Wie kämpft man gegen unheilige Macht und monströse Unkeuschheit in der Kirche, ohne zu jammern oder zynisch zu werden? Was kann man von innen tun, als verletzliches Mitglied dieser Kirche? Wodurch Missbrauch von Autorität und Unfähigkeit zu offener Kommunikation überwinden und Vertrauen zurückgewinnen?
Klaus Mertes SJ, Herbert-Haag-Preisträger 2014
Er ist zu einem Hoffnungsträger geworden, weil er die schlimmen Erfahrungen des Machtmissbrauchs radikal ernst genommen und offengelegt hat, den Opfern gegenüber Verantwortung für die Kirche und den Orden übernommen und nach tieferen Ursachen für Machtmissbrauch in der Kirche gesucht hat. Er ist Leiter des Kollegs Sankt Blasien im Schwarzwald und war zuvor Rektor des Canisius-Kollegs Berlin. Sein Buch „Verlorenes Vertrauen. Katholisch sein in der Krise“ ist 2013 bei Herder erschienen.
- Vertrauen gewinnt man nur, wenn man mehr will als nur Vertrauen.
- Die Kirche der Armen ist auch die Kirche der Opfer missbrauchter Macht in der Kirche.
- Auf der Suche nach neuem Vertrauen hilft der Blick auf neue, gegenwärtige Erfahrungen mit der Kirche.
Helga Kohler-Spiegel, Professorin für Religionspädagogik
Sie ist an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg in Feldkirch tätig und war zuvor von 1996 bis 99 an der Universität Luzern.
Sie betreibt ausserdem eine freie Praxis für Psychotherapie und Psychoanalyse, Supervision und Coaching, engagiert sich in Genderfragen und ist vielseitig in der Erwachsenenbildung tätig. Ihr neustes Buch trägt den Titel: „Was macht Jesus in dem Brot? Wissen rund um Kirche, Glaube, Christentum. Kinder fragen – Forscherinnen und Forscher antworten“ (München 2013).
- Vertrauen wächst aufgrund von genauem Wahrnehmen und Benennen der Realität. Vertrauen braucht einen klaren Blick und eine klare Sprache.
- Macht verändert sich durch offene Kommunikationsprozesse, durch Transparenz und durch Beteiligung.
- Auf der Suche nach Vertrauen gilt der Blick der jesuanischen Botschaft. In der Überlieferung der Evangelien wird ein anderer Umgang mit Macht sichtbar.
Wahrnehmen und Benennen der Realität führt zu Vertrauen
Katholischer Dialog zur kirchlichen Praxis von den Rändern her
Paul Jeannerat / 18.3.14 (Kipa)
Wie kämpft man gegen sexuelle Verfehlungen und Machtmissbrauch in der Kirche – ohne zu jammern oder zynisch zu werden? Auf diese Frage gab der 26. Katholische Dialog eine klare Antwort: Durch Wahrnehmen und Benennen der Realität ohne Vertuschung, durch offene Kommunikationsprozesse mit Transparenz und Beteiligung, durch Begegnung mit den Betroffenen auf Augenhöhe.
Die Veranstaltung vom Montag, 17. März, im RomeroHaus in Luzern, thematisierte die Missbrauchsaffäre, die in den letzten Jahren die katholische Kirche in den USA, in Irland, Deutschland, Österreich und auch in der Schweiz belastete. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wurden die Opfer sexueller Übergriffe und missbrauchter Macht, indem aufgezeigt wurde, dass die Betroffenen zu jener Kirche gehören, die sich zu den Armen bekennt und den Armen Gerechtigkeit angedeihen lassen will.
Zuerst legte Klaus Mertes, der diesjährige Preisträger der Herbert-Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche, seine Thesen vor. Der Jesuit ist zu einem Hoffnungsträger geworden, weil er die schlimmen Erfahrungen des Machtmissbrauchs radikal ernst genommen und offen gelegt, den Opfern gegenüber Verantwortung für die Kirche und den Orden übernommen und nach tieferen Ursachen für Machtmissbrauch in der Kirche gesucht hat.
Wie die Kirche Vertrauen gewinnen kann
Nach seiner Überzeugung gewinnt die Kirche Vertrauen nur, wenn sie „mehr will als nur Vertrauen“. Bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals gehe es nicht um die Reputation der Kirche, sondern um Gerechtigkeit für die Betroffenen. Missbrauchsopfer müssten als die Armen in der Kirche anerkannt werden, und ihnen sei Gerechtigkeit angedeihen zu lassen. Dazu müsse die Kirche ihre Berichte aktiv hören und durch Dialog auf Augenhöhe nach der Wahrheit suchen, auch wenn diese beschämend sei.
Grosse Ehrfurcht vor der menschlichen Würde der Betroffenen kam sinnenfällig zum Ausdruck, als Mertes einen Zeugen aus der Zuhörerschaft aufrief und ihm das Wort gab: Matthias Katsch, der im Januar 2010 als erster den Mut hatte, über seine Verwundung öffentlich zu sprechen. Katsch sagte, dass für ihn die Kirche Glaubwürdigkeit gewonnen habe, weil sie sich der schlimmen Realität gestellt und die Opfer ernst genommen habe.
Dialog ist, wenn der andere Recht haben könnte.
Dass Vertrauen aufgrund von genauem Wahrnehmen und Benennen der Realität wächst, dass Vertrauen einen klaren Blick und eine klare Sprache braucht, erläuterte aus psychologischer und theologischer Sicht die zweite Referentin, Helga Kohler-Spiegel, Professorin für Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg in Feldkirch (A). Ein neues Klima des Vertrauens in der Kirche könne nicht durch Vertuschung missliebiger Tatsachen, sondern nur durch offene Kommunikationsprozesse mit Transparenz und Beteiligung hergestellt werden: „Dialog ist, wenn der andere Recht haben könnte.“
Anschliessend diskutierten die rund 50 Anwesenden unter Leitung von Erwin Koller in sehr engagierter Weise. Hervorgehoben wurde die Tatsache, dass die Aufdeckung des Missbrauchsskandals durch Mertes im Jahr 2010 in den Kirchen angelsächsischer und deutschsprachiger Länder zu hoffnungsträchtigen Bemühungen um Aufarbeitung geführt hat: Staatskirchenrechtliche Synoden, Dekanate und dann Bistümer haben das Thema aufgenommen. Und schliesslich haben Bischofskonferenzen und der Vatikan Schritte zur Aufarbeitung getan. Es wurden Studien erarbeitet zum Zusammenhang von institutioneller Verfasstheit der Kirche und Missbrauch von Macht, und es wurden Richtlinien erlassen zur Vermeidung und Verfolgung von sexuellen Übergriffen.
Votum für Gewaltentrennung in der Kirche
Ein Votum, das die Einführung der Gewaltentrennung in der Kirche, eine unabhängige Justiz und transparente Beschwerdestrukturen forderte, wurde von der Zuhörerschaft mit Applaus unterstützt.
Lesehinweise: Schweizer Bischofskonferenz, Richtlinien: Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld,
3. Auflage 2014. Siehe www.bischoefe.ch; Klaus Mertes: Verlorenes Vertrauen. Katholisch sein in der Krise (Herder 2013); Monika Jakobs (Hrsg.): Missbrauchte Nähe. Sexuelle Übergriffe in Kirche und Schule (Freiburg/Schweiz 2011).