Klaus-Peter Jörns, evangelischer Theologe und Soziologe
Professor für Praktische Theologie in Berlin, ab 1981 an der Kirchlichen Hochschule, ab 1993 an der Humboldt-Universität. Dort leitete er auch das Institut für Religionssoziologe. Seit 1999 liegt sein Schwerpunkt auf der theologischen Kritik der christlichen Überlieferungen. 2012 gründet er gemeinsam mit dem katholischen Theologen und Religionspädagogen Hubertus Halbfas und andern die Gesellschaft für eine Glaubensreform. Sie soll alle zusammenführen, die an einer Glaubensreform interessiert sind, und darauf hinwirken, dass sich das Christentum zu einer heute glaubwürdigen Religion weiterentwickelt (vgl. auch: Update für den Glauben, denken und leben können, was man glaubt. Gütersloh 2012).
Zahlreiche Untersuchungen über Glauben und Kirchlichkeit in Europa offenbaren in den letzten Jahrzehnten einen radikalen Traditionsabbruch. Kirchliche Glaubensformen und individuelles Denken in Sachen Religion klaffen diametral auseinander. Für Kirchenmitglieder und Theologen beider Konfessionen macht das traditionell Christliche nur noch einen Restbestand aus.
Welche Ursache hat diese Glaubenskrise? Hubertus Halbfas, dem wir in der Dialog-Reihe 2014/15 folgen, vertritt die These: Die Ursache liegt in den Bildern und in der Sprache des Glaubens selbst. Die tradierte Fassung des Glaubensinhalts wird den Fragen der Getauften nicht mehr gerecht.
Der erste Dialog dieser Reihe widmet sich den Fragen: Wie können wir denken und leben, was wir glauben? Welche Gestalt nimmt der Glaube angesichts von Evolutionstheorie und Quantenphysik an? Wie kommt das provokante Evangelium Jesu aus tausend Überfremdungen neu zur Sprache? Diese Fragen diskutieren wir mit einem Experten, der im deutschen Sprachraum zu den prominentesten und kühnsten Befürwortern eines neuen Glaubensverständnisses zählt.
Teil I: Vom Offenbarungs- zum Wahrnehmungsglauben
- Ein Glaube ist dann als aufgeklärt zu bezeichnen, wenn die gläubigen Menschen selbstständig denken und leben können, was sie glauben.
- Ein aufgeklärter Glaube stellt auch unsere Religion in einen universalen Gesamtzusammenhang. Dieser drückt sich in zwei Grundannahmen aus:
- a) Gott ist eine universale Grösse, und
- b) das Universum entwickelt sich seit seiner Entstehung in einer Creatio continua weiter, die wir Evolution nennen. Treibende Kraft dabei war und ist Gottes Geist als Schöpfungspotentialität. Dabei unterscheiden wir die biologische Evolution bis hin zum Homo sapiens sapiens von der kulturellen Evolution, in der wir uns befinden. Die kulturelle Evolution geht parallel mit der noch lange nicht abgeschlossenen Menschwerdung des Menschen.
- Die in der Bibel und anderen heiligen Schriften benutzten Vorstellungen bzw. Motive (z.B. Gottebenbildlichkeit, Gottessohnschaft) sind jeweils angemessene, weil zeitbedingte Ausdrucksformen der Menschen gewesen. In ihnen haben sie sich ihre Erfahrungen mit Mächten und Gewalten bewusst gemacht, von denen ihr Leben sowohl abhing als auch bedroht wurde. In Ritualen haben sie gelernt, mit ihren Hoffnungen und Ängsten umzugehen.
- Diese Erfahrungen prägten schon die späte Phase der biologischen Evolution (etwa Venus vom Hohlen Fels und Löwenmensch).
Und das ist auch in der bisherigen Phase der kulturellen Evolution so geblieben. Dabei spielten die Herausforderungen eine grosse Rolle, die von der Natur der bewohnten Lebensräume ausgingen. Deswegen gehören Religion und Kultur ursprünglich zusammen. Darin steckt die These, dass Heil in seiner elementarsten Form Leben, genauer: Überleben war – und auch heute für Milliarden Menschen ist.
Venus vom Hohlen Fels | Löwenmensch |
- Die Religionsgeschichte spiegelt – aufs Ganze des Universums gesehen – die universale Wahrnehmungsgeschichte ‚Gottes‘. Gott kann dabei sowohl eine Instanz meinen, in der jene übermenschlichen Mächte und Gewalten gebündelt sind, aber Gott kann bis heute auch ein Name für sie sein. Reden von Gott können Menschen, indem sie Heils- und Unheilserfahrungen erzählen, aber auch, wenn sie unter dem Schweigen Gottes leiden.
- Als wahr erweist sich das irgendwo Erfahrene auch für andere, wenn es ihnen authentisch erscheint und zugleich nachvollziehbar ist. Ausschlaggebendes Kriterium ist der Lebensbezug als gemeinsamer Erkenntnishorizont. Erfahrungen, die keinen nachvollziehbaren Lebens- und also keinen Heils-Bezug (mehr) haben, sind nicht (mehr) glaubwürdig.
- Heils- und Unheilserfahrungen sprechen auch von der Beziehung, in der sich Menschen mit ‚Gott‘ erleben. Wandelt sich die Kultur, wandeln sich auch die Gesichter Gottes (Beispiele liefern Schwellengeschichten, die Übergänge vom Menschen- zum Tieropfer und von dort zur Unmittelbarkeit der Gottesbeziehung markieren). Alle Religionen sind mit dafür verantwortlich, wie Gott von Menschen wahrgenommen wird. Denn sie haben Einfluss auf die Richtung, in die sich die kulturelle Evolution entwickelt. Das ist der Punkt, an dem wir Christen Jesus als Weg und Ziel der weiteren Menschwerdung des Menschen einbringen.
- Theologie reflektiert die Summe überlieferter Erfahrungen und ist Menschenwerk wie alle Wissenschaften. Wichtig ist, dass auch sie bei den Wahrnehmungen der Menschen ansetzt und den Kosmos wie die Naturwissenschaften als eine Wirklichkeit sieht. Gott bewohnt keinen Sonderbereich, sondern ist mit und in seinem Reich mitten unter uns (Lk 17,21), hält das Leben offen für die ihm zugedachte Zukunft. Das menschliche Leben ist von unserer tierlichen Herkunft und von der göttlichen Zukunft her das einzige wirkliche Geheimnis, das diese Bezeichnung verdient.
- Alle Lebensgestalten einschliesslich der menschlichen sind sterbliche Gestalten. Der Tod ist nicht „der Sünde Sold“ (Röm 6,23), nicht des Menschen Feind (1. Kor 15,26). Die Endlichkeit und Verletzlichkeit der leiblichen Lebensgestalten sorgen dafür, dass pflanzliche, tierliche und menschliche Geschöpfe achtsam mit dem konkreten Leben umgehen, und dass das Leben insgesamt nicht vergreist. Der Sünde Sold ist die Last unbereuter und nicht vergebener Schuld auf dem Gewissen.
- Weil die kulturelle Evolution als geistige Evolution weitergeht, muss niemand tradierte Glaubensvorstellungen für sich übernehmen, die ihm/ihr unglaubwürdig erscheinen und auch durch Erklärungen nicht wirklich nachvollziehbar werden. Denn solche Glaubensvorstellungen können sich nicht als heilsvoll erweisen.
- Ein aufgeklärter Glaube respektiert alle Schriften der Bibel, aber auch andere religiöse Kanons als geschichtliche Glaubenszeugnisse. Aber was wir davon nicht (mehr) mit dem Bildungsstand unserer Kultur und mit dem erkannten Zentrum unseres Glaubens, Jesus, verbinden können, können wir getrost loslassen. Dazu rät auch das Erbe der Reformation, die jedenfalls ansatzweise das Recht beschert hat, selber denken zu können – auch was man glaubt.
Teil II: Notwendige Abschiede, aber auch Updates für den Glauben
- Noch sind beide Kirchen weit davon entfernt, die wirklich glaubenskritischen Fragen an unsere Traditionen zu hören, mit den Fragenden gemeinsam und ergebnisoffen nach Antworten zu suchen und gar selber solche Fragen zu stellen.
Warum müssten sie das? Einfach weil wir eine frag-würdige Geschichte (Beispiel: Zölibat, Gehorsam fordernde Hierarchien, Behinderung von Wissenschaft und Freiheit) und frag-würdige Überlieferungen (Beispiel: Diskriminierung der Frauen, Schreckensherrschaft über die Tiere) haben. Das muss sich ändern.
- Doch leider werden glaubenskritische Fragen selbst an den theologischen Fakultäten eher umgangen. Das ist ein unerträglicher Zustand, wenn man ernstnimmt, dass diejenigen, die dogmenkonform glauben, innerkirchlich längst eine Minderheit bilden, sowohl unter den Laien als auch unter denen, die den Glauben lehren.
Die historische Kritik der biblischen und kirchlichen Überlieferungen (= die Analyse ihrer Entstehungsgeschichte) ist nur ein Teil davon. Wichtig ist, dass zu Dogmen gewordene Glaubensvorstellungen einer theologischen und anthropologischen Kritik unterzogen werden. Die dabei massgebenden Kriterien müssen wir im Gespräch mit den Jesus-Überlieferungen innerhalb und ausserhalb der Bibel und mit anderen Wissenschaften, die für das Verständnis des Lebens wichtig sind, erarbeiten.
- Aufgeklärter Glaube gibt das sogenannte Schriftprinzip auf. Es besagt, dass der Glaube allein an die Auslegung der eigenen heiligen Schrift gebunden ist, und dass die Bibel ausschliesslich von der Bibel her ausgelegt werden darf (selbstreferentielle Hermeneutik). Denn das Schriftprinzip suggeriert, dass Gott sich allein in der Bibel offenbart habe – obwohl der jüdische und der christliche Teil der Bibel stark geprägt worden sind von ägyptischen, mesopotamischen und griechischen Vorgänger- und Parallel-Religionen.
- Die Offenbarungstheologie muss von einer Wahrnehmungstheologie abgelöst werden. Diese geht davon aus, dass alle heiligen Schriften von Menschen bezeugte Wahrnehmungen Gottes enthalten, dabei aber kulturbezogenen Perspektiven folgen. Ist von Gott (mit allerlei Namen) die Rede, haben wir es also mit menschlichen Wahrnehmungsgestalten Gottes zu tun.
Auch in der Bibel haben sich über ein Jahrtausend hin menschliche Wahrnehmungen mit einander ablösenden kulturell-religiösen Vorstellungen und Lebensverständnissen verbunden. Hinzugekommen sind die gezielten Einflüsse der theologischen Redaktoren bei der Verschriftlichung. Deshalb redet aufgeklärter Glaube nicht mehr von einer biblischen Theologie, sondern von vielfältigen Theologien in der Bibel. Und er geht davon aus, dass sich in den Menschen erweist, welche religiösen Überlieferungen und literarischen Schätze ihnen heilig sind.
- Wenn die Religionsgeschichte eine universale Wahrnehmungsgeschichte des einen Gottes ist, brauchen wir einen ‚Kanon aus den Kanons‘. In ihm sollten zentrale Texte ausgewählter Religionen zusammengestellt und für Interessierte erläutert werden. Ein solcher Kanon wäre ein wichtiger Schritt zum Frieden zwischen den Religionen, sofern die einzelnen Texte von Anhägern der eigenen Religion ausgewählt und erklärt würden.
- Die christliche Basis auch eines aufgeklärten Glaubens liegt in dem – durchaus auch kritischen – Bezug auf die Jesus-Überlieferungen. Sie müssen wieder Vorrang vor der apostolischen Tradition erhalten. Das gilt vor allem für jene Ausführungen in den Paulusbriefen und im Hebräerbrief, die Gottes und der Menschen Vergebung als etwas bezeichnen, das allein durch das am Kreuz vergossene Blut Jesu möglich geworden sei. So oft die Deutung des Blutes Jesu als Sühnopfer auch im Neuen Testament zu finden ist: Auf Jesus selbst kann sich diese Deutung nicht berufen. Jesu Verkündigung war nicht kultisch geprägt, sondern massiv kultkritisch – wie die Tempelreinigung deutlich macht (Markus 11,15–19).
- Im Kern ging es bei der Tempelreinigung darum, menschliche Schuld nicht mehr in den Opferkulten durch das angeblich Sühne schaffende Blut von Märtyrern und Tieren abwaschen zu lassen. Statt sich vor Gott durch Menschen- und Tieropfer vertreten zu lassen, sollten sich die Menschen gegenseitig eingestehen, was sie einander schuldig bleiben, einander um Vergebung bitten und – vergeben. Dazu bevollmächtigt uns alle das Vater unser. Es leitet uns dazu an, Gottes Vergebung ohne den Umweg über Priester und Sühnopfer direkt an unsere Mitmenschen weiterzugeben und da, wo wir leben, den inneren Frieden zu fördern.
- Mittelpunkt des Handelns und Redens Jesu ist die Verbreitung der Botschaft von Gottes unbedingter Liebe. Jesus redet von Gott nicht zuerst, indem er einen Forderungskatalog präsentiert. Sondern Jesus nimmt wahr, dass es für Menschen ungeheuer schwer ist, gut zu sein. Wer sich „mühselig und beladenen“ fühlt, findet bei ihm Ruhe (Mt 11,28). Die grossen Ziele des Menschseins vermittelt er nicht im Rahmen von Drohungen für den Fall, dass wir sie nicht erreichen. Sondern er lockt uns mit Seligpreisungen und lebensnahen Gleichnissen auf seinem Weg weiterzugehen (Mt 5,3–9).
- Das Stichwort der unbedingten Liebe Gottes hat mit der stereotypen Rede vom lieben Gott heute wenig zu tun, denn es redet von der schwersten Kunst der Liebe: vom Leiden-Können. Das Reich Gottes fängt da an, wo wir begreifen, dass Gott uns mit all unseren begrenzten Möglichkeiten leiden kann. Begreifen wir das, können wir Gottes Liebe als Vergebung an die weiter geben, die uns etwas schuldig bleiben.
- Die unbedingte Liebe Gottes bringt die neue Gerechtigkeit Gottes hervor. Sie besteht nicht mehr darin, dass Gott fehlenden Gehorsam gegen sein Gesetz straft, indem er den unschuldigen Jesus stellvertretend für alle Sünder leiden und sterben lässt (Römer 3,25) und sie dadurch gerecht macht.
Wollen wir heute sagen, was uns Menschen für Gott akzeptabel macht, so weist uns Jesu Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–15) den Weg. Hier geschieht die Rechtfertigung des Menschen allein aus der bedingungslosen Liebe Gottes. Gott will, dass alle bekommen, was sie zum Leben brauchen, auch wenn wir vielen vieles schuldig bleiben im Leben. Gottes Liebe geht es ums Leben.
- Darum weist der Weinbergbesitzer im Gleichnis auch die Forderung derer zurück, die den ganzen Tag gearbeitet hatten und erwarteten, bei der Lohnauszahlung den zwölffachen Tageslohn zu bekommen. Denn sie fanden es ungerecht, dass auch die Arbeiter einen ganzen Tageslohn bekamen, die nur eine Stunde hatten arbeiten können. Aber sie haben nicht bedacht, dass der Tageslohn für das reichte, was eine Familie am Tag brauchte. Der Weinbergbesitzer, der hier für Gott steht, wollte, dass alle Arbeitswilligen genug zum Leben haben. Ein Zwölftel davon hätte für keinen gereicht, aber das Zwölffache des Lebensnotwendigen für eine Familie wäre Verschwendung gewesen. Deshalb: „Ich will aber diesem Letzten so viel geben wie dir … Oder bist du neidisch, weil ich gut bin?“ Mt 20,14f).
- Wo es um eine neue Gerechtigkeit geht, müssen wir auch unser Verhältnis zu den Tieren in den Blick nehmen. Soll das so weitergehen, wie es 1. Mose 9,2 als angebliches Gotteswort steht: „Furcht und Schrecken vor euch komme über alle Tiere“? Wenn wir ändern wollen, wie wir aus Konsumgründen mit Tieren industriell umgehen, müssen wir die Lebensperspektiven ändern und die Tiere als unsere evolutiven Vorfahren und Mitgeschöpfe sehen lernen. Und wir müssen uns fragen, ob wir uns mit unserem Verhalten vor und von den Tieren sehen lassen können?
- Dazu, dass wir ein neues, von Ehrfurcht vor dem Leben und Dankbarkeit geprägtes Leben finden, kann uns ein Abendmahl helfen, für das ich eine neue Liturgie vorgeschlagen habe: die Feier der Lebensgaben Gottes. Das sind Schöpfungsgaben und alle geistige Gaben, die uns im Leben halten. Lebensgaben sind Brot, Wein, Mitgeschöpfe, Blumen, Kunst, Musik etc., und die zentrale geistige Gabe ist Jesu Leben und Botschaft. Eine Lebensgabe ist aber auch die Vollmacht zur Vergebung, die wir nach der frühen reformatorischen Einsicht in der Taufe als Ordination zum allgemeinen Priestertum erhalten haben. Offene Schuld und gegenseitige Lossprechung, vor dem Mahl, inmitten der Gemeinde, als Ritus vollzogen, sind die Vorbereitung eines Mahles, das dem inneren Frieden und der Freude an den Lebenshaben Gottes dient.
Medienmitteilung: Katholischer Dialog – Update für den Glauben / Luzern, 21.10.14 (Kipa)
Der evangelische Theologe Klaus-Peter Jörns (75, links im Bild) hat am 20. Oktober in Luzern am 30. Katholischen Dialog eine radikale Forderung vorgelegt. Es sei Kritik von Nöten, damit die Gläubigen wieder das denken und leben könnten, was sie glaubten. Denn jene, die in der evangelischen und der katholischen Kirche dogmenkonform glaubten, seien längst eine Minderheit. Die Mehrheit lehne die zu Dogmen gewordenen Glaubensvorstellungen ab oder interpretiere diese nach eigenen Wahrnehmungen |
Tradierte Fassung kollidiert mit heutiger Denkwelt
Tatsächlich werden Glaubensformeln wie zum Beispiel Menschwerdung Gottes, Opfertod Jesu am Kreuz, Auferstehung oder Ausgiessung des Heiligen Geistes nicht mehr verstanden und bedürfen der Übersetzung in eine heute verstehbare Sprache.
Gemäss einer These des katholischen Theologen Hubertus Halbfas liegt die Ursache der häufig beklagten Glaubenskrise und des radikalen Traditionsabbruchs, der dramatische Formen angenommen hat, in den Bildern und in der Sprache des Glaubens selbst, weil die tradierte Fassung des Glaubensgutes der Denkwelt heutiger Menschen nicht mehr entspricht.
Ergebnisoffen nach Antworten suchen
Als Referent für den ersten Katholischen Dialog zu diesem Thema wurde der evangelische Theologe Klaus-Peter Jörns verpflichtet, Professor für Praktische Theologie und Soziologe an der Humboldt-Universität Berlin. Seit 15 Jahren legt Jörns den Schwerpunkt seiner Forschung auf eine theologische Kritik der christlichen Überlieferungen: Wie können wir denken und leben, was wir glauben? Welche Gestalt nimmt der Glaube an angesichts von Evolutionstheorie und Quantenphysik? Wie kommt das provokante Evangelium Jesu, das tausend Mal überfremdet wurde, neu zur Sprache?
Jörns forderte in seinem Referat, dass die Kirchen die wirklich glaubenskritischen Fragen an ihre Traditionen hören, mit den Fragenden gemeinsam und ergebnisoffen nach Antworten suchen und auch selber solche Fragen stellen. Ein Update für den Glauben sei dringend nötig. Dabei müsse die Offenbarungstheologie abgelöst werden von einer Wahrnehmungstheologie, welche die heutigen Gegebenheiten ernst nimmt und auf die Fragen, die für das Verständnis des Lebens wichtig sind, eine verständliche Antwort sucht.
Die dabei massgebenden Kriterien müssten „im Gespräch mit den Jesus-Überlieferungen innerhalb und ausserhalb der Bibel“ und mit andern Wissenschaften erarbeitet werden. Mittelpunkt des Handelns und Redens Jesu sei die Botschaft von Gottes unbedingter Liebe, ohne Drohungen, aber durch Locken mit Seligpreisungen und lebensnahen Gleichnissen.
Zentrale Texte ausgewählter Religionen
Indem Jörns davon ausging, dass „die Religionsgeschichte eine universale Wahrnehmungsgeschichte des einen Gottes ist“, forderte er die Erarbeitung eines „Kanon aus den Kanons“, in dem zentrale Texte ausgewählter Religionen zusammengestellt und erläutert würden: „Ein solcher Kanon wäre ein wichtiger Schritt zum Frieden zwischen den Religionen“. In der Diskussion wies Jörns auf die Gesellschaft für eine Glaubensreform (www.glaubensreform.de) hin, die er mit Hubertus Halbfas gegründet hat, „um alle zusammenzuführen, die an einer Glaubensreform interessiert sind, und darauf hinzuwirken, das sich das Christentum zu einer heute glaubwürdigen Religion weiterentwickelt“.