Erfahrung A: Die altindische vedische Kultur akzeptierte Nicht-Heterosexualität ausdrücklich. Dieses nicht-reproduktive Dritte Geschlecht zeichne sich durch künstlerische und spirituelle Fähigkeiten aus und befähige sie für besondere gesellschaftliche Aufgaben.
Erfahrung B: In Kulturen der Moderne hat sich die Überzeugung verbreitet, der Schöpfungssinn von Geschlechtslust und Sexualität gehe über den Rahmen biologischer Fortpflanzung hinaus und bringe in Freundschaften und Partnerschaften eine Vielfalt schöpferischer Zärtlichkeit ins Spiel.
Erfahrung C: In jüdischen, christlichen und muslimischen Kulturen gehört es seit je zur natürlichen Ordnung, dass sich die Geschlechter gegenseitig ergänzen. Geschlechtslust und Sexualität finden ihren Sinn und ihre Würde nur dann, wenn sie im Raum der Ehe auf Fortpflanzung ausgerichtet sind. Homosexuelle Handlungen stehen dazu im Widerspruch. Darum beurteilt die römische Glaubenskongregation die homosexuelle Anlage als objektiv ungeordnet. Trotzdem komme homosexuellen Personen die gleiche fundamentale Identität zu, und eine Diskriminierung sei abzulehnen. Das homosexuelle Verhalten sei freilich sittlich schlecht. Wunibald Müller, Theologe, Psychologe und Leiter des Recollectio-Hauses der Abtei Münsterschwarzach: „Wir müssen endlich anerkennen, dass homosexuelle Gefühle nicht weniger wertvoll sind als heterosexuelle.“
Pierre Stutz, spiritueller Meister und Schriftsteller
2002 legte Pierre Stutz das Presbyteramt nieder, weil er seine Homosexualität leben wollte.
- Die Liebe Gottes kennt viele Melodien.
- Glücklich werden wir als Liebende.
- Eine Versöhnung von Sexualität und Spiritualität ist notwendig.
- Homosexualität ist weder krankhaft noch gefährlich. Homosexuell zu sein ist etwas Natürliches, ein Teil der Schöpfung.
- Gottes Liebe ereignet sich auch in der Liebe einer Frau zu einer Frau und eines Mannes zu einem Manne.
- Sexualität ist eine Kraftquelle.
- Eine (statische) Schöpfungsordnung und Naturrechtslehre nimmt die Vielfalt der menschlichen Sexualität nicht ernst und diskriminiert Minderheiten.
- Die wenigen biblischen Texte, die homosexuelle Akte hart verdammen, gehen davon aus, dass Heterosexuelle bösartig handeln.
- Eine erstarrte Sexualmoral mit dualistischen Tendenzen, die uns bevormunden will, gilt es zu verändern, indem der Gewissensentscheid akzeptiert wird.
- Eine ganzheitliche Sicht auf die Sexualität, die nicht fixiert bleibt auf die Zeugung von Kindern, ist notwendig, damit Liebe, Treue, Lust, Verantwortung, Leidenschaft, Intimität und Ekstase als Gotteserfahrungen gefeiert werden können (mystische Spiritualität).
- Verschiedenheit kann verbinden, den Sinn dafür gilt es zu entfalten.
- Homosexualität ist ein Geschenk an die Menschheit und hat einen tiefen Sinn.
- Es ist für alle Menschen eine Chance, wenn sie ihre weiblichen und männlichen Seiten entfalten.
- Auch in der Homosexualität kommt die Segenskraft des Gottesgeschenkes der menschlichen Sexualität zum Ausdruck.
- Minderheiten sind auf die Toleranz und den Respekt der Mehrheit angewiesen.
- Die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ist heilsam, weil sie keine Bedrohung für die Ehe sind, sondern die gleichen Werte fördern: Liebe, Lust, Treue.
- Es gilt, miteinander Sprachlosigkeit zu überwinden: Das Religiöse und das Geschlechtliche sind unsere stärksten Lebenskräfte.
Hildegard Schmittfull, Theologin, Sozialarbeiterin, Zen-Lehrerin
- Sexualität ist in der katholischen Kirche ein ungelöstes Problem.
- Das Erbe Jahrtausende-langer Dämonisierung und eines verqueren Askeseverständnisses verhindert ein natürliches Verhältnis zu Körperlichkeit und Sexualität.
- Die idealtypischen Stände wie Ehe und Zölibat sind als Lebensformen selbst in der Krise.
- Für die Verkündigung ist Liebe ein zentrales Thema. Doch sie bewährt sich im Umgang mit kirchlichen Randgruppen nicht. Der Verkündigung fehlt die Glaubwürdigkeit, und dies provoziert Doppelmoral und Lebenslügen.
- Der Anteil homosexueller Menschen unter kirchlichen Mitarbeiterinnen ist höher (zwischen 20 und 30 Prozent) als in der Gesamtgesellschaft (5 bis 10%) und wird tabuisiert. Abspaltung verhindert Integration.
- Solange Sexualität mit Macht und Sanktionen verkettet ist, kann in der Kirche kein tiefgreifender Paradigmenwechsel im Umgang mit homosexuellen Menschen stattfinden.
- Im Spannungsfeld zwischen kirchlicher Lehre und realen Begegnungen mit homosexuellen Menschen sind christliche Seelsorgerinnen herausgefordert, zu einer eigenen verantwortungsvollen Haltung zu finden.
- Homosexualität ist eine Variante menschlicher Entwicklung.
- Seelsorgliche Begleitung vertritt ein dynamisches Menschenbild, in dem Werte ausrichten und Raum bleibt für Entwicklung. Sie weiss:
- Es ist natürlich, so zu sein und zu werden, wie man/frau ist. „Die grösste Sünde ist es, gegen das eigene Wesen zu leben“ (M. Buber). Liebesfähigkeit gründet zuallererst in der Annahme seiner selbst. „Man hat noch nie eine Kraft oder Idee durch Unterdrückung in Dienst genommen!“ (Teilhard de Chardin).
- Homosexuelle sind ebenso spirituell wie Heterosexuelle. Sie sind Geschöpf und Abbild Gottes, dessen Liebe allen Menschen gilt, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung.
- Die Entfaltung der Geschlechtlichkeit und die Integration der Sexualität ist Aufgabe und Verheissung. Die Sexualität ist eine machtvolle Kraft, die Quelle von Lust und Freude sein kann, aber auch Ursache von Verletzung und Schmerz.
- Enthaltsamkeit ist ein Charisma und darf nicht eine Zumutung sein. Homosexuelle sind in gleicher Weise wie Heterosexuelle gefordert, als Zölibatäre oder in einer Partnerschaft ihre Sexualität verantwortlich und als Ausdruck von Liebe zu gestalten.
- Die Liebe zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Menschen ist ein Geschenk für die Betroffenen und eine Bereicherung für die kirchliche Gemeinschaft. „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, wenn es mit Dank genossen wird“ (Tim 4,4).
- Die Kirche kann zu Homosexuellen vorbehaltlos Ja sagen.
- Jesus – ihr Vorbild – hat sich vorzugsweise Ausgegrenzten und Minderheiten zugewandt und alles getan, um deren Würde zu schützen.
- Die Kirche hat kompetente Menschen, die homosexuelle Menschen seelsorglich begleiten, ermächtigen und befähigen, sich selbst anzunehmen und sich an ihrem So-Sein zu freuen.
- Die Menschwerdung Gottes heiligt Körperlichkeit und so auch das Verständnis von ihr.
- Die Kirche versteht sich als Gemeinschaft, die reich ist durch eine Vielfalt von Lebensformen und Charismen.
- Spirituelle Intelligenz ist fähig, mit neuen Augen auf homosexuelle Menschen zu sehen. Sie weiss sich mit Gottes Geist unterwegs, der sie in neue Wahrheiten einführt und so zu neuer Bewertung kommt.
- Im Dialog lernen Christen gemeinsam, die Zeichen der Zeit zu verstehen, und sie kultivieren ihre Fähigkeit, dies umzusetzen.
Medienmitteilung: Die Kirche kann und muss zu Homosexuellen Ja sagen.
Katholischer Dialog zur kirchlichen Praxis von den Rändern her
Paul Jeannerat / 27.Januar 2014 (Kipa)
Homosexuell zu sein ist etwas Natürliches, ein Teil der Schöpfung. Homosexuelle sind Geschöpf und Abbild Gottes, dessen Liebe allen gilt. Darum kann und muss die Kirche zu Homosexuellen vorbehaltlos Ja sagen. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind ethisch gleich zu bewerten wie heterosexuelle Ehen. Schwule und Lesben sind selbstverständlich zum Empfang der Heiligen Kommunion unter denselben Bedingungen wie Heterosexuelle eingeladen.
So eindeutig kann das Ergebnis des 25. Katholischen Dialogs zusammengefasst werden, der am 27. Januar 2014 im RomeroHaus Luzern stattfand. Das offene Katholizität behandelt im Bildungsjahr 2013/14 in den Katholischen Dialogen Fragen der Theologie und der kirchlichen Praxis von ihren Rändern her, gemäss dem philosophischen Axiom, dass sich der Inhalt vom Rande her bestimmt (de-finiert). Am 25. Katholischen Dialog stand die Randgruppe der Lesben und Schwulen im Zentrum der Diskussion. Doch sind es wirklich Randgruppen, belegen doch Forschungen, dass 5 bis 10 Prozent der Gesamtgesellschaft homosexuell veranlagt sind und unter kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anteil Homosexueller noch höher, nämlich bei 20 bis 30 Prozent liegt?
Das Thema interessierte viele: Über 60 Laien, Priester und Ordensleute lauschten aufmerksam den engagierten Ausführungen des in Lausanne lebenden spirituellen Autors Pierre Stutz und der Theologin und Kontemplationslehrerin Hildegard Schmittfull vom Katharina-Werk Basel.
Pierre Stutz, der auf sein Priesteramt verzichtet hat, um sich selbst als schwuler Mann verwirklichen zu können, sprach von einem „schmerzhaften Thema, bei dem von Seiten der katholischen Kirche viel gesündigt wurde und wird“. „Glücklich werden wir als Liebende“, betonte er, und daher ist gut, was der Liebe dient. Homosexualität ist weder krankhaft noch sündhaft noch gefährlich. Homosexuell zu sein ist etwas Natürliches, ein Teil der Schöpfung.
Betreffend die oft zitierten Stellen in der Bibel, die homosexuelle Akte verdammen, ist klar aufzuzeigen, dass diese sich auf heterosexuelle Menschen beziehen, die bösartig handeln. Die erstarrte Sicht der kirchlichen Behörden über Sexualmoral, die fixiert ist auf die Zeugung von Kindern, muss auf ganzheitliche Weise erweitert werden, damit „Liebe, Treue, Lust, Verantwortung, Leidenschaft, Intimität und Ekstase als Gotteserfahrungen gefeiert werden können“ (Stutz).
Auch Hildegard Schmittfull hob hervor, dass in der christlichen Verkündigung die Liebe ein zentrales Thema ist und deshalb auch sexuelle Orientierung unter dem Gesichtspunkt der Liebe zu bewerten ist: „Homosexuelle sind in gleicher Weise wie Heterosexuelle gefordert, als Zölibatäre oder in einer Partnerschaft ihre Sexualität verantwortlich und als Ausdruck von Liebe zu gestalten.“ So ist die Liebe zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Menschen ein Geschenk für die Betroffenen und eine Bereicherung für die kirchliche Gemeinschaft. Dies wird zum Beispiel im kirchlich anerkannten Säkularinstitut Katharina-Werk, dem Hildegard Schmittfull angehört, dankbar anerkannt, indem Frauen oder Männer, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben, selbstverständlich zu Leitungsfunktionen zugelassen sind. Darum forderte die Referentin auch, dass die Kirche jene Seelsorgerinnen und Seelsorger fördern sollte, „die kompetent sind, homosexuelle Menschen zu begleiten, zu ermächtigen und zu befähigen, sich selbst anzunehmen und sich an ihrem So-Sein zu freuen“.
Die Diskussion unter Leitung von Erwin Koller liess vermuten, dass etliche der Anwesenden selber homosexuell sind. Mehrmals wurde um Solidarität gebeten: „Wir müssen lernen, die Vielfalt von Lebensformen und Charismen als Bereicherung zu werten und Identität durch Beziehung und nicht durch Ausgrenzung zu pflegen.“ Und es wurde betont, dass der Lernprozess zur Neubewertung des Sexuellen, in dem sich die Kirche momentan befindet, „vom Heiligen Geist gewirkt ist“.