…und was sie von der österreichischen Pfarrer-Initiative lernen können.
In der Schweiz, in Österreich und in vielen anderen Ländern der Weltkirche müssen die Pfarrer sozusagen die Suppe auslöffeln, die ihnen die Kirchenführung mit ihrer blockierten Ämterpolitik eingebrockt hat: Priestermangel, Gemeinden ohne Eucharistiefeiern, Überforderung durch Verpflichtung auf eine Köfferli-Priester-Existenz, unwürdige Behandlung fachlich kompetenter Theologinnen und Theologen, die mit ihnen zusammen in der Seelsorge arbeiten.
Die österreichische Pfarrer-Initiative hat im Juni 2011 einen Aufruf zum Ungehorsam lanciert und damit den Konflikt auf eine neue Ebene gehoben. Gegenüber diesem Teilstreik der Pfarrer reagierten die Bischöfe hilflos. Der emeritierte Innsbrucker Diözesanbischof Reinhold Stecher brachte es auf den Punkt: „Man kann das nicht einfach so wegwischen, ohne dass man Realitätsverweigerung betreibt.“
Kopf der Pfarrer-Initiative ist Msgr. Helmut Schüller, geb. 1952, Pfarrer in Probstdorf bei Wien. Er kann auf eine grosse Karriere zurückblicken: Kaplan, Diözesanjugendseelsorger in Wien, Präsident der Caritas Österreich, Generalvikar von Erzbischof Christoph Schönborn in der Erzdiözese Wien, Leiter der Ombudstelle für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche, Studentenseelsorger. 2006 gründete er gemeinsam mit Pater Udo Fischer die Pfarrer-Initiative, die u. a. gegen die Zusammenlegung von Pfarreien auftritt, die Weihe verheirateter Männer (viri probati) zu Priestern vorschlägt und die Berufung aller Getauften zu Mitverantwortung, Mitentscheidung und Mitgestaltung in der Kirche unterstützt (siehe www.pfarrer-initiative.at).
Helmut Schüller, Pfarrer in Probstdorf bei Wien und Obmann der Pfarrer-Initiative
Helmut Schüller ist Herbert-Haag-Preisträger 2012.
- Ein Gehorsam ohne Gewissen ist ein gefährlicher Gehorsam. Wir meinen jenen abgestuften Gehorsam, den wir zuerst Gott, dann unserem Gewissen und zuletzt auch der kirchlichen Ordnung schulden.
- Die römische Verweigerung einer längst notwendigen Kirchenreform und die Untätigkeit der Bischöfe erlauben uns nicht nur, sondern sie zwingen uns, dem Gewissen zu folgen und selbständig tätig zu werden. Wir Priester wollen künftig Zeichen setzen.
- Weil Schweigen als Zustimmung verstanden wird und wir unsere Verantwortung als Priester und Seelsorger wahrnehmen wollen, müssen wir einen Protest im wörtlichen Sinn aussprechen: als Zeugnis für eine Kirchenreform, für die Menschen, deren Seelsorger wir sein wollen, und für unsere Kirche. Die Freudlosigkeit des heutigen Kirchenbetriebs ist kein gutes Zeugnis für die frohe Botschaft, die uns bewegt. Denn wir wollen „nicht über den Glauben herrschen, sondern der Freude dienen“ (2 Kor 1,24). Ergänzungen siehe unten
Markus Heil-Zürcher, Dr. theol., Diakon, Leiter der Pfarrei Sursee
- In zu grossen Pfarreien werden Pfarrämter zu Verwaltungsstellen, und der Kontakt der Hauptamtlichen zu den Gläubigen wird zu einer Dienstleistungsbeziehung. Seelsorgerinnen werden zu professionellen Kundenbetreuerinnen, sind aber keine ‚Hirten‘ mehr, weil eine emotionale Einbindung nicht mehr gewährleistet ist.
- Menschliche Kommunikation basiert aber auch heute auf Unmittelbarkeit, Aufeinander-Angewiesen-Sein, Freundschaft, Mitleid, Barmherzigkeit, gegenseitigem Verständnis. Wer im Gottesdienst am Schicksal anderer Gottesdienstteilnehmer Anteil nimmt, wird sich auch für Menschen in der eigenen Umgebung und in der Gesellschaft engagieren.
- Nachfolge Jesu heisst einer lebenden Person nachfolgen. Um den Auftrag Jesu zu erfüllen, braucht jede Pfarrei einen Hirten oder eine Hirtin. Wo dafür niemand hauptamtlich zur Verfügung steht, muss für die Führung einer Pfarrei eine neue Rollenverteilung zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen und zwischen Theologen und Nicht-Theologen gefunden werden.
Aufruf zum Ungehorsam
Die römische Verweigerung einer längst notwendigen Kirchenreform und die Untätigkeit der Bischöfe erlauben uns nicht nur, sondern sie zwingen uns, dem Gewissen zu folgen und selbständig tätig zu werden.
Wir Priester wollen künftig Zeichen setzen:
- WIR WERDEN in Zukunft in jedem Gottesdienst eine Fürbitte um Kirchenreform sprechen. Wir nehmen das Bibelwort ernst: Bittet, und ihr werdet empfangen. Vor Gott gilt Redefreiheit.
- WIR WERDEN gutwilligen Gläubigen grundsätzlich die Eucharistie nicht verweigern. Das gilt besonders für Geschieden-Wiederverheiratete, für Mitglieder anderer christlicher Kirchen und fallweise auch für Ausgetretene.
- WIR WERDEN möglichst vermeiden, an Sonn- und Feiertagen mehrfach zu zelebrieren, oder durchreisende und ortsfremde Priester einzusetzen. Besser ein selbstgestalteter Wortgottesdienst als liturgische Gastspielreisen.
- WIR WERDEN künftig einen Wortgottesdienst mit Kommunionspendung als priesterlose Eucharistiefeier ansehen und auch so nennen. So erfüllen wir die Sonntagspflicht in priesterarmer Zeit.
- WIR WERDEN auch das Predigtverbot für kompetent ausgebildete Laien und Religionslehrerinnen missachten. Es ist gerade in schwerer Zeit notwendig, das Wort Gottes zu verkünden.
- WIR WERDEN uns dafür einsetzen, dass jede Pfarrei einen eigenen Vorsteher hat: Mann oder Frau, verheiratet oder unverheiratet, hauptamtlich oder nebenamtlich. Das aber nicht durch Pfarrzusammenlegungen, sondern durch ein neues Priesterbild.
- WIR WERDEN deshalb jede Gelegenheit nützen, uns öffentlich für die Zulassung von Frauen und Verheirateten zum Priesteramt auszusprechen. Wir sehen in ihnen willkommene Kolleginnen und Kollegen im Amt der Seelsorge.
Im Übrigen sehen wir uns solidarisch mit jenen Kollegen, die wegen einer Eheschliessung ihr Amt nicht mehr ausüben dürfen, aber auch mit jenen, die trotz einer Beziehung weiterhin ihren Dienst als Priester leisten. Beide Gruppen folgen mit ihrer Entscheidung ihrem Gewissen – wie ja auch wir mit unserem Protest. Wir sehen in ihnen ebenso wie im Papst und den Bischöfen unsere Brüder. Was darüber hinaus ein Mitbruder sein soll, wissen wir nicht. Einer ist unser Meister – wir alle aber sind Brüder. Und Schwestern – sollte es unter Christinnen und Christen allerdings heissen. Dafür wollen wir aufstehen, dafür wollen wir eintreten, dafür wollen wir beten. Amen.
Dreifaltigkeitssonntag, 19. Juni 2011 – Die Pfarrer-Initiative
Protest für eine glaubwürdige Kirche
Seit dem Aufruf zum Ungehorsam, in dem wir uns dazu bekennen, künftig in eigener Verantwortung Zeichen der Erneuerung unserer Kirche zu setzen, kam von vielen Seiten aus dem In- und Ausland Zustimmung und Ermutigung – von bischöflicher Seite jedoch vorwiegend Zurückhaltung, bisweilen auch heftige Ablehnung. Zu einem Dialog kam es nur selten und abseits der Öffentlichkeit. Wir aber setzen dem gegenwärtigen Aushungern der Gemeinden und der Seelsorge unter dem Druck des Priestermangels und der Überalterung des Klerus mehrfach ein entschiedenes NEIN entgegen:
- Wir sagen NEIN, wenn wir zusätzlich immer weitere Pfarreien übernehmen sollen, weil uns das zu reisenden Zelebranten und Sakramentenspendern macht, denen die eigentliche Seelsorge entgleitet. Wir widerstehen damit dem Trend, an vielen Orten flüchtig anwesend zu sein, aber keine spirituelle und emotionale Heimat zu finden und anzubieten.
- Wir sagen NEIN zu immer mehr Eucharistiefeiern am Wochenende, weil so die vielen Dienste und Predigten zu oberflächlichem Ritual und allzu routinierter Rede werden, während Begegnung, Gespräch und Seelsorge verkümmern. Kurz vor der Messe anzukommen und gleich danach weiterzufahren, macht unseren Dienst zur hohlen Routine.
- Wir sagen NEIN zur Zusammenlegung oder Auflösung der Pfarreien, wenn sich keine Pfarrer mehr finden. Hier wird der Mangel zum Gesetzgeber erhoben, statt dem Mangel durch die Änderung unbiblischer Kirchengesetze Das Gesetz ist für den Menschen da – und nicht umgekehrt. Gerade das Kirchenrecht hat den Menschen zu dienen.
- Wir sagen NEIN zur Überforderung der Pfarrer, die man in einen mehrfachen Pflichterfüllungsstress drängt, deren Zeit und Kraft für ein geistliches Leben wegadministriert wird und deren Dienste weit über das Pensionsalter hinaus beansprucht werden. So kann sogar das früher verdienstvolle Wirken durch allzu lange Beanspruchung beschädigt werden.
- Wir sagen NEIN wenn das Kirchenrecht ein allzu hartes und unbarmherziges Urteil spricht: über Geschiedene, die eine neue Ehe wagen, über gleichgeschlechtlich Liebende, die in Partnerschaft leben, über Priester, die am Zölibat scheitern und deshalb eine Beziehung eingehen – und über die Vielen, die ihrem Gewissen mehr gehorchen als einem von Menschen gemachten Gesetz.
Weil Schweigen als Zustimmung verstanden wird und wir unsere Verantwortung als Priester und Seelsorger wahrnehmen wollen, müssen wir diesen fünffachen Protest aussprechen. Er ist ein Protest im wörtlichen Sinn: ein Zeugnis für eine Kirchenreform, für die Menschen, deren Seelsorger wir sein wollen, und für unsere Kirche. Die Freudlosigkeit des heutigen Kirchenbetriebs ist kein gutes Zeugnis für die frohe Botschaft, die uns bewegt. Denn wir wollen „nicht über den Glauben herrschen, sondern der Freude dienen“ (2 Kor 1,24).
Januar 2012 – Der Vorstand der Pfarrer-Initiative
«Ein Gehorsam ohne Gewissen ist gefährlich»
Preis für Freiheit in der Kirche an die österreichische Pfarrer-Initiative
Mediendossier von Dr. Alois Odermatt
Der Preis der Herbert-Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche geht dieses Jahr an Mag. Helmut Schüller und die österreichische Pfarrer-Initiative, deren Initiator und Obmann er ist. Neben Helmut Schüller werden auch drei Personen aus der Schweiz ausgezeichnet, die sich seit Jahren für eine zukunftsfähige Seelsorge einsetzen: Monika Hungerbühler, mitverantwortliche Leiterin der Kirchlichen Frauenstelle, der Offenen Kirche Elisabethen und des Dekanates Basel-Stadt; Monika Schmid, Leiterin der Pfarrei Effretikon ZH; Charlie Wenk, Pfarreibeauftragter in der ökumenischen Gemeinde Halden, St. Gallen.
Am Montag, 23. April, stellt sich Helmut Schüller der Begegnung und Diskussion im Rahmen des 15. Katholischen Dialogs im RomeroHaus Luzern, veranstaltet durch das Forum für offene Katholizität (FOK) zusammen mit dem Reformverein tagsatzung.ch und dem RomeroHaus. Koreferent ist Diakon Dr. Markus Heil, Pfarreileiter von Sursee.
Die österreichische Pfarrer-Initiative versteht sich als Bewegung für lebendige Pfarrgemeinden. Mit ihrem Aufruf zum Ungehorsam ist sie international bekannt geworden. Kern des Aufrufs ist eine Selbstverpflichtung in sieben Punkten, die am 19. Juni 2011 auf der Homepage der Pfarrer-Initiative erschien, unterzeichnet vom Vorstand. «Eigentlich wollten wir den Aufruf vornehmlich unseren Mitgliedern mitteilen», gestand später Obmann Helmut Schüller. Die mediale Aufmerksamkeit sei nicht geplant gewesen. Heute zählt die Initiative rund 400 Priester und Diakone als Mitglieder.
Das Reizwort Ungehorsam löste Fragen aus. Dazu der Vorstand: «Wir meinen jenen abgestuften Gehorsam, den wir zuerst Gott, dann unserem Gewissen und zuletzt auch der kirchlichen Ordnung schulden. In dieser Reihenfolge haben wir stets die Lehre der Kirche, den Papst und die Bischöfe gesehen. So wollen wir es auch weiterhin halten.» Rom verweigere eine längst fällige Kirchenreform und die Bischöfe seien untätig. Das zwinge dazu, dem eigenen Gewissen zu folgen. «Wir werden künftig in eigener Verantwortung Zeichen der Erneuerung unserer Kirche setzen.» Tiroler Mitglieder der Pfarrer-Initiative sprechen von einem Aufruf zur Selbstverantwortung.
Rücksichtsvolle Revoluzzer
Der Protest sei samt seiner sprachlichen Schärfe «ein Notruf der Getreuen», meinte Peter Paul Kaspar, ein Linzer Musiker und Schriftsteller, Pfarrer und Künstlerseelsorger, Mitglied der Initiative, zehn Tage später in der österreichischen Wochenzeitung DIE FURCHE. «Man verweigert den Gehorsam aus Verantwortung für die Zukunft der Kirche. Und man handelt, statt bloss zu reden. Übrigens ausnahmslos in Fällen, in denen bereits jetzt der kleine Ungehorsam seelsorgliche Praxis ist. Ein wirklich brutaler Ungehorsam schaut anders aus: Frauenordination, öffentliche Trauung homosexueller Paare, Verbrennung päpstlicher Bullen. Auch der Papst in seiner einsam-autoritären Amtsführung bleibt verschont. Es sind rücksichtsvolle Revoluzzer, die sich da outen.»
Hellmut Schüller, Sprecher der Initiative, Pfarrer in Probstdorf bei Wien und Universitätsseelsorger, ist in Österreich kein Unbekannter. Er war von 1986 bis 1995 Mitarbeiter der Caritas, übernahm 1988 das Amt des Wiener Direktors und am 1991 jenes des Präsidenten von Caritas Österreich. Für die «bravouröse Leitung des Grosskonzerns Caritas» zeichnete ihn die Wirtschafts-Universität Wien 1993 als WU-Manager des Jahres aus. Im Dezember 1993 war er eines der ersten Ziele des Brief- und Rohrbomben-Terrors, der Österreich vier Jahre erschütterte, insgesamt vier Menschen tötete und dreizehn schwer verletzte; die Bombe an die Adresse von Helmut Schüller wurde rechtzeitig entdeckt.
Als Christoph Schönborn im September 1995 das Amt des Erzbischofs von Wien antrat, ernannte er Schüller zu seinem Generalvikar. Im Februar 1999 entliess er ihn überraschend wegen «tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten». Die Spannung zeigte sich auch darin, dass er ihm die Entlassung nicht Aug in Aug mitteilte; er legte ihm das Kündigungsschreiben nächtens vor die Wohnungstür. Nach dem Aufruf zum Ungehorsam reagierte er nun vorsichtig. Er lud den Vorstand der Initiative zum Gespräch ein und betonte seine Gesprächsbereitschaft.
Enormes Potenzial für eine Ausweitung der Reformschritte
Die Selbstverpflichtung, künftig in eigener Verantwortung Zeichen der Erneuerung zu setzen, sei ein «bemerkenswertes Phänomen, wahrscheinlich das bemerkenswerteste der neueren österreichischen Kirchengeschichte», analysierte am 17. November 2011 Rainer Bucher, Professor für Pastoraltheologie an der Universität Graz, in der FURCHE. Sie habe ein enormes Eskalationspotenzial und verweise auf drei grundlegende Problemkreise der katholischen Kirche. Die Frage der wiederverheirateten Geschiedenen lasse erkennen, dass die katholische Sexualmoral insgesamt nicht mehr nachvollziehbar sei. Die Frage der Zulassungsbedingungen zum Priesteramt bringe zum Ausdruck, dass das Verhältnis zwischen den Geschlechtern gestört sei. Die Frage der liturgischen Zuständigkeit von Laien zeige auf, dass das Verhältnis zwischen Laien und Klerikern brisant geworden sei.
Diese Brisanz erläuterte eine Woche später in der gleichen Zeitung der prominente Fernsehjournalist Dr. Peter Pawlowsky. Die Amtskirche treibe durch überholte Zulassungsbedingungen den Priestermangel in die Höhe. Sie vertrete den Standpunkt, dass es nur so viele Pfarreien geben dürfe, als es geweihte Priester gibt. «Rom und die Bischöfe geben lieber die Eucharistiefeier für die Menschen auf, als dass sie ihr elitäres Priesterbild in Frage stellen würden, das weder von der Bibel noch durch irgendein Dogma erzwungen wird. Der Erfolg werde sein, dass immer mehr Menschen die Kirche verlassen und dass die Verbliebenen – Kirchenrecht hin oder her – auch ohne Priester feiern werden. Denn wo zwei oder drei in Jesu Namen versammelt sind, ist er sowieso unter ihnen.»
Das Gesetz ist für den Menschen da – nicht umgekehrt
«Die Amtskirche stellt sich beharrlich und deutlich als ein Institut der Heuchelei und Spiegelfechterei dar», schrieb Diakon Diplom-Ingenieur Josef Ruffer am 22. Dezember. «Wenn Glaubende im Gewissen überzeugt sind, bei manchen Dingen Gott mehr gehorchen zu sollen als Menschen, werden Bischöfe doch wohl einen Ungehorsam in Demut hinnehmen müssen.» Die Kirchenleitung wolle uns in der westlichen katholischen Kirche «einreden, der Pflichtzölibat sei von Christus gewollt». Zugleich aber akzeptiere sie anglikanische verheiratete Priester und weihe evangelische verheiratete Pastoren, wenn sie katholisch werden wollen. Und auch in den Ostkirchen, die mit Rom uniert sind, gebe es für Bistumspriester die Möglichkeit, zwischen Ehe und Zölibat zu wählen. Das sei Heuchelei. In diesem Zusammenhang wurde auch an die Aussagen der einflussreichen Theologen Hans Küng und Johann Baptist Metz Küng erinnert, die Entflechtung zwischen Priesteramt und Zölibat werde die Ehelosigkeit aus spirituellen Gründen (biblisch «um des Himmelreiches willen») aufwerten und die Klöster und geistlichen Gemeinschaften neu profilieren und stärken.
Im Januar 2012 äusserte sich der Vorstand der Pfarrer-Initiative erneut. Von vielen Seiten aus dem In- und Ausland sei Zustimmung und Ermutigung gekommen, «von bischöflicher Seite jedoch vorwiegend Zurückhaltung, bisweilen auch heftige Ablehnung». Ein Dialog sei nur «selten und abseits der Öffentlichkeit» erfolgt. «Wir aber setzen dem gegenwärtigen Aushungern der Gemeinden und der Seelsorge unter dem Druck des Priestermangels und der Überalterung des Klerus mehrfach ein entschiedenes NEIN entgegen».
In diesem Sinn veröffentlichte die Initiative einen Protest für eine glaubwürdige Kirche in fünf Punkten. Der dritte lautete: «Wir sagen NEIN zur Zusammenlegung oder Auflösung der Pfarreien, wenn sich keine Pfarrer mehr finden. Hier wird der Mangel zum Gesetzgeber erhoben, statt dem Mangel durch die Änderung unbiblischer Kirchengesetze abzuhelfen. Das Gesetz ist für den Menschen da – und nicht umgekehrt. Gerade das Kirchenrecht hat den Menschen zu dienen.» Es sei ein Protest im wörtlichen Sinn: ein Zeugnis für Kirchenreform, «für die Menschen, deren Seelsorger wir sein wollen, und für unsere Kirche».
Der Grazer Bischof Egon Kapellari ging in seinem Fastenhirtenbrief vom 14. März 2012 auf diesen Protest ein. Er betonte Gesprächsbereitschaft, bekräftigte aber die Positionen der Kirchenleitung im Blick auf geschiedene Wiederverheiratete, Pflichtzölibat für Priester und Weiheämter für Frauen. Die Frühjahrsvollversammlung der österreichischen Bischöfe unterstützte Kapellaris Aussagen.
Angenehm überrascht über den Papst
Am Gründonnerstag, 5. April 2012, reagierte Papst Benedikt XVI. im Petersdom vor rund 3000 Priestern auf den Aufruf, der «vor kurzem von einer Gruppe von Priestern in einem europäischen Land» veröffentlicht worden sei. «Wir wollen den Autoren dieses Appells glauben, dass sie von Sorgsamkeit für die Kirche bewogen sind, dass sie überzeugt sind, die Trägheit der Institutionen mit drastischen Mitteln in Angriff zu nehmen, um neue Wege zu öffnen.» Und vorsichtig fragte der Papst: «Ist Ungehorsam allerdings ein Weg?» Er warnte vor der Gefahr, dass die Pfarrer-Initiative lediglich einen verzweifelten Drang darstelle, die Kirche nach eigenen Wünschen und Ideen umzuwandeln. Und er lehnte die Forderungen ab.
Angenehm überrascht zeigte sich Helmut Schüller als Sprecher der Aktion in einer ersten Stellungnahme. Er freue sich, «dass die Pfarrer-Initiative vom Heiligen Stuhl und in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird». Die päpstliche Predigt am Gründonnerstag sei zum Teil sehr sanft gewesen. Auch mit Sanktionen sei nicht gedroht worden. Aber der Papst billige zu, «dass es um die Zukunft der Kirche geht». Ebenfalls positiv sei zu werten, dass der Papst von der «Trägheit der Institutionen» gesprochen habe. Dass er den Reformern nicht entgegenkomme, sei zu erwarten gewesen.
Für Kardinal Schönborn hat der Papst in dieser Predigt gezeigt, wie wichtig er die Auseinandersetzung um die Zukunft der Kirche auch in Österreich nehme «und wie genau er die Situation hier kennt». In «sehr differenzierter und nachdenklicher Weise» habe Benedikt XVI. andererseits die grundsätzliche Problematik jeder Erneuerung angesprochen und der Pfarrerinitiative in diesem Zusammenhang ein paar sehr ernste Fragen gestellt.» Sie müsse nun ihren Aufruf zurücknehmen. «Das Wort Ungehorsam kann so nicht stehen bleiben». Es brauche «eine öffentliche Klärung und ich denke, wir müssen sie bald angehen».
Ungehorsam – um den tieferen Gehorsam zu retten
«Der Papst hat Fragen gestellt, die wollen wir gerne beantworten», betonte Helmut Schüller am Karsamstag, 7. April 2012. Er verwies darauf, dass man bereits zweimal versucht habe, mit dem Papst in Kontakt zu treten – sowohl bei seinem Wien-Besuch 2007 als auch in Rom 2009 –, aber abgewiesen worden sei. Nun habe der Papst Fragen an die Pfarrerinitiative gestellt und «wenn jemand Fragen stellt, dann wird er wahrscheinlich Antworten hören wollen».
Die Rücknahme des Aufrufs zum Ungehorsam werde jedoch abgelehnt. «Wir sehen in diesem Ungehorsam nichts Anstössiges.» Schliesslich hätten die Mitglieder der Initiative bei ihrem Weiheversprechen nicht gelobt, ihr Gewissen künftig nicht mehr zu betätigen. «Ein Gehorsam ohne Gewissen ist ein gefährlicher Gehorsam.» Auch das Zweite Vatikanische Konzil, das die Kirchenreform der 1960er Jahre einleitete, habe mit einem Akt des Ungehorsams der teilnehmenden Bischöfe begonnen, die sich geweigert hätten, vom Vatikan vorbereitete Dokumente zu unterschreiben. «Ich weiss nicht, woher die Nervosität der Bischöfe da kommt.»
Ausserdem stösst sich Schüller daran, dass die Kirchenführung das Thema ausgerechnet zu Ostern hochzieht, wo die Priester in ihren Gemeinden im Dauereinsatz sind. Schliesslich sei der Pfarrerinitiative von ihren Kritikern wiederholt vorgeworfen worden, den Glauben mit ihren Anliegen zu überdecken. Aber man werde nun ausgerechnet zum Osterfest damit konfrontiert.
Vor Gott gilt Redefreiheit
Helmut Schüller betont regelmässig, dass man Europas Kirche nicht als Institution des Abbruchs, sondern als Avantgarde wahrnehmen sollte. Hier würden die Fragen der Moderne an die herkömmliche Glaubens- und Gottesrede ernst genommen. Ob sich Christsein unter säkularen Bedingungen bewähre, werde sich an Europa weisen – und nicht im angeblich religiös blühenden Afrika und Asien.
Die Pfarrerinitiative vernetzt sich indes weiter auf internationaler Ebene. Man sei unter anderem in Kontakt mit Initiativen in Deutschland, der Slowakei, Frankreich, den USA und Irland, so Schüller. Das weckt Ängste. Der Pfarrgemeinderat der katholischen Kirchengemeinde der niedersächsischen Stadt Soltau lud ihn für den 19. März 2012 zu einer Begegnung ein. Auf Druck des Hildesheimer Bischofs Norbert Trelle musste er die Veranstaltung absagen und die Einladung rückgängig machen.
Nirgends verbieten lässt sich wohl der erste Punkt des Aufrufs zum Ungehorsam: «Wir werden in Zukunft in jedem Gottesdienst eine Fürbitte um Kirchenreform sprechen. Wir nehmen das Bibelwort ernst: Bittet, und ihr werdet empfangen. Vor Gott gilt Redefreiheit.» Und Dr. Otto Friedrich, bei der Wochenzeitung FURCHE speziell für den Bereich Religion zuständig, schrieb in seinem «Appell an die verbleibenden Kräfte» vom 12. Januar 2012: «Eigentlich müssten Österreichs Bischöfe mit ihren Kollegen sowie den Schüllers der Welt in und notfalls auch gegen Rom auftreten, um eine heilsame Auseinandersetzung und – ja auch! – Konfrontation über die Zukunft der Kirche anzetteln. Würde die Erosion des Katholischen hierzulande als Zeichen der Zeit verstanden, wäre eine solche gemeinsame Anstrengung der verbleibenden Kräfte angebracht.»