Für die Feier einiger Sakramente, etwa Eucharistie, Busse und Krankensalbung, stehen immer weniger ordinierte Presbyter zur Verfügung. Ist dies eine suizidale Strategie der lateinischen Westkirche? Oder eröffnen sich damit neue Chancen? Immer mehr Frauen und Männer erfahren die Ermächtigung, inmitten der Gemeinden in neuen Ritualen die Sakramentalität der Schöpfung zu feiern: Agape, Versöhnung, Segen. Die mittelalterliche Unterscheidung zwischen Sakramenten und Sakramentalien beginnt wieder zu fliessen. Wir diskutieren über Theorien und praktische Erfahrungen.
Alois Odermatt, Historiker und Theologe
Alte und neue Einsichten
- Die ersten christlichen Gemeinden feierten wie ihre jüdische und hellenistische Umwelt symbolische Handlungen mit Wasser, Brot und Wein, Öl, Handauflegung. Kein biblisches Zeugnis ordnet solche Vollzüge einem Einheitsbegriff ‚Sakrament‘ zu.
- Die theologische Reflexion verstand als Mysterion / Sacramentum zunächst das Christus-geschehen, die Kirche, den Glauben, das Bekenntnis. Ab dem 3. Jh. verengte sich dieser Begriff auf Symbolhandlungen. Etwa 30 solche Zeichenhandlungen galten bis ins 15. Jh. als Sakramente. Das Konzil von Florenz beschränkte sie 1439 auf ‚sieben‘. Trient erhob dies 1551/52 zur Lehre. Die Unterscheidung zwischen Sakramenten und Sakramentalien trieb muntere Blüten.
- Das 20. Jh. hat das Verständnis von Sakrament vertieft: Christusgeschehen als Ursakrament, Kirche als Grund- oder Wurzelsakrament. Spirituelle Erfahrung, philosophisches Denken und theologische Reflexion gehen auf die Leiblichkeit und die ‚natürlichen‘ Transzendenzerfahrungen des Menschen ein (Transparenz der Schöpfung).
Franz Zemp, Theologe und Pfarreileiter St. Josef Maihof, Luzern
Praktische Erfahrungen aus der Seelsorge
- Menschen, die ein Ritual wünschen, kennen die christliche Tradition bruchstückhaft. Für sie sind Feiern wie Taufen, Eheschliessung oder Krankensalbung Rituale, die unabhängig von Kirchenzugehörigkeit von Bedeutung sind. Ob eine Handlung sakramental oder ein Sakrament ist, ist nicht entscheidend.
2. Rituale / symbolische Handlungen müssen für die Beteiligten nachvollziehbar sein. Es sind schlichte, klare, anschlussfähige Handlungen und Symbole. Wichtig ist sowohl der Bezug zum Leben und zur aktuellen Situation als auch die Verbindung zu Gott (oder zum ‚Grösseren‘). - Die Ausführung eines Rituals wird gern an einen Vertreter / eine Vertreterin der Kirche delegiert, trotz Distanz zur Kirche. Es besteht das Bedürfnis, dass jemand stellvertretend die Verbindung zu Gott (oder zum ‚Grösseren‘) schafft.
Medienmitteilung: Neuentdeckung des Sakramentalen
Paul Jeannerat / 8. November 2010 (KIPA)
Religiöse Feiern wie Taufe, Eheschliessung oder Krankensalbung sind für heutige Menschen oft lebenswichtige Rituale, die unabhängig von der Kirchenzugehörigkeit von Bedeutung sind. Neue Formen sakramentalen Tuns werden darum experimentiert und als hilfreich für die Erfahrung Gottes erfahren: Agape, Segen, Handauflegung usw. Die mittelalterliche Unterscheidung zwischen Sakramenten und Sakramentalien beginnt wieder zu fliessen.
Über diese Entwicklung, ihr geschichtlicher Hintergrund und ihre pastorale Begründung diskutierten 25 Frauen und Männer im RomeroHaus Luzern. Es war die erste Veranstaltung in der Reihe Katholische Dialoge im Bildungsjahr 2010/1011, die vom Forum für offene Katholizität (FOK), vom Verein Tagsatzung im Bistum Basel und vom RomeroHaus Luzern verantwortet wird.
Kein biblisches Zeugnis für Sakramente
Die ersten christlichen Gemeinden feierten symbolische Handlungen mit Wasser, Brot, Wein, Öl, Handauflegung – ohne dass die Bibel die Begriffe Sakrament oder Mysterion verwendet hätte, betonte Alois Odermatt, Theologe und Historiker, Steinhausen. Unter diesen Begriffen verstand die theologische Reflexion bis ins 3. Jahrhundert das Christus-Geschehen, die Kirche, den Glauben. Später verengte sich das Verständnis von Sakrament auf Symbolhandlungen, und bis ins 15. Jahrhundert wurden bis zu 30 Rituale als Sakramente bezeichnet. Das Konzil von Trient beschränkte sie auf sieben, ergänzt durch Sakramentalien, doch der Unterschied zu den Sakramenten wurde oft nicht evident erfahren.
Kreative Entwicklung in der heutigen Seelsorge
Aus pastoralem Bedürfnis werden heute die sieben Sakramente durch neue heilige Zeichenhandlungen ergänzt, und etliche überlieferte Sakramentalien erhalten neue Bedeutung. „Ob eine Handlung sakramental oder ein Sakrament ist, ist für die Menschen, die spirituelle Begleitung erbitten, nicht entscheidend. Wichtig ist sowohl der Bezug zur aktuellen Lebenssituation als auch die Verbindung zu Gott“. Diese These stellte Franz Zemp, Gemeindeleiter zu St. Josef Maihof, Luzern, auf und erläuterte sie aus seiner pastoralen Erfahrung. In vielen Pfarreien werden neue Rituale erprobt: Wortgottesdienste mit Kommunionausteilung, Agape-Feiern in freier Form, Beerdigungs- oder Hochzeitsfeiern mit Brot-Teilete, Sternsingen. Auch werden alte Zeichenhandlungen neu mit Inhalt gefüllt: Kräutersegnung, Prozession mit Palmzweigen, Kreuzverehrung usw. Obwohl viele Gläubige nur locker mit der Kirche verbunden sind, übertragen sie gerne die lebensdeutenden Rituale stellvertretend einer Vertreterin, einem Vertreter der Kirche, betonte Franz Zemp.
Krankensalbung und Sterbegebet
In der Diskussion, von Toni Bernet, Leiter des RomeroHauses moderiert, wurde berichtet, wie Kranken- und Sterbe-Riten sich entfalten: Immer öfter erbitten Kranke und Alte eine spirituelle Begleitung (Krankensalbung), und wenn jemand am Sterben ist oder auch bereits gestorben ist, verlangen Angehörige wiederum ein Gebet und Ritual (Sterbegebet, Letzte Ölung). So werden die sieben Sakramente aus pastoralem Bedürfnis durch neue Rituale ergänzt.