Wenn Freiheit ein Kriterium des Geistes ist (1. Kor 10,29; 2. Kor 3,17; Jak 2,12), gilt es, in der Kirche Freiräume zu schaffen und zu nutzen, sie anzustiften und zu vernetzen. Das Horchen auf das Wort Gottes darf nicht zu einem System des Gehorsams ohne Freiheit entarten.
Alois Odermatt, Historiker und Theologe
Zeugnisse und Erfahrungen aus der Kirchengeschichte
1 Ermutigung durch Emanzipation in weiblichen Orden
Verschüttete Emanzipations-Erfahrungen finden wir vielfältig im weiblichen Ordenswesen des Mittelalters. Sie ermutigen uns, auch heute erweiterte Möglichkeiten für Spiritualität, Theologie und Pastoral wahrzunehmen und entsprechende Freiräume zu entfalten.
2 Kriterium der Apostolizität
Freiräume sind daran zu messen, ob sie apostolisch sind: ob sie also im Glauben, im Zeugnis des Wortes und in der Praxis übereinstimmen mit der Einmaligkeit des Anfangs bei den Aposteln und Apostelinnen und bei der österlichen Erstzeugin Maria Magdalena.
3 Katholizität als Prozess
Die Kirche ist katholisch, um katholisch zu werden – wenn sie also verschüttete Erfahrungsgestalten aus der eigenen Geschichte als Charismen aufnimmt, christliche Werte in andern Kirchen anerkennt, nach versöhnter Verschiedenheit strebt sowie Bekundungen des Heiligen Geistes in Religionen und Kulturen der Menschheit sucht und dialogisch integriert.
Monika Schmid, Gemeindeleiterin in Effretikon ZH
Erfahrungen aus Seelsorge, Liturgie, Spiritualität, Frauenkirche, Fernsehen
1 Lust und Kreativität
„Ein Mausbau hat viele Mauselöcher. Die kluge Maus kommt nicht dort zum Loch heraus, wo die Katze davor hockt“ (Dietrich Wiederkehr). Meine Erfahrung zeigt, dass es im Pfarreialltag viel mehr Freiräume gibt, als wir tatsächlich nutzen. Sie auszuschöpfen erfordert unsere ganze Lust und Kreativität.
2 Raum zur Entfaltung des Glaubens
„Wir sind nicht immer so ganz römisch, aber wir sind katholisch“, sagte ich unserem aus dem Kongo stammenden Pfarradministrator und legte ihm bei einem Gottesdienst das Hochgebet vor, das einer unserer Aushilfspriester wunderschön formuliert hatte. Darauf sagte er: „Alles ist gut, wenn es den Glauben fördert.“ Das müsste Ausschlag gebend sein, wenn wir Freiräume nutzen. Wir sind nicht Vollstrecker einer Glaubensdisziplin, sondern stellen einen Raum zur Verfügung, in dem Glaube sich entfalten kann.
3 Plädoyer für angstfreie Kirche
„Mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir!“ Dieses Gebet des Niklaus von Flüe hilft mir oft. Denn erstes Ziel muss es sein, das Evangelium leuchten zu lassen. Wo ich ganz und gar im Glauben verwurzelt bin, wächst die Gewissheit, dass ich nichts zu befürchten habe. Die Mutlosigkeit und Resignation von kirchlichen Mitarbeitenden erschrecken mich. Ich plädiere für eine angstfreie Kirche.
Medienmitteilung: Freiräume in der Kirche entdecken und nutzen
Paul Jeannerat / 22. März 2010 (KIPA)
Freiheit ist ein Kriterium des Geistes Gottes. In der heutigen kirchlichen Arbeit werden die vorhandenen Freiräume aber zu wenig beachtet und zu zögerlich genutzt. Allzu viel ist von Autorität und Gehorsam die Rede.
Die Kirchengeschichte zeigt Beispiele freiheitlichen Handelns auf, besonders durch Ordensfrauen. Aufgeschlossene Pfarrgemeinden interpretieren auch heute ihre Verantwortung im pastoralen Handeln in kreativ-freiheitlicher Weise. Die historischen Vorbilder und die aktuellen Beispiele stiften an zu vermehrtem Gebrauch der Freiheit im kirchlichen Tun.
Dies sind die Ergebnisse der vierten Veranstaltung vom 22. März 2010 in der Reihe Katholische Dialoge, die vom Forum für offene Katholizität (FOK), vom Verein Tagsatzung im Bistum Basel und vom RomeroHaus Luzern verantwortet werden.
Freiheiten im weiblichen Ordenswesen des Mittelalters
Den wissenschaftlichen Impuls trug Alois Odermatt, Historiker und Theologe, vor. Er wies auf, wie sich das Ordensleben in einer patriarchalen Kirchengesellschaft entwickelte, wie aber Frauengemeinschaften in Umbruchzeiten die herrschende patriarchale Ordnung durchbrochen haben. Zum Beispiel: Adelige Nonnen-Stifte im Frühmittelalter (7./8.Jh.) erbrachten nicht nur religiöse und literarische Höchstleistungen, deren Äbtissinnen herrschten sogar über bestimmte Mönchsgemeinschaften, hörten Beichte und predigten. Oder: Das Beginentum (13./14. Jh.) war eine Lebensform, die von Frauen selbst entwickelt wurde und grosse Theologinnen hervorbrachte (Mechthild von Magdeburg, Margarete von Porete). Das frauliche Ordensleben basierte immer wieder auf der charismatischen Berufung durch den Geist Gottes, der weht, wo er will, und erreichte Freiheiten, die im Sinne einer weiter Katholizität auch für heute Inspiration abgeben können.
Freiräume in der Seelsorge
Monika Schmid, Gemeindeleiterin von Effretikon ZH, berichtete aus der Praxis. Ihre Erfahrung zeigt, dass es im pfarreilichen Alltag viel mehr Freiräume gibt, als tatsächlich genutzt werden. Diese auszuschöpfen erfordert Freude und Kreativität, Glaube und Mut. In einer Pfarrei, die von einer Pastoralassistentin geleitet wird, sind Grenzen gesetzt, die einzuhalten, aber bis an den Rand auszuloten sind durch alternative Gottesdienste, Rituale und das Feiern von Sakramentalien. Kriterium für das, was in Freiheit zu wagen bzw. in Verantwortung zu lassen ist, ist die Verankerung im Glauben: „Gut ist alles, was den Glauben fördert“, sagte die Theologin.
Besuch von Vertretern einer Untergrundkirche
Auf Einladung der Herbert-Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche weilten Bischof Dusan Špiner (Olmütz) und der Priester Peter Križan (Bratislava) in Luzern und besuchten die FOK-Versammlung. Sie wiesen darauf hin, wie während der kommunistischen Herrschaft in der damaligen Tschechoslowakei Mitglieder der Untergrundkirche trotz der Unterdrückung die innere Freiheit bewahrten und alternative Wege für das kirchliche Leben entfalteten – und sogar verheiratete Bischöfe und Priesterinnen hatten.