Erinnerungen an das Aggiornamento des Konzils
“Es ist also in Christus und in der Kirche keine Ungleichheit aufgrund von Rasse und Volkszugehörigkeit, sozialer Stellung oder Geschlecht…” (Kirchenkonstitution 32)
“Die Frauen verlangen für sich die rechtliche und faktische Gleichstellung mit den Männern, wo sie diese noch nicht erlangt haben.” (Gaudium et spes 9)
Das 2. Vatikanische Konzil war das erste Konzil, das die Stellung der Frauen und ihren Auftrag in Gesellschaft und Kultur thematisierte. Und dies betraf natürlich auch ihre Position in der Kirche. Auf diese Weise hat das Konzil entscheidend zur Entwicklung der feministischen Theologie beigetragen: Ein befreiendes Gottesbild zeichnete sich ab; spirituelle und theologische Traditionen der Frauen wurden bedacht; für eine frauengerechte Sprache entstand ein neues Bewusstsein. So wuchs allmählich der Wunsch nach völliger Gleichstellung der Frau und nach ihrem Zugang zu allen kirchlichen Ämtern, wie Gertrud Heinzelmann schon 1962 in ihrer Konzilseingabe forderte.
Durch die Frauen hat die Kirche ein neues Gesicht bekommen. Gleichzeitig mussten sie erfahren, wie schwierig ihre Partizipation in der Praxis durchzusetzen war. Feministisch-theologische Impulse und Gender-theoretische Ansätze stiessen auf Misstrauen. In Fragen der Geschlechtergerechtigkeit war die Gesellschaft schon damals weiter als die katholische Kirche.
Helen Schüngel-Straumann, Prof. emer. für Altes Testament
These 1. Der Fels, auf dem die Kirche steht, ist die Bibel.
- Das Konzilsdokument Dei Verbum erlaubte katholischen Theologen endlich eine freie wissenschaftliche Exegese mit Bezug auf den Urtext, das historische Umfeld, die Kontexte, die literarischen Gattungen (vgl. bes. Nr. 22). Damit wurde die Knebelung der wissenschaftlichen Exegese aufgehoben.
- Seit der Entstehung der Feministischen Theologie ist es gerade in der Bibelwissenschaft wie sonst in keinem Fachbereich zu zahlreichen überraschenden Ergebnissen und einer Fülle von neuen Erkenntnissen gekommen.
- Johannes XXIII. hat die Frauenfrage als eines der zentralen Zeichen der Zeit mehrfach erwähnt (vgl. Pacem in Terris 1963, Nr. 41). Umgesetzt ist von diesem Anspruch bis heute nicht viel. Es genügt aber nicht, einzelne Reformen zu verlangen, wenn die Grundlagen nicht stimmen!
These 2: Alttestamentlich ist der Androzentrismus im Gottesbild überwunden.
- Im AT wurde eine Fülle von Frauengestalten, die bisher verschwiegen wurden, wieder ins Licht gerückt: Prophetinnen, Richterinnen, weise Frauen als Beraterinnen von Königen usw.
- Ein weiterer Schritt war die Kritik an einem männlichen Gottesbild (Herr, Richter, König usw.) und die Entdeckung nicht-männlicher Bilder, auch nicht-personaler Vorstellungen des Göttlichen. Zentral wurden weibliche Begriffe wie rûah (Atem, Geistkraft, Schöpferkraft, Lebenskraft) und sophia (Weisheit). Während rûah immer eine Kraft bezeichnet, wurde sophia auch konkret in Frauengestalt vorgestellt. Rein mengenmässig durchdringen die beiden Vorstellungen einen grossen Teil der biblischen Texte.
- Es fehlt nicht an wichtigen Forschungsergebnissen, wohl aber an der Umsetzung in die Praxis: Verkündigung, liturgische Texte, Predigt usw.
These 3: Neutestamentlich ist die Kirche ‑ dem Beispiel Jesu gehorsam ‑ verpflichtet, Frauen zu allen ‚Ämtern‘ zuzulassen.
- Zahlreiche neutestamentliche Studien haben in der Missionsarbeit der ersten Jahrhunderte Jüngerinnen Jesu, Apostolinnen und Frauen ans Licht gebracht. Diese enthüllen ein ganz anderes Kirchenbild als die traditionell verkündeten Interpretationen und Vereinfachungen über die frühe Kirche.
- Der heutige Zentralismus und die Verdrängung der Frauen bleiben weit hinter dem zurück, was in den Anfängen der Kirche bereits möglich war.
- Die sträfliche Vernachlässigung der Bibel ist einer der Hauptgründe für die heutige Krise. Dei Verbum (Nr. 24) nennt das Studium der Heiligen Schrift „die Seele der Theologie“. Ist diese Seele abhandengekommen?
Schlussfrage
Häufig wird Bibel gesagt, gemeint ist jedoch nur das Neue Testament, gelegentlich in der Formulierung: Das Evangelium und die Tradition. Ist die Vernachlässigung des Alten Testaments mit seiner Erdverbundenheit und seiner Weltlichkeit vielleicht noch ein Relikt aus dem Antisemitismus des 20. Jahrhunderts? Dass Jesus Jude, und seine Schrift natürlich das Alte Testament war, ist nach meiner Erfahrung noch nicht weit verbreitet.
Caroline Meier-Machen, ehem. Vizepräsidentin des Schweiz. Kath. Frauenbundes
- Strukturveränderungen sind unerlässlich.
Frauen sind Trägerinnen der Kirche. Sie leben das gemeinsame Priestertum in Kirche, Gesellschaft und Staat. Ihre volle Gleichberechtigung – ein Menschenrecht! – verweigert ihnen das kirchliche Leitungsamt mit dem Ausschluss von der Spende der Sakramente, vom Vorsitz in der Eucharistiefeier und damit von der Repräsentation Jesu Christi gegenüber der Gemeinde. Wir sollten endlich das Volk Gottes zur Mündigkeit befreien! Ganz im Sinne Jesu. Also keine Veränderungen der Zulassungsbedingungen, sondern ein anderes Denken, keine Zwei-Stände-Kirche, sondern Ermächtigung des Volkes Gottes.
- Wir orientieren uns am urchristlichen Gemeindemodell.
Ausgangspunkt ist die Gemeinde – der Bischof bestätigt:
- Die Gemeinde wählt eine fähige, gut ausgebildete Person für den Leitungsdienst. Kriterien für die Ausübung dieses Leitungsamtes dürfen nicht Geschlecht, Lebensstand und sexuelle Ausrichtung sein, sondern persönliche, fachliche, spirituelle und soziale Kompetenz.
- Der zuständige Bischof stellt dann die Person unter den Schutz Gottes zum Gelingen des Auftrags.
- Die Aufgabe der Gemeindeleitung ist es, die verschiedenen Begabungen der Gemeindeangehörigen zu entdecken, zu fördern und zu koordinieren und so mit der ganzen Gemeinde zusammen das Priesteramt Jesu Christi zu vollziehen.
- Frauenerfahrungen sind Zukunftsperspektiven der Liturgiefeier.
Feministisch orientierte Katholikinnen wollen das Geheimnis der Eucharistie und den Reichtum eucharistischer Spiritualität weiter entwickeln und nicht dem Traditionalismus überlassen. Der Einbezug aller Sinne in der Liturgie fördert die tätige Teilnahme: nicht nur hören und visualisieren, sondern auch ertasten, riechen, schmecken, bewegen.
- Die weltweit einzigartigen demokratischen kantonalkirchlichen Strukturen haben viel zum Aggiornamento des Schweizer Katholizismus beigetragen.
Dieses duale System ist zu verteidigen und zu unterstützen, denn es ermöglicht den Getauften in der Schweiz eine nicht zu unterschätzende Mitbestimmung in der Kirche.