Die spontane Antwort heisst: Kirche ist dort, wo die Kirche steht, also im Dorf, im Quartier, in der City. Davon abgeleitet ist der primäre Vollzug von Kirche der Gottesdienst, der dort stattfindet: die Eucharistiefeier, die Taufe, die Hochzeit, die Beerdigung. Wenn dann Kirchen weniger besucht werden, spricht man davon, dass die Kirche am Ende sei. Oder man schafft regionale Seelsorgeräume, welche die Kirche im Dorf ergänzen, wenn nicht ersetzen sollen.
FOK ist der Meinung, dass diese Antworten zu kurz greifen. Es gibt viele Orte, überkommene und neu geschaffene, die von Menschen aufgesucht werden, um Kirche zu sein und zu erleben, und viele Räume, wo andere Formen von Kirche experimentiert werden. Hilfswerke sind als NGOs in der Weltöffentlichkeit tätig und verkörpern Kirche elementar im Sinn der Diakonie. Mancherlei Events werden geschaffen, die den Zugang zur Botschaft Jesu erleichtern und mit mehr Emotionen verbunden sind. Auch wenn sie flüchtig sind, sollen sie nicht gering geschätzt werden.
Wenn Gott immer schon in der Welt ist, wo und wie immer die Kirche Gestalt annimmt, muss jede Zeit die Gestalt der Kirche neu reflektieren: die Kirche im Dorf, im Quartier, in der City, in Bildungshäusern, Klöstern, Vereinen, Bewegungen, Frauenkirchen, NGOs und Events. Woran ist die Kirchlichkeit zu messen und wie kann man ein Nebeneinander von tradierten und neuen Gestalten zu einem fruchtbaren Miteinander führen?
Leo Karrer, Prof. emer. für Pastoraltheologie, Universität Freiburg / CH
These 1: Zur Situation
Die Zeit tiefgehender Umbrüche in Gesellschaft und Kirche sowie des innerkirchlichen Reformstaus führt zu Polarisierungen. Das System Kirche kreist um sich selbst (Ekklesiozentrismus) und ist fixiert auf herkömmliche Orte und Wege der Volkskirche.
These 2: Worauf kommt es an?
Im Horizont der biblischen Botschaft ist die Seele der Kirche die Einheit von Menschen- und Gottesliebe (K. Rahner). Die Orte der Kirche sind darum dort, wo Menschen mitten in der Welt solidarisch zueinander stehen und in der Tiefe die Welt Gottes erahnen. Nachfolge Christi lebt in der Spannung zwischen den Orten konkreter Lebenserfahrung und dem Nicht-Ort (Utopie) der christlichen Hoffnung.
These 3: Auf welchen Wegen?
Der Kirche darf es nicht um den Selbsterhalt der geschichtlich gewachsenen Institution gehen. Ihre Sache ist es, den in einer pluralen Welt vereinzelten Menschen Entdeckungs- und Erfahrungsräume der Botschaft Jesu vom Gott des Heils zu ermöglichen und sie in einem solidarischen Miteinander zu vernetzen.
These 4: “Passagen” Gottes
Wo Menschen Glaube, Hoffnung und Liebe wagen, werden die Orte des Lebens zu christlichen Orten der Kirche. Denn da zieht Gott gleichsam vorüber, und die Passagen Gottes bleiben sakramental offen und fixieren Gott nicht auf heilige Orte und heilige Gegenstände. Die Epiphanie Gottes ist so vielseitig und reich wie das Leben selbst. Die Kirche darf sich darum mutig und charismatisch auf die Orte des Lebens einlassen.
Stephanie Klein, Prof. für Pastoraltheologie, Universität Luzern
- Die Orte der Kirche sind dort, wo Menschen sich zusammentun und die Nachfolge Jesu Christi leben.
- In der hoch differenzierten spätmodern-pluralen Gesellschaft entsteht eine Vielfalt unterschiedlicher authentischer Orte von Kirche.
- Die vielfältigen Orte der Kirche sind Orte der Orthopraxis und der Erkenntnis Gottes. Sie prägen die Theologie und neue Strukturen der Institution Kirche.
- Für die Institution Kirche wird es darauf ankommen, die Vielfalt von Gemeinschaften des Glaubens wahrzunehmen, anzuerkennen, sichtbar zu machen, zu fördern und strukturell in ein umfassendes Kirchenverständnis zu integrieren.
- Der Glaube an die Inkarnation Gottes in einem konkreten Menschen und seiner endlichen brüchigen Lebensgeschichte widersteht jeder Tendenz der Vergeistigung, aber auch jeder sozialen Entbettung und Abstrahierung des Lebens.
- Die Institution Kirche darf also die auf dem Territorialprinzip gewachsene Ortsbezogenheit der Kirche nicht aufgeben; sie soll sie vielmehr mit neuem Leben füllen und Strukturen der Einbettung, der persönlichen Begegnung, der Ver-Körperung und Ver-Ortung des Lebens und Glaubens schaffen.
Wo sind in Zukunft die Orte der Kirche?
Alois Odermatt / Kipa 17.05.11 (Kipa)
In unserer spätmodern-pluralen Gesellschaft wachsen vielfältige Orte von Kirche, angeregt durch die erstaunliche Offenheit für Religiosität in unserer Zeit. Herkömmliche Orte, vor allem pfarrgemeindlicher Art, werden nicht aufgegeben, sondern kritisch mit neuem Leben gefüllt. Wichtig sind Strukturen der Einbettung, der persönlichen Begegnung und der kritischen Verortung des Lebens und Glaubens. In diese Richtung deutete der zehnte Katholische Dialog, den das Forum für offene Katholizität (FOK) am 16. Mai in Verbindung mit dem Verein Tagsatzung im Bistum Basel sowie mit dem RomeroHaus Luzern durchführte.
Die Einladung zum Dialog über die Orte der Kirche erinnerte an die übliche Antwort: Kirche ist dort, wo die Kirche steht, also im Dorf, im Quartier; davon abgeleitet ist der ursprüngliche Vollzug von Kirche der Gottesdienst, der dort stattfindet: die Sonntagsfeier, die Taufe, die Hochzeit, das Begräbnis. Wenn dann Kirchen weniger besucht werden, spricht man davon, dass die Kirche am Ende sei. Oder man schafft regionale Seelsorgeräume, welche die Kirche im Dorf ergänzen, wenn nicht ersetzen sollen.
Anderer Meinung waren Leo Karrer, früher Professor für Pastoraltheologie an der Universität Freiburg, sowie Stephanie Klein, Professorin für Pastoraltheologie an der Universität Luzern. Sie legten Thesen zur Diskussion vor.
Die sich an den Monolith klammern, lösen ihn auf.
Leo Karrer skizzierte den theologischen Ausgangspunkt von der biblischen Botschaft her: Menschen- und Gottesliebe sind eins. „Die Orte der Kirche sind darum dort, wo Menschen mitten in der Welt solidarisch zueinander stehen und in der Tiefe die Welt Gottes erahnen.“ Der Kirche dürfe es nicht um den Selbsterhalt der geschichtlich gewachsenen Institution gehen. Ihre Sache sei es, „den in einer pluralen Welt vereinzelten Menschen Entdeckungs- und Erfahrungsräume der Botschaft Jesu vom Gott des Heils zu ermöglichen und sie in einem solidarischen Miteinander zu vernetzen.“
Stephanie Klein zeigte Wege der pastoralen Umsetzung auf. Sie verwies auf drei Beispiele neuer Orte: die tschechoslowakische Untergrundkirche, die während des Kalten Krieges „Kirche neu gedacht hat“; die Basisgemeinden, in denen „die Armen zu Subjekten der Kirche werden“; die Frauenkirche, die auf der Linie der feministischen Theologie Räume für theologische Auseinandersetzungen und spirituelle Erfahrungen schafft. „Für die Institution Kirche wird es darauf ankommen, die Vielfalt von Gemeinschaften des Glaubens wahrzunehmen, anzuerkennen, sichtbar zu machen, zu fördern und strukturell in ein umfassendes Kirchenverständnis zu integrieren.“
Zu diesen Thesen ergaben sich lebhafte und kontroverse Diskussionen. Wertvoll waren dabei die Überlegungen aus der reformierten Kirchenerfahrung. Übereinstimmung herrschte in der Feststellung, dass der Pluralismus der modernen Gesellschaft die Kirche neu belebe. „Die Pluralisierung ist längst schon Tatsache.“ Die Frage sei, wie weit Toleranz und Fundamentalismus vereinbar seien. Die römische Anerkennung unterschiedlicher Liturgien und Denkweisen in der lateinischen Westkirche, so nun auch der tridentinischen und der anglikanischen Liturgie, sei im Grund ein Beitrag zur Pluralisierung. „Die sich an den Monolith klammern, lösen ihn auf.“
Geleitet wurde dieser zehnte Katholische Dialog von Erwin Koller, Theologe und Kommunikationswissenschaftler, und Toni Bernet-Strahm, Theologe und Leiter des RomeroHauses Luzern.