Eigentlich ein tolles Bild: Zungen kommen über die Apostelinnen und lassen sie so reden, dass sie von Menschen jeglicher Herkunft verstanden werden. Pfingsten als Gegenbild zur babylonischen Sprachverwirrung – das wäre doch auch innerhalb der Kirchen von brisanter Aktualität. Nur: Warum fristet denn der Heilige Geist, dem das Bild zu verdanken ist, ein so kümmerliches Dasein in der kirchlichen Symbolsprache? Die Taube hält ja keinen Vergleich aus gegenüber der Opulenz, mit der Maria oder die Märtyrerinnen Aufmerksamkeit erheischen. War die Dreifaltigkeitstheologie der kappadokischen Kirchenväter vielleicht doch zu abstrakt und blutleer, um der Geistkraft die nötige Dynamik zu verleihen? Oder hatte mann gar Angst vor zu viel Energie?
Der weibliche Name allein bringt noch keine Wende. Auch nicht pfingstlerisches Zungenreden. Wo aber wird heute Geist ausgegossen? Und wenn die Geistkraft weht, wo sie will, welche Bereitschaft, welchen Durst, welche Offenheit erfordert sie? Impulse dazu vermitteln:
Pierre Bühler, Prof. emer. für Systematische Theologie, Universität Zürich
Er lehrte an der Universität Zürich insbesondere Hermeneutik und Fundamentaltheologie. Sein Interesse gilt vor allem dem Dialog zwischen Theologie, Philosophie, Natur- und Humanwissenschaften sowie Literatur. Er ist Autor zahlreicher Bücher von Luther über Kierkegaard bis Ricoeur und Dürrenmatt.
- Der Geist (ruach, fem. – pneuma, neutr. – spiritus, mask.) stiftet risikohafte, aber heilvolle Unruhe, welche die auf Ordnung ausgerichtete Institution immer wieder eingrenzt, ja sogar oft ausgrenzt.
- Hinter der klassisch gewordenen Taube stehen im Sinne dieser Unruhe die Symbole
- des Windes (Apg 2,2: „vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt“)
- und des Feuers (Apg 2,3: „und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer“).
- Sowohl in der Diskussion in Korinth (1. Kor 12 und 14) als auch im Pfingstwunder (Apg 2) wird Pfingsten zu einem Fest des Verstehens und der Verständigung, und in diesem Sinne zu einem Fest der Hermeneutik: in Korinth durch die Geistesgabe der Auslegung (hermeneia), in Apg 2 durch das Geisteswunder der Übersetzung des Evangeliums in alle weltweit bekannten Sprachen.
- In biblischer Intertextualität steht Apg 2 im Zeichen von zwei (drei?) Sinnbezügen:
- Pfingsten ist ein Gegenbild zur Sprachenverwirrung in Babel (Gen 11);
- zugleich gestaltet es sich in Anlehnung an das jüdische Wochenfest (Pfingsten, von pentekoste [hemera], „der fünfzigste Tag“; Schawuot, 50 Tage nach Pessach): Der Feier der Gabe des Gesetzes am Sinai, die zugleich Erntedankfest ist, steht die Feier der Gabe des Geistes gegenüber.
- Daraus folgen zwei (drei?) Bedeutungsaspekte:
- Der Geist stiftet Gemeinschaft, wirkt Gemeinschaft erbauend: einen einzigen Leib Christi,
in dem die verschiedenen Geistesgaben ihren jeweiligen Ort haben (1. Kor 12). - Gegenüber den vielen Werken des Fleisches, die das Gesetz mit grösster Mühe bekämpft,
gilt die eine Frucht des Geistes (Gal 5).
- Der Geist stiftet im Leben einen neuen ‚Wind‘, einen neuen Lebensgeist, eine neue Atmosphäre der Freiheit (2. Kor 3,17: „Der Herr aber, das ist der Geist; und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“): Das Leben nach dem Geist (kata pneuma) befreit vom versklavten Leben nach dem Fleisch (kata sarka).
- Der rechte Gebrauch der Geistesgaben als Gnadengaben (Charismen, von charis, Gnade) hängt davon ab; sie können auch dem Fleisch nach in Anspruch genommen werden, wie etwa bei den korinthischen ‚Superaposteln‘ …
Li Hangartner, Theologin
Sie ist Leiterin der Fachstelle Feministische Theologie und Redaktorin der feministisch-theologischen Zeitschrift FAMA und macht sich stark für die Kultur und Einflussnahme von kritischen Frauen in Kirche und Gesellschaft. Ausserdem ist sie als Bildungsbeauftragte am RomeroHaus Luzern und als freie Referentin tätig.
- Pfingsten – die Gabe des Verstehens
In zwei zentralen Pfingsttexten (1 Kor 14; Apg 2) bewirkt die Geistkraft/Sophia, dass die messianischen Menschen „in Sprachen“ reden / „in andern Sprachen“. Diese Sprache wird nach Apg 2 von dem internationalen Publikum verstanden, sodass alle ihre Muttersprache hören. Pfingsten heisst von Gott in der Muttersprache reden. Lalein heterais glossais = in andern Sprachen reden
(Apg 2,4; 1 Kor 14,4.20).
Übersetzung nach Luise Schottroff: Glossa = Zunge als Körperteil bzw. Sprache im übertragenen Sinn (nicht Glossolalie als Zungenrede, unverständliche geisterfüllte Sprache). Die Rede in andern Sprachen ist nach Paulus (1 Kor 12–14) eine geistgewirkte Gottesgabe, ein Charisma, neben dem Charisma prophetisch zu sprechen, zu heilen, Erkenntnis und Weisheit zu bekommen und der Fähigkeit zu übersetzen.
In den Vollversammlungen sollen alle zu Wort kommen, aber das gemeinsame Ziel, die Gemeinschaft aufzubauen, darf nicht verloren gehen. Paulus will dabei keinesfalls das Reden in Muttersprachen behindern (Kor 14,39).
- Pfingsten – die Gabe der Gleichheit
Die Geistkraft Gottes/Sophia ist nicht wählerisch, sie kommt über Junge und Alte, Freie und Slavinnen, über Frauen und Männer. Joel 3,1-2: Danach wird es geschehen, dass ich meine Geistkraft auf alles Fleisch ausgiesse. Eure Söhne und Töchter werden prophetisch reden, eure Alten werden Träume träumen und eure jungen Leute Visionen haben. Auch über die Sklaven und Sklavinnen werde ich in jenen Tagen meine Geistkraft giessen.
Die Geistkraft/Sophia kann bewirken, dass Menschen mit fremden Muttersprachen ihre Würde und ihren Ort in einer Gemeinschaft finden. Sie finden ihre Identität in einem neuen von der Sophia geschenkten Leben und einer neuen Gemeinschaft – ohne die Würde ihrer Herkunft und Sprache zu verlieren.
- Pfingsten – die Gabe des Teilens
Zum Pfingstwunder gehört, dass die messianische Gemeinschaft bereit ist, auch ihre materiellen Grundlagen zu teilen, nicht auf ihrem eigenen Besitz zu bestehen. Apg 2,44-45: Alle aber, die Vertrauen gefasst hatten, waren zusammen und teilten alles, was sie hatten. Sie verkauften ihren Besitz und ihr Vermögen und verteilten den Erlös an alle, je nachdem jemand Not litt.
- Pfingsten – die Gabe des Mutes
Apg 2,4: Da wurden sie alle von heiliger Geistkraft erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden; wie die Geistkraft es ihnen eingab, redeten sie frei heraus.
Die Version des Pfingstereignisses in der Apostelgeschichte zielt auf eine Vision: Alle werden von Gott begabt, „gerade heraus zu reden“, „laut zu erklären“, „jemanden begeistert anzureden“ (apophtengesthai), „offen und öffentlich zu reden“, „freimütig und unerschrocken“ (parresia, Bauer Wörterbuch). Frei heraus reden bedeutet die Kühnheit, den Mut, die Authentizität und die Vollmacht, die Menschen beflügelt, die Gewalt abzuschütteln und die Vision des Schalom zu leben. Die Geistkraft Gottes /Sophia hat die Menschen die Begabung verliehen, öffentlich und begeistert ihre Vision von Frieden, Recht und Gerechtigkeit zu vertreten.
Katholischer Dialog in der Reihe „Den Glauben neu denken und zur Sprache bringen“
Pfingsten: Der Geist Gottes stiftet Freiheit
Paul Jeannerat / 27. April 2015
Das Pfingstfest spielt im katholischen Kirchenjahr im Vergleich zu Weihnachten und Ostern eine marginale Rolle. Aber Christenheit und Welt hätten die Gaben des Geistes sehr nötig: Anerkennen, Befreien, Bekennen, Unterscheiden, Teilen, Verständigen. Ein neues ‚Pfingstbrausen‘ täte den Kirchen gut.
Über die Bedeutung des Pfingstfestes und über die Frage „Auf welche Geistkraft warten?“ diskutierten etwa 50 Priester, Laientheologinnen, Katechetinnen und weitere Interessierte am 34. Katholischen Dialog im RomeroHaus Luzern. Impulse zum Gespräch legten dar: Pierre Bühler, bis vor kurzem ordentlicher Professor für Systematische Theologie an der Universität Zürich, und Li Hangartner, langjährige Leiterin der Fachstelle Feministische Theologie und derzeit Bildungsbeauftragte am RomeroHaus Luzern.
Pierre Bühler führte aus, wie der Geist „risikohafte, aber heilvolle“ Unruhe in die auf Ordnung ausgerichtete Institution Kirche stiftet. Beim Pfingstgeschehen, wie es in Apostelgeschichte 2 berichtet wird, stehen im Sinne dieser Unruhe die Symbole Wind und Feuer und als Gegenbild zur Sprachverwirrung in Babel (Genesis 11) das Wunder der Übersetzung des Evangeliums in alle weltweit bekannten Sprachen. Der Geist stiftet einen neuen Wind, eine neue Lebenskraft, eine neue Atmosphäre der Freiheit.
Li Hangartner legte – ebenfalls anhand Apostelgeschichte 2 – vier Thesen vor: Pfingsten steht für die Gabe des Verständnisses und der Unterscheidung (die Rede der Apostel wird von einem internationalen Publikum verstanden), die Gabe der Gleichheit (die Geistkraft Gottes kommt über Junge und Alte, Freie und Sklavinnen, Frauen und Männer), die Gabe des Teilens (die messianische Gemeinschaft teilt ihre materiellen Güter) und die Gabe des Mutes (alle werden von Gott begabt, gerade heraus zu reden). „Die Geistkraft Gottes/Sophia hat die Menschen befähigt, öffentlich und begeistert ihre Vision von Frieden, Recht und Gerechtigkeit zu vertreten“.
Die Diskussion unter Leitung von Erwin Koller, befasste sich mit praktisch-theologischen Fragen: Wie kann Pfingsten heute begangen werden, so dass die Gläubigen die liturgischen Feiern als hilfreich für ihr Leben erfahren? Warum haben die Pfingstkirchen in Südländern so viel Zulauf? Könnte Pfingsten zu einem interreligiösen Fest werden, an dem sich die verschiedenen Religionen in ihren theologischen und kulturellen Unterschieden gegenseitig verstehen lernen? Definitive Antworten gab es keine, aber Ermutigung, sich den Gaben des Geistes Gottes zu öffnen.