte und religiöser Symbolsysteme als Ziel. Sie hat in den vergangenen 20 Jahren viel erreicht: Frauen verstehen sich selber als Subjekte des Glaubens, sind sichtbar und bestimmen mit, was Kirche vor Ort verkündet und ist. Feministisch geprägte pastorale Arbeit erfährt eine breite Akzeptanz. Doch gibt es noch viel zu tun: Zur vollständigen Befreiung der Frauen von patriarchaler Unterdrückung ist eine Re-Vision der gesamten Theologie aus feministischer Sicht notwendig.
Der 24. Katholische Dialog fand am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen statt. Ein signifikanter Zufall, legitimiert doch die traditionelle römisch-katholische Theologie mit religiösen Argumenten strukturelle Gewalt gegen Frauen. Die Katholischen Dialoge behandeln im Bildungsjahr 2013/14 Fragen der Theologie und der kirchlichen Praxis von ihren Rändern her, gemäss dem philosophischen Axiom, dass sich der Inhalt vom Rande her bestimmt („de-finiert“). Da Frauen in der römisch-katholischen Kirche immer noch an den Rand gedrängt werden, lud das Forum für offene Katholizität (FOK) zu einem Dialog ein, bei dem Frauen in die Mitte gestellt wurden, als Referentinnen und als Thema: Gender und feministische Theologie. Etwa 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten den Ausführungen der feministischen Theologinnen Doris Strahm und Judith von Rotz.
Doris Strahm, Publizistin über interkulturelle Theologie und interreligiösen Dialog, legte dar, wie die traditionelle katholische Theologie jahrhundertelang die Macht der Männer in Kirche und Gesellschaft religiös beglaubigt hat. Stichworte dazu: Verkündigung eines einseitig männlichen Gottesbildes, Überhöhung des Mannseins Jesu, patriarchale Anthropologie, die nur den Mann als vollkommenes Ebenbild Gottes versteht, Abwertung des weiblichen Körpers als Ort der Sünde und der sexuellen Verführung. Demgegenüber lässt die feministische Theologie Frauenerfahrungen zur Geltung kommen, analysiert kritisch traditionelle Weiblichkeitskonzepte und Rollenzuschreibungen und ist so eine Form von Befreiungstheologie. Aus feministischer Sicht ist eine Re-Vision der gesamten Theologie notwendig, von der Bibel bis zur dogmatischen Lehre, von der Kirchengeschichte bis zur Anthropologie – mit dem Ziel einer geschlechtergerechten Theologie, die Frauen wie Männern ermöglicht, sich jenseits patriarchaler Strukturen und geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen zu entfalten.
Judith von Rotz, Pastoralassistentin und Pfarreileiterin, legte Beobachtungen und Erfahrungen in der pastoralen Arbeit dar: Obwohl feministische Theologie noch nie zum Mainstream gehörte, prägen Frauen heute das kirchliche Leben stark. Viele verstehen sich selber als Subjekte des Glaubens, sind in den Pfarrgemeinden sichtbar und bestimmen mit, was Kirche verkündet und ist. Theologinnen, Sozialarbeiterinnen und Katechetinnen werden hoch geschätzt, und deren Partizipation an der kirchlichen Leitung wird immer selbstverständlicher. Durch genderbewusste Sprache sind Frauen sichtbarer geworden. „Stille, subversive Veränderungen von unten sind im Gange“, sagte Judith von Rotz und fügte bei: „Das Gestalten von Kirche mit feministisch-theologischen Haltung erfordert noch immer zusätzliche Energie und ist mit Konflikten verbunden“.
Die beiden Referentinnen strahlten Zuversicht aus, und sie wirkten auf die Anwesenden ermutigend. Aber es lag über der Diskussion, geleitet von Erwin Koller, spürbar eine Patina der Resignation: „Unsere Kirche ist noch weit entfernt von der Gemeinschaft von Gleichgestellten, die Jesus anstrebte“, war die Hauptaussage. Bestimmte gesellschaftliche Tendenzen und eben auch kirchliche Strukturen wirken immer noch einengend statt befreiend. Biblisch und theologisch gerechtfertigte strukturelle Änderungen sind nicht möglich, weil die Definitionsmacht den Männern vorbehalten sind. Pointiert formulierte Leo Karrer, emeritierter Professor für Pastoraltheologie an der Universität Freiburg, das Unbehagen: „Wenn die Kirche unter Berufung auf Gott Frauen von Priestertum ausschliesst, verleumdet sie Gott, weil sie ihn klein schreibt.“ Durch die beiden Referate und durch solche Voten wurden die Teilnehmenden gestärkt, Gott grosszügig zu denken.